trailer: Herr Hilsdorf, haben Sie schon einmal eine Oper von Aribert Reimann inszeniert?
Dietrich W. Hilsdorf: Nein, das ist die erste. Ich kannte das Stück nicht. Der Intendant hat es vorgeschlagen. Wie so oft traut sich das Musiktheater im Revier etwas. Direkt nach dem Männerstück „Billy Budd“ von Benjamin Britten kommt jetzt „Bernarda Albas Haus“ als reines Frauenstück. Man muss die beiden Produktionen zusammensehen.
Kommen Sie von Ihrem Ansatz von dem Schauspiel Federico García Lorcas her, das der Oper zugrunde liegt?
Ja, da ich aus dem Schauspiel komme. Ich lese zunächst den Urtext. So habe ich es schon für meine allererste Operninszenierung gemacht. Das war in Gelsenkirchen Tschaikowskys „Eugen Onegin“ im November 1981, also vor gut 41 Jahren. Aus dem Unterschied zwischen der Vorlage und dem Opernlibretto lassen sich Reibungen erzielen, die ich brauche. Im Falle von „Bernarda Albas Haus“ sind Lorcas – gekürzter – Text und das Libretto weitgehend identisch. Das Stück von Lorca kannte ich natürlich und habe deswegen zugesagt. Ich habe dann bewusst sehr spät die Musik dazugehört und war überrascht, wie wunderbar Reimann Rollen und Szenen beschreibt.
Wie alles von Lorca ist „Bernarda Albas Haus“ ein sehr hartes Stück über Menschen, die sich selbst und sich gegenseitig um ihr Leben bringen.
Jemand hat mal gesagt, in dem Stück treten nur Frauen auf, aber eigentlich sei es ein Männerstück. Männer spielen eine riesige Rolle: der nicht auftretende tolle Liebhaber, der verstorbene Vater, dessen Erbe die männlich-autoritäre Mutter antritt. Bernarda Alba reibt sich an ihrem eigenen System auf, das sie aufbaut und durchhält. Die Personen stecken alle in einer Falle und jede versucht, für sich selbst auf einen grünen Zweig zu kommen. Lorca ist ein greller Autor, auch in der Sprache. Wie sich die Leute wehtun und ineinander verbeißen – da geht die Post ab. Das ist ein starkes Stück und eine starke Oper.
Das Stück zeigt auch eine Gesellschaft, die für uns weit entfernt und fast archaisch wirkt.
Das Stück spielt 1936, am Beginn des spanischen Bürgerkriegs, in dem Jahr, in dem Lorca umgebracht wurde. Dieter Richter hat eine Bühne mit einem bürgerlichen Ambiente geschaffen. Dadurch rückt das Stück näher an uns heran. Wir werden auch nichts verändern oder in der Inszenierung querstellen. Das sollte man bei einem so unbekannten Stück nicht machen.
Welche Rolle spielt die Musik für Sie?
In diesem Fall wirklich die Hauptrolle, weil Reimann die Figuren und die „szenische Farbe“ wunderbar beschreibt und extrem ausreizt. Er instrumentiert eigentümlich: Es gibt zum Beispiel keine Violinen im Orchester, und Mechthild Grossmann wird in der Sprechrolle der Maria Josefa von 12 Celli und einer Bassflöte mit ihrem weichen, sonoren Ton begleitet. Das ist ein eigenartiger, ausdifferenzierter Klang. Und vier Klaviere bilden mit harten Akkordblöcken sozusagen das Schlagzeug. Man muss nur in die Musik reinhören und in den Notentext schauen – da steht alles drin.
Wie gestaltet sich die Arbeit mit dem Ensemble?
Ich möchte kein „Regietheater“ machen, sondern eine spannende Geschichte aus dem Spanien des Jahres 1936 erzählen. Und wir versuchen, in der Tragödie die Komödie zu entdecken. Es gibt in dem Stück eine starke Hierarchie, und es ist ein Urbild des Theaters, dass die obere soziale Ebene von unten in Frage gestellt wird. Die kleinen Leute dürfen frech werden – das hat komische Momente, die wir herausstellen wollen. Aus denen hätte ein Goldoni oder Shakespeare eine Komödie gemacht. Das klappt gut mit den neun wunderbaren Sängerinnen, denn Frauen sind einfach die besseren Schauspieler. Darunter sind so gestandene Darstellerinnen wie die weltweit tätige Sabine Hogrefe als La Poncia, die wunderbare Anke Sieloff aus dem Ensemble des Musiktheaters als Magd und natürlich Almuth Herbst als phänomenale Bernarda Alba und ihre Mutter, für die es gelungen ist, Mechthild Grossmann zu gewinnen. Sie war 30 Jahre beim Wuppertaler Pina Bausch Theater, dann im Schauspiel Frankfurt und wirklich jeder kennt sie als kettenrauchende Staatsanwältin aus dem Münsteraner „Tatort“.
Sie haben in Gelsenkirchen Ihre Opernkarriere begonnen.
Der damalige Intendant Claus Leininger hat eine Inszenierung von „Eines langen Tages Reise in die Nacht“ von mir in Essen gesehen und mir danach einen Brief geschrieben, ich solle Oper inszenieren, denn er fand die Aufführung sehr musikalisch. Ein halbes Jahr später stieg ich schon mit „Eugen Onegin“ ein, mit Johannes Leiacker, der seine erste Bühne für eine Oper gestaltet hat, also noch ein blutigerer Anfänger war als ich. Das war damals ein Riesenskandal. So viel Gebrüll direkt nach dem letzten Akkord habe ich seither nie wieder erlebt.
Haben Sie in diesen 40 Jahren ihren Stil gewandelt?
Stil, glaube ich, gibt’s gar nicht. Mittlerweile erzähle ich wohl klarer und deutlicher als damals, weil ich selbst verstehen will. Ich versuche nur, immer genauer hineinzuschauen in den Urtext. So versuche ich zum Beispiel, bei Verdis „Luisa Miller“ auch etwas von Schillers „Kabale und Liebe“ auf die Bühne zu bringen, weil man bis 1815 auf dem Theater viel mehr sagen und machen konnte als nach Metternich in den europäischen Polizeistaaten mit ihrer Zensur.
Ist diese Rückkehr nach Gelsenkirchen für Sie etwas Besonderes?
Das kann man wirklich sagen. Ich war ja immer wieder mal da. Da gab es noch mächtig Buh-Konzerte, zum Beispiel bei Mozarts „Figaro“, aber „Don Giovanni“ und meine gegen den Strich gebürstete „Zauberflöte“ wurden total akzeptiert. Ich muss schon sagen, ich bin unglaublich gerne in diesem Haus. Hier gibt es Verbindungen, die es sonst so gar nicht gibt, zu Orchestermitgliedern oder Technikern. Es ist immer sehr persönlich hier. Mein „Onegin“-Programmheft von 1981 ist ein bisschen mein Maskottchen.
Bernarda Albas Haus | 6., 12., 18., 27.5., 4., 10., 24.6. | Musiktheater im Revier, Gelsenkirchen | 0209 40 97 200
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