Angesichts des hohen Altersdurchschnitts der BesucherInnen im Veranstaltungsraum des Dachgeschosses im Bahnhof Langendreer fragt einer der Gäste den Referenten Erich Später nach Tipps, wie man Jüngere für das Thema interessieren kann. Doch der Altersdurchschnitt ist für den Historiker nicht repräsentativ: „Das Thema ist ungeheuer – das trifft sowohl auf Ältere und Jüngere zu.“
Und dieses Thema der Veranstaltung ist alles andere als leichte Abendunterhaltung: Der Vernichtungskrieg der Nazis im Osten. Später fügt mit Blick auf den Auftakt der sogenannten „Operation Barbarossa“ hinzu: „Ich selbst halte den 22. Juni 1941 für ein zentrales Datum deutscher Geschichte. Ein radikaler Zugriff auf dieses Thema ist aber notwendig.“ Damit kommt Später dann in der Diskussion, die auf seine Lesung folgte, auf einen Punkt, der nicht nur erklärt, warum dieses Thema für Jüngere interessant ist, sondern was HistorikerInnen noch zu forschen oder auszufüllen haben: „Es gibt buchstäblich keine politisch brauchbare Darstellung der Befreiung von Auschwitz.“
Stattdessen sieht er als Historiker eine Tendenz, die in die andere Richtung geht, wie er erläutert: „Das konkrete Wissen wird immer geringer. Es gibt so einen Reflex der Leute zu sagen: ,Ich kann das Thema nicht mehr hören‘“ Dabei scheint gerade bezüglich der systematischen Ermordung während des Vernichtungskrieges eine eklatante Forschungslücke zu bestehen, worauf Später hinweist: „Warum hat bisher niemand eine Doktorarbeit darüber geschrieben?“
Die immense Bedeutung des Ostfeldzugs von Nazi-Deutschland sieht er auch im strukturellen Unterschied zum bisherigen Kriegsverlauf. So sei das Bestreben nach einer neuen Ordnung der Menschheit militärisch wie politisch in die Tat umgesetzt worden – „ein Versuch, den Planeten neu zu ordnen. So etwas gab es noch nie!“ Daher spricht er auch in Anlehnung einer Schrift des Hitler-Biographen Joachim C. Fest, der zum ersten Mal den Begriff in diesem Zusammenhang verwendet habe, in seinem gleichnamigen Buch vom „Dritten Weltkrieg“.
Der VernichtungsKrieg der Nazis eröffnete eine neue Ebene was das Maß an Brutalität angeht. Die Schrecken der Konzentrationslager seien in ihrer Systematik nicht davon zu trennen. Spannend wie erschütternd ist Späters Text, wenn er analysiert, wie sehr Imperialismus, Militarismus , Rassismus und Antikommunismus in der NS-Ideologie, die „mentale Mobilmachung“, mit dem militärischen Kalkül, der systematischen Ermordung von Millionen verknotet sind und letztendlich auf den Juni 1941, den Überfalls auf die Sowjetunion, hinaus laufen – als Zerschlagung des „jüdischen Bolschewismus“.
„Der Aufruf zum Massenmord wurde ein integraler Bestandteil der Taktik der Wehrmacht.“
In den Kapiteln seines Buches, das als Projekt auf einen längeren Artikel im Politmagazin „Konkret“ folgte, weist er zudem auf zwei Faktoren hin, die ursächlich waren für den faschistischen Vernichtungskrieg im Osten: Zum einen war es für die Nationalsozialisten wesentlich, den Bolschewismus als organisierte politische Formation der ArbeiterInnen zu zerschlagen. Vor allem waren die Gebiete im Osten aber auch von ökonomischem und geopolitischem Interesse, weswegen für das Ziel Nazi-Deutschlands, eine „autarke Großraumwirtschaft“ zu etablieren, die Eroberung dieser Gebiete notwendig war.
Genau in diesen Gebieten finden heute wieder aus ebenso wirtschaftlichen Interessen kriegerische Konflikte statt. Auch das wäre für Jüngere ein Grund, sich damit auseinander zu setzen.
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