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Haydar, Fatma, Ahmed und Hassan von „12thMemoRise“ bei einer Präsentation des Films „Glaubenskrieger“
Foto: Maxi Braun

„Gott braucht keine Beschützer“

31. August 2017

Aktivist Hassan Geuad über zivilgesellschaftliches Engagement gegen islamistischen Terror – Thema 09/17 Junge Politik

trailer: Was ist 12thMemoRise und wofür steht ihr?
Hassan Geuad: Fangen wir beim Namen an. Wir haben uns bewusst einen gegeben, der ein interreligiöses Zeichen setzt. Die Zahl 12 hat für Juden, Christen und Muslime eine Bedeutung. 2014 haben wir verfolgt, wie sich der IS in Irak und Syrien ausgebreitet hat und dass die Gefahr, die von Salafisten ausgeht, auch in Europa wächst. Die sind auf die Straße gegangen und haben gezielt Jugendliche angesprochen. Da haben wir uns entschlossen, auch öffentlich auf der Straße und im Netz gegen diese Aktionen und den islamistischen Terror insgesamt zu wirken. Wir wollen mit unseren Aktionen das Menschliche in den Vordergrund stellen und vermitteln, dass Religion eine Privatangelegenheit ist. Da lernen wir auch selber in der Gruppe immer noch dazu, aber das ist unser Ziel.

Wie sehen eure Aktionen aus?
Am Anfang wussten wir gar nicht genau, was wir machen sollen, welche Methoden wir verwenden wollen. Wir haben dann die Videos des IS analysiert. Die führen keinen Krieg um Landgewinn, sondern einen medialen Krieg. Der IS versucht, an die einfachen Instinkte der Menschen zu appellieren und sie so in Angst und Schrecken zu versetzen. Dass so viele Menschen vor dem IS geflohen sind hat auch damit zu tun, dass sie diese Videos verbreiten. Die inszenieren das wie einen Spielfilm, in hoher ästhetischer und künstlerischer Qualität. Wir sind dann auch auf die Straße gegangen und haben zum Beispiel eine Hinrichtungsszene 1:1 übernommen, gefilmt, genauso geschnitten und danach ins Netz gestellt.

Ginge es nicht auch ein bisschen sanfter?
Viele Protestformen wurden schon ausprobiert. Es gab Leute, die auf Satire oder Seminare gesetzt haben. Uns war das aber zu wenig. Das ist ein medialer Krieg, der mit medialen Mitteln geführt wird und wir wollen einen medialen Gegenpol bilden. Wenn wir da auf komplett andere Mittel setzen, kommen wir nicht dagegen an. Die Aufmerksamkeit der Medien konnten wir nur auf uns ziehen, weil wir eben diese drastischen Mittel verwendet haben.

Gibt es auch Nicht-Muslime bei 12thMemoRise?
Es gibt einige Nicht-Muslime und auch einen Buddhisten bei uns. Die Muslime in unserer Gruppe gehören wiederum verschiedenen Rechtsschulen an: bei uns machen Kurden, Alewiten, Sunniten und Schiiten mit. Viele steigen aber auch wieder aus, weil sie mit den Drohungen nicht klarkommen. Viele wollen auch nicht im Vordergrund stehen, auch aus Sicherheitsgründen.

Wo sind die Frauen?
Viele Eltern machen sich um ihre Töchter noch mehr Sorgen. Deswegen machen eventuell weniger Frauen bei uns mit. Für die Doku „Glaubenskrieger“, die über uns gedreht wurde und in der ARD zu sehen war, gab es nur zwei Mädchen, die sich bereit erklärt haben, sich im Film zu zeigen. Da können wir dann auch nichts machen, wir können ja niemanden zwingen. Genauso verhält es sich mit dem Kopftuch. Im Film ist nur ein Mädchen ohne Kopftuch zu sehen. Das ist aber keine Vorgabe von uns. Im Gegenteil: Wir würden uns wünschen, dass mehr Frauen bei uns mitmachen, mit oder ohne Kopftuch, wir sind noch immer auf der Suche!

