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Kein Symbol für ökonomische Gerechtigkeit mehr
Foto: Benni Klemann

„Europa entwickelt sich autoritär“

28. Juli 2016

Blockupy-Sprecherin Hannah Eberle über Missstände der Europapolitik – Thema 08/16 Gleichheit

trailer: Frau Eberle, Sie sind Pressesprecherin des Blockupy-Bündnisses. Was genau ist Blockupy?
Hannah Eberle: Blockupy ist ein Teil eines europaweiten politischen Netzwerks von sozialen Bewegungen und Gruppen wie Attac, Teilen der Linkspartei oder auch linksradikalen Gruppen wie die Interventionistische Linke oder ums Ganze! Es gibt Blockupy in Griechenland, Spanien, Portugal und Frankreich. Blockupy ist eine europäische Bewegung, die den Fokus auf europäische Politik legt und da eine Veränderung erzielen will.

Was denken Sie über den oft gesagten Satz „Wir sind Europa“?

Hannah Eberle
Foto: Privat
Zur Person:

Hannah Eberle (26), Bachelor in Kultur und Technik, war früher Heidelberger Jugendgemeinderätin. Heute ist sie Aktivistin und Pressesprecherin der Blockupy-Bündnisses für die Interventionistische Linke.


Blockupy sagt, dass das Europa das wir jetzt haben, sich autoritär entwickelt und soziale Gerechtigkeit und Gleichberechtigung unmöglich gemacht wird. Die EU ist ein Wirtschaftsprojekt, in dem es um die Profitinteressen einiger Weniger geht, während ein Großteil der EU-Bürger unter Armut leidet. Am stärksten zu sehen war das im Gefälle zwischen dem Norden und dem Süden Europas. Die deutsche Politik hat maßgeblich dazu beigetragen, dass die Länder des Südens in die Armut getrieben worden sind. Es trifft die Menschen, die lohnabhängig sind, arbeitslos, alt oder krank sind oder eben Kinder und Jugendliche am Härtesten, sie werden abgehängt während sich ein paar wenige den Profit einstreichen. Wir brauchen eine europäische Antwort darauf. Es bringt nichts, sich in einen Nationalstaat zurückzuziehen. Wir haben die EU, wir haben Europa und um beides lohnt es sich zu kämpfen.

Wie ist in Ihren Augen Deutschland an der Misere der südlichen Staaten beteiligt?
Da gilt es, zwei Entwicklungen zu berücksichtigen. Die eine ist, dass es natürlich in den Ländern des Südens verkrustete Strukturen gab. Beispielsweise ein starkes Armutsgefälle, das sich in den letzten Jahren aufgebaut hat. In ganz Europa hat sich die Sozialdemokratie abgeschafft und wir erleben eine Wandlung dahin, alles immer noch schneller, neoliberaler und wirtschaftsliberaler zu machen. Auch in Deutschland herrschen soziale Ungleichheiten. Gleichzeitig zielt es auf einen Exportüberschuss und ist damit maßgeblich für die autoritären Sparauflagen in Griechenland verantwortlich. Es ist absurd, dass Deutschland die Griechen zwingt weiter zu sparen, die Armutsquote dadurch weiter steigt und dann gleichzeitig deutsche Firmen von den Zwangsprivatisierungen profitieren.

Im letzten Jahr gab es eine große Blockupy-Aktion vor der Europäischen Zentralbank. Warum haben Sie sich die EZB ausgesucht?
Die EZB gehört zur Troika. Uns ist es wichtig klarzustellen, dass nicht eine Institution oder eine Regierung verantwortlich ist, für all das Übel das es gibt. Es ist tatsächlich etwas Systemisches. Wir leben in einem System, das darauf angelegt ist, dass Geld weiter akkumuliert wird, dass es neue Anlagemöglichkeiten gibt. Soziale Ungleichheit ist nichts, das in Europa vom Himmel gefallen ist. Mit der Vermehrung von Reichtum geht auch die Vermehrung von Schulden einher. Die EZB hat als Teil der Troika die Form der Spardiktatur und den herrschenden Politikbetrieb immer mitgetragen. Wir haben nicht gesagt, wir gehen zur EZB weil sie das absolute Böse ist, sondern wir sind zur EZB gegangen, weil sie eine Politik mitträgt, die auf Kosten derjenigen geht, die eh schon ganz unten sind, die abhängig sind und aufgrund von Armut sterben.

