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Produzent Adrian Campean gab Einblicke in das Filmprojekt „Frau Stern“
Foto: Benjamin Trilling

Mit 90 Jahren fängt das Leben an

30. August 2019

„Frau Stern“ und Publikumsgespräch mit Produzent Adrian Campean in Essen – Foyer 09/19

Ella Fitzgeralds Song „Summertime“ besingt die Leichtigkeit, die himmelblaue Tage versprühen, sonnige Morgenstunden, die zum Singen einladen. Es ist das Lieblingslied von Frau Stern. Bei einer Karaoke-Party vor bestens gelaunten, jungen Gesichtern haucht sie Fitzgeralds Verse ins Mikrophon. Traurig und tief in sich versunken. Frau Stern feiert an diesem Abend ihren 90. Geburtstag. Vor Jahrzehnten hat sie ein Konzentrationslager überlebt. Die kerngesunde Kettenraucherin äußert nur einen Wunsch: Sie will selbstbestimmt sterben.

Regisseur Anatol Schuster zeichnet ein tragikomisches Porträt dieser titelgebenden Figur, gespielt von Ahuva Sommerfeld. Ihre Entscheidung, ihrem Leben ein Ende zu setzen, scheitert jedoch an der Ausführung. Regisseur Schuster zeigt, wie sie auf den Schienengleisen krabbelt, sich hinlegt. Bis ihr schließlich ein Passant aufhilft. Auch ihr Arzt winkt nach Anfrage natürlich ab. Was soll denn das für ein Bild ergeben, wenn ein deutscher Arzt einer Jüdin beim Selbstmord hilft, fragt er zurück.

So tragen diese Suizidpläne makabre Züge, auch als Frau Stern schließlich in einer Kneipe nach einer Knarre fragt. Irgendwann krallt sich die Dame zufällig tatsächlich eine Waffe, die sie fortan ständig griffbereit hält. Die Berlinerin schwankt hin und her, zwischen Selbstmordplänen und Lebenskunst. Denn ihre Enkelin zieht sie in den pulsierenden Großstadtsog, dort, wo die jungen Menschen tanzen, feiern und lieben.


Szene aus „Frau Stern“, Foto: Neue Visionen Filmverleih

„Diese jungen Menschen haben keine Schuld“, sagt die 90-Jährige beim einem TV-Auftritt, als es um die Shoah geht. „Deswegen bin ich mit vielen von ihnen befreundet.“ Nur mit der älteren deutschen Generation möchte Frau Stern nichts zu tun haben, darauf beharrt sie trotzig. Daher hängt sie etwa zwischen ihrer jungen Enkelin (Kara Schröder) und einem Freund in den Kissen. Die 90-Jährige lässt einen Joint herum gehen – Marihuana ist gut für die Durchblutung, erklärt sie weise an anderer Stelle. Sie nimmt einen tiefen Zug, versucht, den schwulen Freund ihrer Enkelin zu küssen. Doch der winkt ab. „Du steht auf Männer?“ Er nickt. Sie: „Ich auch“. Dass „Frau Stern“ so leichtfüßig von erotischen Begierden im Alter erzählt, liegt an der Leistung von Ahuva Sommerfeld.

Authentisch ist in diesem Fall keine anbiedernde Charakterisierung. Denn Sommerfeld war keine Schauspielerin, als die Klappe für den Film fiel, wie Produzent Adrian Campean im Filmstudio erzählt: „Sie stand das erste Mal vor der Kamera und entwickelte sich während der Dreharbeiten.“ Rund um ihre Person entstand nach einer Bekanntschaft die Idee des Projekts. Nach dem ersten Skript-Entwurf winkte Sommerfeld ab, sie erkannte sich nicht wieder. Bis es passte. Dazu gehörte auch ihr großzügiger Nikotinkonsum, und zwar vor wie hinter der Kamera, wie Campean scherzte: „Zwischendurch meinte sie, dass sie jetzt mal für sich rauchen müsse.“

Das Ergebnis auf der Leinwand spiegelt trotzdem eine Mischung aus Realität und Fiktion wieder, so Campean: „Sie hat nicht selbst das KZ überlebt, sondern ihr Mann.“ Die Premiere von „Frau Stern“ hat die 82-Jährige nicht mehr erlebt. Nach dem Ende der Dreharbeiten verstarb Ahuva Sommerfeld. Doch sie hat das filmische Denkmal einer Frau hinterlassen, die noch im höchsten Alter um junggebliebene Lebenslust ringt – den Sterbewünschen zum Trotz. Fast wie in dem Fitzgerald-Song, in dem es am Ende heißt: „An einem dieser Morgen, wirst du singend aufsteigen. Dann wirst du deine Flügel ausbreiten und zum Himmel hinauffliegen. Aber bis zu diesem Morgen gibt es nichts, was dir schaden kann.“

Benjamin Trilling

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