Eine junge Frau, bepackt mit Einkaufstaschen, schüttelt ihren Kopf. „Wenn man so die Schadstoffe misst, ist es klar, dass das Ruhrgebiet dreckig ist.“ Die Messstation an der Mülheimer Straße in Oberhausen steht direkt neben dem Parkplatz, an dem die Zulieferer eines Lebensmitteldiscounts parken. Gerade wird ein Kühltransporter entladen, dessen laufender Motor die Straße in Dieselnebel hüllt. „Der Fahrer macht den Motor nicht aus, damit seine Pizzas nicht schmelzen“, weiß die Passantin zu berichten. Auch andere schalten sich in die Diskussion ein. Die Luftverschmutzung sei doch sichtbar zurückgegangen, seit die Montanindustrie im Revier keine Rolle mehr spiele, erklärt ein älterer Herr verärgert. „Da ist das ganze Trara mit dem Feinstaub doch Blödsinn.“
Bezüglich Umweltzone wurden die Methoden Flickenteppich und Schilderwald angewandt
Tatsächlich ist das Ruhrgebiet nicht unbedingt eine Hochburg ökologischen Denkens. Die weiße Wäsche, die man vor 40 Jahren nicht nach draußen auf die Leine hängen konnte, die jetzt aber unproblematisch im Wind flattern kann, wird oft angeführt, wenn es um den blauen Himmel über der Ruhr geht. Natürlich, wer in seiner Familie erlebt hat, wie ehemalige Bergleute am Steinstaub zu Grunde gingen, den mag die aktuelle Diskussion um Feinstaub im Bereich von 50 Millionstel Gramm pro Kubikmeter Luft abstrus erscheinen. Die Zahlen und die wissenschaftlichen Untersuchungen sprechen allerdings eine eindeutige Sprache. Das Risiko, an Atemwegserkrankungen und Krebs zu sterben, ist in verkehrsreichen Ballungsräumen um ein Vielfaches höher als im ländlichen Raum. Der Ruhrgebietler muss sich also daran gewöhnen, dass man schlechte Luft nicht unbedingt sehen kann. Das Thema Feinstaub wurde aber auch an anderen Orten viele Jahre fast nur in Fachkreisen diskutiert. Dann legte die EU im Jahr 2005 einen Jahresmittelwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter (µg/m3) und einen Tagesmittelwert von 50 μg/m3 fest. Der Tagesmittelwert darf an nicht mehr als 35 Tagen pro Kalenderjahr überschritten werden. Zahlreiche Kommunen im Ruhrgebiet lagen teilweise deutlich über dieser tolerierten Anzahl der Überschreitungen. Deshalb wurden im Oktober 2008 in vielen Innenstädten Umweltzonen eingerichtet. Fahrzeuge ohne Feinstaubplakette wurden aus den problematischsten Gebieten verbannt. Zu radikaleren Maßnahmen, wie diese in Berlin, Bremen, Hannover und Leipzig seit kurzem gelten, kann man sich im Ruhrgebiet bis heute nicht durchringen.
Tatsächlich wurde die Umweltzone bei uns insgesamt sehr zögerlich eingerichtet. Viele Bedenkenträger aus der Wirtschaft, vom Einzelhandel und vom Handwerk mussten überzeugt werden. Zumindest viele Stadtspitzen begrüßen inzwischen die zusammenhängende Umweltzone für das Ruhrgebiet, die nun endlich am 1. Januar eingeführt wird. „Die Umweltzone Ruhrgebiet ist eine wichtige, aber auch zumutbare Maßnahme der Gesundheitsvorsorge und Gesundheitsfürsorge für die Menschen in der Region, und ich werte sie als einen wichtigen Schritt für den Umweltschutz“, teilte uns Bochums Oberbürgermeisterin mit. Allerdings sieht Ottilie Scholz die Ursache für die späte Einführung nicht in ihrem Rathaus: „Eine zusammenhängende Umweltzone Ruhrgebiet wurde im Rat der Stadt Bochum bereits im Jahre 2008 gefordert.“ Auch ihr Kollege aus Gelsenkirchen Frank Baranowski sieht in der neuen Umweltzone eine „ schlichtweg pure Notwendigkeit in einer der am dichtesten besiedelten Regionen Europas. Immissionen aller Art machen an Stadtgrenzen nicht Halt.“ Dortmunds Oberbürgermeister vertritt einen ähnlichen Standpunkt. Die Schuld an der hohen Feinstaubbelastung im Revier trägt seiner Meinung nach nicht die Verwaltung, die mit Verordnungen nur reagieren könne. „Die effektivste Maßnahme zur Reinhaltung der Luft ist die Reduzierung der Schadstoffe an der Quelle, also am Fahrzeug selbst. Hier wurde der Stand der Technik bisher nicht ausgereizt. Insofern wäre mir lieber, es müsste eine solche Umweltzone nicht geben und die Bemühungen würden sich darauf konzentrieren, die Fahrzeugtechnik zu verbessern“, so Ullrich Sierau gegenüber trailer. Trotzdem kann die aktuelle Änderung schon als bescheidener Erfolg gewertet werden, denn bis jetzt wurden bezüglich Umweltzone die Methoden Flickenteppich und Schilderwald zwischen Duisburg und Dortmund angewandt. Dass es auch anders geht, zeigt eine benachbarte Metropole. In Köln wurde bereits vor drei Jahren die gesamte Innenstadt zur Umweltzone erklärt. Die Domstadt war damals absolute Vorreiterin in Sachen Emissionsschutz. Allerdings war für die Verordnung auch nur eine städtische Behörde verantwortlich. Solch zentrale Strukturen sind im „Vielvölkerstaat“ Ruhrgebiet undenkbar.
Dass die bestehenden Regeln nicht ausreichen, belegt ein Blick auf die aktuelle Statistik. An der Brakeler Straße in Dortmund wurde trotz Umweltzone im vergangenen Jahr der Grenzwert an 33 Tagen überschritten, an der Recklinghauser Straße in Herne an 43 Tagen und an der Kurt-Schumacher-Straße in Gelsenkirchen sogar an 47 Tagen. Es ist eher unwahrscheinlich, dass an all diesen Kontrollpunkten ständig Tiefkühlpizzas ausgeladen werden.
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