trailer: Kommen wir direkt zur Kernfrage, die den ganzen Diskurs beherrscht: Wie weit geht Redefreiheit, was „wird man noch sagen dürfen“? Wo ziehen Sie die Grenze?
Max Adelmann: Um auf den konkreten Fall der sogenannten Bürgerwehr einzugehen: Mitglieder der Facebook-Gruppe haben uns Screenshots von Online-Diskussionen geschickt, in denen es ums Streife laufen und den Nutzen von Pfefferspray und Schreckschusspistolen ging. Wir haben uns auch einige Protagonisten der Gruppe angeschaut, darunter gewaltbereite Rechtsextreme. Wir setzen uns nicht mit solchen Leuten an einen Tisch, sondern setzen lieber darauf, dass sich die Vernünftigen aus dieser Gruppe lösen. Aber sich mit gewaltbereiten Kriminellen an einen Tisch zu setzen, ist außerhalb jeglicher Diskussion.
Manche bezeichnen die Reaktionen auf das Angebot Reinhard Wiesemanns, sich mit der „Bürgerwehr“ im UPH zu treffen, als Shitstorm...
Und wenn nun die Mehrheit anderer Meinung ist als er, ist das kein Shitstorm. Andererseits hat sich die Situation auch sehr hochgeschaukelt, teilweise in einem unangebrachten Stil. Aber das war nicht von uns beabsichtigt. Für uns war die Sache nach unserer Kundgebung, wo er ja auch Redezeit bekommen hat, gegessen. Das UPH aus Sicherheitsgründen zu schließen, halten wir aber für eine vollkommen unangemessene Reaktion auf unsere angemeldete Kundgebung.
Neonazis gesellschaftlich isolieren ist nachvollziehbar. Aber was ist mit den unideologischen Mitläufern, die vielleicht „noch zu retten“ sind?
Abgesehen davon, dass wir keine Bürgerwehr in Essen brauchen: Es gibt hier Gruppen, die Ähnliches bereits tun. In Kettwig beauftragen Privatleute eine Sicherheitsfirma zum Einbruchschutz. Es gibt eine Facebook-Gruppe, die ihr Viertel beobachtet und Auffälligkeiten meldet – oft ist das nur nicht angemeldeter Sperrmüll, aber das ist eine andere Geschichte. Aber es sind absolut friedliche Projekte. Warum die Leute, die diese „Bürgerwehr“ gründen wollten, sich nicht lieber daran beteiligen, weiß ich nicht.
Noch einmal konkret zum Unperfekthaus: Diese „Bürgerwehr“ trifft sich sowieso – was wäre Ihnen lieber: Im Geheimen in irgendeinem Essener Hinterhof, oder, wie von Herrn Wiesemann geplant, in der Öffentlichkeit, im Unperfekthaus?
Die Facebook-Gruppe war ja von vorneherein geschlossen. Aber wenn man, so wie wir, erfährt, dass es in die Illegalität hineingeht, dann gehört das öffentlich gemacht. Dann trifft man sich nicht mit denen, sondern ergreift Gegenmaßnahmen. Und zwar mit Wissen, Argumenten und Beispielen. Das ist unheimlich schwierig, aber ein Muss.
Der Rechtsruck speist sich aus Unzufriedenheit – ist er damit nicht auch ein Symptom gescheiterter Sozialpolitik?
Was wir ernten sind die Früchte des Nichtstuns der letzten Jahre. Man braucht sich über einen Rechtsruck gar nicht wundern: Es gibt seit 20 Jahren empirische Studien die zeigen, dass 15 bis 20 Prozent der Bevölkerung für rechtsextreme Ansichten empfänglich sind. Das ist nur nie offen benannt worden. In den letzten Jahren sind diese Einstellungen salonfähig geworden – und das ohne dass die Mitte der Gesellschaft sich gewehrt hat.
Max Adelmann (59) ist Sprecher des Bündnisses „Essen stellt sich Quer“, das sich gegen Rechtsextremismus engagiert.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
4½ Sterne für Auschwitz
Shahak Shapira am 13.6. im Dortmunder Megastore – Spezial 06/17
Gespaltene Gesellschaft
„Talk im DKH“ mit Christoph Butterwegge und Werner Patzelt am 1.7. in Dortmund
Pluralismus ertragen
Wie viel Freiheit gestehen wir einander zu?
Zukunft geht nur gemeinsam
Neue Ausgabe des Birlikte-Festivals in Köln-Mülheim – Spezial 06/15
Zusammen HALT !
BIRLIKTE kehrt mit ungebrochener Lebensfreude am Sonntag nach Köln zurück
„Die V-Leute lügen genauso wie die Nazis“
„Blackbox NSU“ am 21.5. im Schauspiel Dortmund
„Es gibt keine politisch brauchbare Darstellung der Befreiung von Auschwitz“
„Der Dritte Weltkrieg“ am 13.5. im Bahnhof Langendreer
„Wir haben ganz viel zu verteidigen“
Terror statt Datenklau. Hermann Schmidt-Rahmer inszeniert in Essen Mark Ravenhills Theaterstück „Shoot / Get Treasure / Repeat“ – Premiere 05/15
Partizipation und Abwehrzauber
Theater als sozialaktivistischer Treibriemen – Theater in NRW 12/14
Dagegen mit Konzept
Tagung gegen Rechtsextremismus fand am 14.6. im Bahnhof Langendreer statt
„Eine Abstimmung findet im Buchladen statt“
Eberhard Seidel über rechtspopulistische Entwicklungen – Thema 06/14 Rechtsdrehung
Weihnachtsmänner outen Rechtsradikalen
An der Ruhr-Universität Bochum machen linke Aktivisten rechten Aktivisten das Leben schwer – Thema 06/14 Rechtsdrehung
Ehrung für ein Ruhrgebiets-Quartett
Verleihung des Brost-Ruhr-Preises 2024 in Bochum – Spezial 11/24
Klimaschutz = Menschenschutz
„Menschenrechte in der Klimakrise“ in Bochum – Spezial 11/24
Digitalisierung 2.0
Vortrag über KI in der VHS Essen – Spezial 10/24
Minimal bis crossmedial
Rekorde und Trends auf der Spiel Essen – Spezial 10/24
KI, eine monströse Muse
12. Kulturkonferenz Ruhr in Essen – Spezial 09/24
Wurzeln des Rechtsextremismus
Online-Vortrag „Ist die extreme Rechte noch zu stoppen?“ – Spezial 09/24
Wem gehört die Ökosphäre?
Seminar „Die Rechte der Natur“ in der VHS Dortmund – Spezial 05/24
Stimmen der Betroffenen
Vortrag über Israel und Nahost in Bochum – Spezial 04/24
Außerhalb der Volksgemeinschaft
Vortrag über die Verfolgung homosexueller Männer in der NS-Zeit in Dortmund – Spezial 04/24
„Ruhrgebietsstory, die nicht von Zechen handelt“
Lisa Roy über ihren Debütroman und das soziale Gefälle in der Region – Über Tage 04/24
Unterschiedliche Erzählungen
Vortrag zur Geschichte des Nahostkonflikts in Bochum – Spezial 03/24
„Was im Ruhrgebiet passiert, steht im globalen Zusammenhang“
Die Dokumentarfilmer Ulrike Franke und Michael Loeken über den Strukturwandel – Über Tage 03/24
Geschichte der Ausbeutung
„Wie Europa Afrika unterentwickelte“ im Bochumer Bahnhof Langendreer – Spezial 02/24