Gibt es ähnliche Gruppen wie eure in Europa und habt ihr Kontakt zu ihnen?
Ja, es gibt zwei in London, eine schiitisch-sunnitische und eine kurdische. Die kurdische Gruppe hat unsere Aktion mit der IS-Hinrichtung dort wiederholt. Das ist wohl auch in Wien passiert, dort haben wir zwar keinen Kontakt, aber die haben auch unsere Methode angewendet. Und ich kenne eine Gruppe in den USA, die arbeiten aber weniger provokant, eher friedlich, verteilen Rosen usw.

Wie ist euer Kontakt zu liberalen Islamverbänden?
Wir haben damals die großen muslimischen Dachverbände der Sunniten und Schiiten eingeladen, weil sie die größten sind und wir uns auch mehr Verbreitung und Aufmerksamkeit erhofft haben. Die lehnen aber eine Zusammenarbeit ab. Die liberalen Islamverbände repräsentieren nur eine sehr kleine Gruppe Muslime. Sie sind aber trotzdem bekannter als wir und wir wünschen uns, dass sie mal auf uns zukommen. Bisher gab es aber nur sporadischen Kontakt, das war für eine Zusammenarbeit zu wenig.

Du hast die Doku „Glaubenskrieger“ erwähnt. Wie waren die Reaktionen auf den Film?
Wir hatten uns auf mehr Kritik eingestellt. Wir dachten, da kommt ein Push und wir erreichen eine ganz andere Ebene an Aufmerksamkeit in den Sozialen Medien, wo sich auch die Jugendlichen bewegen. Die Kritik war aber überschaubar und sehr positiv, ob in den Medien oder den Kommentarspalten. Leider waren es hauptsächlich ältere Menschen und nicht-muslimische Deutsche, die den Film gesehen haben. Darunter waren kaum Jugendliche, und vor allem die Muslime haben zu dem Film geschwiegen.  

Deine Gespräche mit Pegida-Anhängern in Duisburg wurden aber scharf kritisiert.
Der Kontakt zu Pegida hat ganz naiv angefangen. Wir wollten mit denen reden, weil alle nur über sie geredet haben und keiner mit ihnen. Ich bin dann mehrmals selbst nach Duisburg gefahren, um Kontakte zu knüpfen, Vertrauen aufzubauen. Viele der Anhänger, die ich dort kennengelernt habe, waren überrascht, dass ich als Moslem mit ihnen spreche und wir gemeinsame Ziele haben. Bei vielen der offiziellen Sprecher ist das was anderes. Aber von den Anhängern wussten viele gar nicht, warum sie da sind. Die haben einfach keine andere Plattform gefunden, um ihre Wut und Unzufriedenheit zu artikulieren. Ich habe dann noch ein Interview mit einem Sprecher, Curd Schumacher, geführt und es online gestellt. Das wurde hart kritisiert, weil wir Pegida so eine Bühne geboten hätten. 

Innerhalb von Pegida hat das jedoch eine Diskussion ausgelöst. Curd Schumacher durfte danach nicht mehr sprechen und wurde rausgeworfen. Ihm sind viele gefolgt, es kamen viel weniger Menschen zu den Demos in Duisburg und mittlerweile finden diese auch nur noch einmal im Monat statt. Sogar Lutz Bachmann hat mich kontaktiert und mir vorgeworfen, ich würde für ganz andere Sachen kämpfen und Pegida bewusst spalten. Zwei oder drei Personen haben aber – obwohl sie eine andere Haltung zum Islam haben als ich – sehr freundlich mit mir diskutiert. Zu denen habe ich Kontakt gehalten.

War das bei der Pegida-Demo in Berlin, die Du mit Deinem Bruder besucht hast, genauso?
Nein, da waren richtige Nazis da. Da waren nicht nur die Szenen, die im Film gezeigt wurden. Wir haben mit sehr vielen Menschen zu reden versucht. Man konnte mit denen aber kein Gespräch führen oder sich auf irgendwas einigen.

