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Roland Schwab
Foto: Enrico Nawrath

„Ich liebe die Deutungsoffenheit“

27. Februar 2025

Regisseur Roland Schwab über „Parsifal“ am Essener Aalto-Theater – Interview 03/25

Im Interview spricht Schwab über seinen Umgang mit Religion in Richard Wagners Gralsepos über Versuchung und Erlösung.

trailer: Herr Schwab, mit Richard Wagners „Parsifal“ kann man sich ein Leben lang beschäftigen. Wo sind Sie für Ihre Essener Inszenierung angekommen?

Diese Frage habe ich mir vor einigen Tagen auch gestellt. „Parsifal“ ist eine Lebensreise: Man kommt an und kommt doch nicht an, lernt aus Verirrungen – oder nicht. „Parsifal“ stellt die philosophische Dimension des Gehens, des Wandelns und Verwandelns auf der Bühne dar. Er geht einen Weg des Irrens, Leidens, Reifens und Wissens. Am Ende steht er, im Wissen um das Mitleid gewandelt, wieder am Anfang.Eigentlich ist es ein Sakrileg, die drei Akte von „Parsifal“ in nur drei Wochen durchzuinszenieren. Dem Stoff gegenüber ist das nicht adäquat. Für die Regie ist das Werk eine ungeheure Herausforderung. Aber zur Frage: Man kommt nie an. Das Stück erlebt man immer neu.

Wie steht es mit der Religion im „Parsifal“? Die Tendenz neuerer Inszenierungen geht ja dahin, das Religiöse wegzunehmen.

Dem „Parsifal“ wird oft vorgeworfen, eine Ersatzreligion zu sein. Dazu bekenne ich mich: Es ist eine Religion, die der Menschheit glücklicherweise aber viel weniger Schaden zugefügt hat als andere Religionen. Für mich hat „Parsifal“ eine heilende Wirkung, die ich oft so erlebt habe. Wenn der erste Akt gut dargeboten wird, geht man aus dem Erlebnis gereinigt hervor. Ich habe keine Abgrenzungsnöte gegen das synkretistische Christentum des „Parsifal“. Für Puristen mag das bedrohlich sein – das sehe ich nicht so. Alle Religionen haben Schnittmengen, die einer Wahrheit entsprechen.

Wie nähert man sich dieser Religion als Regisseur?

Das ist meine persönliche Einstellung: Ich verbiete mir bei Wagner jede Form von Relativierung oder Ironisierung. Wir haben große Themen abzuhandeln. Sie auf den Alltag runterzubrechen, mit humoristischen Mitteln Substanz wegzuwitzeln, ist ein Armutszeugnis. Diesen Eskapismus möchte ich mir nicht erlauben. Natürlich ist man oft ohnmächtig, das „Mysterium“ zu erklären. Doch Wagner lässt sich nicht festnageln: Das „wunderbare Geheimnis“ soll nicht entschlüsselt werden. Menschen neigen zu dem Verlangen, eine Deutung serviert zu bekommen. Ich liebe die Deutungsoffenheit – und Wagner bleibt für alle Zeiten relevant, weil er dieses großes Spektrum von Deutungen zulässt. Er ist die komponierte Unschärfe.

„Geheimnis“ bedeutet hier ja nicht, etwas zu wissen, was man einem anderen nicht erzählt. Sondern eine unerschöpfliche Wahrheit: Es kann immer noch etwas dazukommen.

Wenn wir im Unsagbaren angekommen sind, dann sind wir bei der Wahrheit. Gurnemanz antwortet auf die Frage nach dem Gral: „Das sagt sich nicht.“ Das ist ein Schlüsselsatz, der leicht untergehen kann. Gurnemanz drückt sich nicht davor, die Wahrheit auszusprechen. Sondern er verdeutlicht: Die Essenz der Wahrheit lässt sich nicht in Worte fassen.

Eine der rätselhaften Figuren ist die Kundry, die schon für endlose Interpretationen gesorgt hat. Wie kommt Ihnen diese Figur vor?

Eine einzigartige Figur in der Operngeschichte: Kundry geht durch die Membranen der Zeit hindurch, ohne Bewusstsein, welche Welt sie gerade verlässt. Es gibt Deutungen, die sie auf die Rolle des „ewigen Juden“ verengen. Das ist nicht mein primäres Thema. Kundry ist – lange vor Janáčeks „Sache Makropulos“ – eine faszinierende Zeitengängerin. Was macht man aus dieser ungreifbaren Existenz? Wir wollen die ewige Zeit zum Bild werden lassen. Ihre Essenz zeigen wir zum Schluss: eine schutzlose Gestalt, in der die Schmerzen aller Zeit zusammenfließen. Am Ende wird sie von der Zeit erlöst. Kundry darf heimgehen, im buddhistischen Sinn aus dem Kreislauf des Leidens aussteigen und sich im Nirwana verlieren.

Bei Wagner findet sich ein Dualismus, der schon in „Die Feen“ grundgelegt ist und sich bis zum „Parsifal“ durchzieht. Wie kann man mit diesem Gegensatz von sinnlicher und geistiger Liebe heute umgehen?

Ich bin sehr religiös erzogen worden; mich betrifft diese Vorstellung einer schuldbeladenen Sexualität, von der Verdrängung der Venuswelt im „Tannhäuser“ bis zum Versuch der Entsagung im „Parsifal“. Der unter katholischem Druck aufgewachsene Martin Walser hat einmal gesagt, was er erlebt habe, habe ihm für die Kunst gutgetan. Das Bewusstsein für Schuld und Sünde, das mir als Kind eingeimpft wurde, setzt etwas frei. Ich habe mit dem Thema kein Problem; der Umgang mit den sexuellen Trieben ist ein Grundakkord aller Religionen. Die Ritter, die „in grausen Nöten den Leib sich quälen und ertöten“, sind zeitgenössisch. Wer an eine intakte Ritterschaft glaubt, sollte sich diesen Satz Parsifals ansehen. Ob Klingsor da der Übelste ist, ist noch die Frage.

Der berühmte letzte Satz, „Erlösung dem Erlöser“: Wem gilt dieser Satz?

Wir sind in einer Zeit, in der wir nicht mehr an Erlösung glauben. Dargestellte Erlösung auf der Bühne kann es gar nicht mehr geben. Parsifal ist völlig allein gelassen, er suggeriert sich eine Heilung, eine Erlösung. Er ist wie ein Rufer in der Wüste, ein einsamer Glaubender. Unser Parsifal, Robert Watson, stellt diese schutzlose Existenz, diese verletzliche Gestalt, diese Fokussierung auf die bloße, nackte Seele, wunderbar dar. 

Parsifal | 16. (P), 30.3., 18.4., 18., 29.5., 8.6. | Aalto-Theater Essen | 0201 812 22 00

Werner Häußner

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