Im September gibt es die nächste Aktion von Blockupy, diesmal vor dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales.
Wir haben dieses Ministerium gewählt, weil es Teil der deutschen Regierung ist. Diese Regierung befördert das Auseinanderbrechen Europas, durch das Festhalten an einer Verelendungspolitik. Nachdem der Versuch eines Politikwechsels in Griechenland „gescheitert worden ist“, weil es eine Erpressung auch von Seiten der deutschen Regierung gab, haben wir gesagt, dass wir in Solidarität mit den Menschen des Südens zur deutschen Regierung gehen. Gleichzeitig haben wir ein Europa, das sich an den Außengrenzen abschottet, das wofür die Geflüchteten mit dem Leben zahlen. Die deutsche Politik trägt das maßgeblich mit. Zudem macht sich Deutschland dafür stark, dass die MigrantInnen auch gerade aus dem Süden Europas nicht mehr nach Deutschland kommen können. Es ist absurd, dass eine Regierung, die durch Ihre Politik Flüchtlinge produziert, jetzt die Grenzen dicht macht. Deswegen wollen wir die Regierung angreifen. Besonders das Ministerium für Arbeit und Soziales, weil dieses Ministerium die Gesetzte entwickelt, dass Leute, die aus Spanien oder Griechenland oder auch aus osteuropäischen Ländern nach Deutschland kommen wollen, keinerlei Sozialhilfe erhalten sollen, wenn sie nicht schon vier oder fünf Jahre hier gearbeitet haben. Das deckt sich dann auch mit den Aussagen von Parteien wie der AfD. Das Ministerium hat eine ganz bestimmte Art von Logik bezüglich Arbeit und sozialer Spaltung. Wir haben hier in Deutschland unglaublich viele prekäre Beschäftigungssektoren, es gibt Menschen die in mehreren Jobs arbeiten müssen, um überhaupt überleben zu können. Da fragt man sich schon wo das Geld ist, das eigentlich dabei entstehen müsste. Das führt alles zu einer sozialen Spaltung, gegen die wir auf die Straße gehen wollen

Es gibt einen Aufschwung von Rechtspopulismus nicht nur in Deutschland, sondern allgemein in Europa. Ist das der Ausdruck einer verfehlten Politik?
Es gibt nicht den einen Ursprungsgrund, warum wir vor dieser rechtspopulistischen Tragödie stehen. Ich glaube zum einen, dass es einen fest verankerten Rassismus in der Gesellschaft gibt und der war auch in den letzten Jahrzehnten immer da. Der Rassismus hat nur durch den Rechtspopulismus die Möglichkeit bekommen, wieder sichtbar zu werden.

Natürlich hat Rassismus auch eine soziale Komponente. Wenn wir uns anschauen, dass viele Arbeiterinnen und Arbeiter, Lohnabhängige oder Arbeitslose immer wieder Rechts wählen, dann hat das etwas mit einer verfehlten Politik, mit einer sozialen Spaltung in der Gesellschaft zu tun, die die Leute dazu bringt, die Abwehrmechanismen woanders zu sehen. Das heißt, wir können nicht, wenn wir von der AfD sprechen, von der SPD schweigen. Ich glaube wir müssen uns außerdem bewusst machen, dass die Geflüchteten, die jetzt hierher kommen, ihre Länder sicherlich nicht gern verlassen haben. Sie flüchten aus Kriegsnot oder sozialer Not. Europa ist an den Zuständen nicht unschuldig. Wir haben eine hohe Verunsicherung, die von der herrschenden Seite produziert wird. Das verängstigt die Menschen und so kommt es dann auch zum Rechtspopulismus.

