Aufgrund der aktuellen politischen Entwicklungen in Deutschland und Europa haben die künstlerische Leitung des Schauspiel Essen und Regisseur Hermann Schmidt-Rahmer kurzfristig entschieden, den Spielplan der laufenden Saison zu ändern: Anstatt des ursprünglich angekündigten Projektes „Ich habe nichts zu verbergen – Mein Leben mit Big Data“ wird Mark Ravenhills Theaterstück „Wir sind die Guten“ im Grillo-Theater Premiere feiern. Das ist zwar nach dem Bombenattentat 2005 in London entstanden, scheint aber immer noch hochaktuell zu sein.
trailer: In Berlin bei Peymann hieß das Stück „Freedom and Democracy: I Hate You“. Warum heißt es in Essen „Wir sind die Guten“?
Hermann Schmidt-Rahmer: Das ist ja auch ein neuer Titel. Im Original heißt es „Shoot. Get Treasure. Repeat.“ Das lässt sich kaum sinnvoll übersetzen und wir wollten einen deutschen Titel. „Wir sind die Guten“ fand ich angesichts dieser ganzen hochgekochten Pegida-Geschichte einen treffenden Titel. Das war für mich der ausschlaggebende Punkt.
Die europäischen Patrioten kommen also auch darin vor?
Ja. Wir haben Texte aus Originalinterviews von Pegidisten mit eingebaut. Wir denken im Grunde genommen auch den ganzen Stoff auf dieser Folie.
Wie viele der 17 Tragödien der westlichen Welt von Mark Ravenhills Ministücken werden denn in Essen inszeniert?
Fünf.
Das Böse ist immer und überall – daran wird sich auch nichts ändern. Sind wir nicht die eigentlichen Bösen?
Ich glaube Gut und Böse gibt es nicht. Die Krux besteht ja darin, dass Gesellschaften dazu tendieren, bestimmte Dinge als gut oder böse zu definieren, anstatt erst einmal auf den Einzelfall zu schauen. Das ist klar, das muss im gewissen Sinne auch so sein, sonst kann man politisch ja auch nicht handeln. Natürlich zieht sich dieser Riss durch die Gesellschaften. Und wir als Bürger tendieren dazu, erst einmal das Fremde insgesamt als das Böse zu sehen, anstatt zu bemerken, dass das immer auch Individuen sind.
Aber wenn man in den Irak oder nach Syrien schaut, dann ist es doch eher so, dass die westliche Welt diese Zustände verursacht hat, die da heute herrschen.
Also ich würde eher sagen, sie hat das noch Schlimmere freigesetzt. Nur zu sagen, dass diese Situation der US-amerikanischen Intervention geschuldet ist, greift meiner Meinung nach zu kurz, weil die Verhältnisse dort natürlich vorher auch nicht ersprießlich waren. Die Bush-Politik ist das Verbrechen des 21. Jahrhunderts – das kann man schon fast sagen, aber was da vorher gewesen ist, der Krieg zwischen Iran und Irak, das System Saddam Hussein ist auch eine Form von Faschismus gewesen.
Aber Khomeini ist im Iran doch erst einmal bejubelt worden, vom Volk und den Intellektuellen?
Na ja, das ist ja häufig so in jeder Revolution, am Anfang steht eine wahnsinnige Hoffnung und sobald dann die Mühlen der Ebenen kommen, stellt sich oft das Gegenteil heraus.
Ist der Reiz der IS für Jugendliche nicht auch die logische Kausalität der Brutalität von Videospielen?
Ja. Ich will mal sagen, sie hat es nach den Videospielen einfacher gehabt. Was Neues ist der IS, glaube ich, nicht. Weil natürlich durch dieses verdammte Internet und diese verdammte mediale Globalisierung sich Reize in Echtzeit verbreiten und jeder Depp in Mittelengland sich plötzlich als Islamist fühlt, der vorher vielleicht lieber Fußball gespielt hätte.
Haben wir denn überhaupt noch etwas zu verteidigen?
Also das sehe ich ja ganz anders. Wir haben ganz viel zu verteidigen. Ich finde, dass wir zu bequem und zu doof sind, um mal wirklich zu fragen, was denn unsere eigentlichen Werte sind. Und dass wir als westliche Gesellschaft viel zu wenig benennen, wofür wir eigentlich stehen. In unserer unendlichen konsumistischen Verblödung wird ganz selten darüber nachgedacht. Und das sind eben die Werte der Aufklärung. Ganz eindeutig. Das, finde ich, haben wir auch zu verteidigen, und man muss das auch zeigen. Gegen diese Pegida und gegen den IS. Einfach gegen beide Seiten.
Und das Theater ist dafür der richtige Ort?
Absolut. Also Theater finde ich insofern den richtigen Ort, als das der Ort ist, in dem live und diskursiv nachgedacht wird. Wirklich zwischen Menschen, die anwesend sind und nicht immer nur durch diesen medialen Filter.
Und wie verhindert man beim Publikum die designte Betroffenheit?
Wunderbare Frage. Indem man sie erstmal so richtig saftig in ihren Vorurteilen bestätigt. Das werden wir tun.
„Wir sind die Guten“ | Sa 25.4.(P), Mi 6.5., Fr 22.5. je 19.30 Uhr, Do 14.5. 19 Uhr | Grillo-Theater Essen | 0201 812 26 00
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