Die ermutigende Erfolgsstory kommt für das Dortmunder Publikum gerade zum richtigen Zeitpunkt: die Geschichte einer Fußballmannschaft, die nach einer saftigen Niederlage moralisch am Boden liegt, sich wieder aufrappelt und schließlich gar als „Wunderteam“ gefeiert wird. Doch keine schwarz-gelben Borussen stehen dieses Mal auf der Bühne der Dortmunder Oper, sondern eine fiktive ungarische Nationalmannschaft aus den 30er Jahren. Librettist Alfred Grünwald und Komponist Paul Abraham haben sie zu eben jener Zeit für ein fußballbegeistertes Wiener Publikum erfunden.
„Roxy und ihr Wunderteam“ ist Abrahams letzte Operette, bevor der ungarisch-deutsche Jude aus Europa flüchten musste. 75 Mal lief das „Wunderteam“ im Theater an der Wien auf, schaffte sogar den Sprung auf die Kinoleinwand und verschwand dann schlagartig mit dem großdeutschen Anschluss Österreichs samt Originalpartitur auf Nimmerwiedersehen. In Dortmund bietet nun eine „bühnenpraktische Rekonstruktion der Musik“ von Henning Hagedorn und Matthias Grimminger die Grundlage für eine Neuinszenierung von Thomas Enzinger.
Wie die Musikwissenschaftler ist auch der Regisseur um eine möglichst historische Aufführung bemüht – was dem Stück eindeutig nicht gut tut. Wie kaum ein anderes schreit es an diesem fußballverrückten Ort zu dieser leidgeprüften Zeit geradezu nach aktuellen und lokalen Bezügen, die der Wiener Enzinger aber konsequent vermeidet. Dabei hatte schon Abrahams Premierenteam seine Existenz als Fußballmannschaft allein den Vorlieben des österreichischen Publikums zu verdanken. Denn „Roxy“ hatte eine unmittelbare Vorgängerin, die unter dem Titel „3:1 für die Liebe“ bereits in Budapest erfolgreich gewesen war. Dort allerdings wurden die Tore noch im Schwimmbecken erzielt – von einer Wasserballmannschaft.
Nun mag man sich mit dem nostalgischen Charme der Operettenmannschaft noch anfreunden können. Was allerdings über weite Strecken überhaupt nicht mehr funktioniert, sind die Gags à la „Fußball ist wie Schach, nur ohne Würfel“. Vor gut 80 Jahren mögen solche seichten Witzchen noch gezündet haben, heute tun sie es nicht mehr und wirken nur noch platt und müde. In Sachen Humor bedarf die Vaudeville-Operette einer Generalüberholung – sonst dürfte man mit einer revuehaften Aufführung ohne Handlung weitaus besser fahren. Denn musikalisch hat sich die Ausgrabung durchaus gelohnt. Das Operettenpublikum in Wien war fasziniert vom „weltläufigen“ neuen Sound aus den USA, von den Foxtrotts und Ragtimes, der synkopierten Tanzmusik, die seinerzeit als „Jazz“ galt und die Abraham geschickt in seine Operetten zu integrieren wusste. Der junge Kapellmeister Philipp Armbruster lässt sie wieder lebendig werden. Wenn dann noch die bemerkenswert einfallsreichen und witzigen Choreographien von Ramesh Nair hinzukommen, erlebt das Publikum wirkliche Glanzpunkte – vom Stepptanz bis zum Schlafsackhüpfen.
„Roxy und ihr Wunderteam“ | R: Thomas Enzinger | Sa 7.2., Fr 13.2., Mi 18.2., Fr 27.2. 19.30 Uhr | Oper Dortmund | 0231 502 72 22
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