Was denken Sie über den Brexit?
Der Brexit stellt uns alle vor ein Problem, aber genauso wäre „Remain“ ein Problem gewesen. Aus einer sozial gerechten, linken und kämpferischen Perspektive ist beides fatal. Wir müssen uns bewusst machen, dass der Brexit etwas ist, das von Rechts erkämpft worden ist. Was ich sehr schlimm finde: Die Menschen, die in den Brexit Hoffnungen setzen, werden die sein, die am wenigsten profitieren. Um die wirtschaftsliberalen Beziehungen mache ich mir keine Gedanken, da werden sich die Regierungen schnell wieder einigen. Ich glaube, wir müssen an Europa festhalten und an der EU. Etwas im Nationalstaatlichen zu ändern und zu hoffen, dass dann Besserung eintritt, ist meiner Meinung nach ein Trugschluss.

Was muss sich ändern, um gerade die sozialen Missstände in Europa in den Griff zu bekommen?
Auch wir haben als Blockupy nicht die eine Lösung. Es gibt aber drei Ansatzpunkte, über die man dringend sprechen muss. Es gibt eine Krise der Repräsentation, gerade junge Leute, oder Menschen die sich in einer schwierigen sozialen Lage befinden, haben kein Vertrauen mehr in die Regierung. Zu Recht, wie ich finde. Wir brauchen neue Formen von demokratischen Strukturen: Die Menschen müssen mitentscheiden können, sie müssen die Möglichkeit haben, sich bei Wunsch nach Veränderungen irgendwo einbringen und partizipieren zu können. 

Zusätzlich glaube ich, dass man die Frage nach Vergesellschaftung und Vergemeinschaftung noch einmal ansprechen: Es ist kein Dauerzustand, dass überall in Europa Zwangsräumungen passieren, dass es ein Zweiklassen-Gesundheitssystem gibt. Es braucht Zugang zu Bildung und zu Wohnraum. Wenn Europa nicht anfängt sich zu überlegen, wie man den Finanzkapitalismus bändigt, sondern auch wie wir unsere Welt gestalten, ohne dass der Profit bei einigen Wenigen landet. Man darf nicht die Grenzen schließen und die Menschen an den Außengrenzen sterben lassen, und dann noch mit einer unglaublichen Unsicherheit regieren. Da müssen wir ansetzen.

Ist Europa noch zu retten?
Das vermag ich nicht zu sagen, aber wer nicht kämpft, hat schon verloren. Und wir werden kämpfen. Wir machen uns nicht klein. Am Ende wird es davon abhängen, ob es die Leute schaffen, ihre Angst zu verlieren, wie damals in Griechenland. Dort hat man klar gesagt: Jetzt ist es genug. Wir gehen auf die Straße, wir sind aktiv, wir begeben uns in Streik, wir schauen nicht weg wenn Rassismen passieren, an unseren Hochschulen, Schulen und in unseren Arbeitsbereichen. Wir tun uns zusammen und nehmen uns die Städte zurück. Wenn Menschen verstärkt protestieren, dann kann sich alles noch zum Positiven wenden. Aber wir müssen die Angst verlieren und miteinander ins Gespräch kommen.


Lesen Sie weitere Artikel 
zum Thema auch unter: choices.de/thema

Aktiv im Thema

www.diem25.org | Democracy in Europe Movement 2025: im Februar 2016 gegründete paneuropäische Bewegung
www.blockupy.org | Europaweites, politisches Netzwerk von sozialen Bewegungen und Gruppen
www.attac.de | Attac Deutschland

Thema im September: BRÜDERLICHKEIT
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NINA RYSCHAWY

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