Müssten Gesellschaft und Politik anders mit Pegida umgehen?
Ich finde ja, aber dafür ist es meiner Meinung nach jetzt eh zu spät. Ich denke, das linke Lager hätte die Kritik, die dann Pegida instrumentalisiert hat, viel eher und besser aufgreifen können. Vor allem was die Islamkritik betrifft. Die Linke ist ja sowieso religionskritisch und hätte das sachlicher, wissenschaftlicher aufgreifen können. Gerade für Menschen, die Angst vor Terror haben und für die Islam und Islamismus dasselbe sind, hätte die Linke das Thema, ohne zu pauschalisieren und ohne Hass zu schüren, besser aufgreifen können. Mit friedlichen Kundgebungen oder auch in Seminaren, die aufklären. Oder indem man einfach nur den Leuten zuhört und ihnen andere Plattformen als Pegida anbietet.

Ihr seid gläubige, praktizierende Muslime. Passen Glaube und Politik zusammen?
Seitdem ich im Alter von 10 Jahren nach Deutschland gekommen bin, will ich meine Religion nicht in den Vordergrund stellen. Ich habe damals nicht in Moscheen gebetet, das ist keine religiöse Pflicht. Wenn ich gefastet habe, habe ich das nach außen nicht gezeigt. Wenn ich in der Schule war, habe ich nicht gebetet, sondern gewartet, bis ich zu Hause war. Ich habe meinen Glauben nie demonstrativ gelebt. Das ist für mich eine Privatsache, zwischen mir und meinem Schöpfer. 

Bei euren Aktionen wird euer Glaube aber öffentlich.
Da sind wir religionskritisch, aber unseren eigenen Glauben wollen wir da am liebsten rauslassen. Da oder auch im Netz werden wir oft gefragt, was für eine Ideologie wir denn persönlich vertreten würden oder was für eine Alternative wir zum Islamismus anbieten. Wir haben keine Alternative. Wir wollen nicht über die Vereinbarkeit von Glaube und Grundgesetz diskutieren. Wir leben in Deutschland, da gilt das Grundgesetz und unseren Glauben leben wir Zuhause aus. Ob Du jetzt an den Propheten glaubst oder an das Jüngste Gericht oder eben nicht, das findet im Herzen statt. Das hat mit der Gesellschaft nichts zu tun. Ich muss meinen Glauben niemand anderem aufzwingen, ich muss nicht missionieren. Die Religion braucht niemanden, der sie verbreitet und Gott braucht keine Beschützer, schon gar keine mit einem Schwert.

Wie steht ihr bei 12thMemoRise zur Gleichstellung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare, die kürzlich beschlossen wurde?
Das sind geltende Gesetze. Und jeder Moslem hat mit Eintritt in die deutsche Gesellschaft diese Gesetze akzeptiert. Wenn neue Gesetze erlassen werden, hat ein Moslem zwei Optionen, wenn er mit diesen nicht einverstanden ist: Entweder er akzeptiert sie trotzdem oder er verlässt das Land. Jeder hat seine Meinung. Ich bin da auf der Seite der Gesellschaft und respektiere die Gesetze. Wenn ich theologisch darauf antworten soll, ist praktizierte Homosexualität im Islam verboten. Aber Homosexualität findet hier statt und ist gesellschaftlich akzeptiert, also habe ich das auch zu akzeptieren, das ist Meinungsfreiheit.

Wie denkt ihr über liberale Moscheen wie die von Seyran Ateş in Berlin oder Rabea Müller in Köln?
Jeder kann eine Moschee mit weiblichen Vorbetern gründen. Das ist Religionsfreiheit. Aber ich finde, das sollte nicht dem Islam zugeschrieben werden. Sie müssten das theologisch besser begründen. Indem man das als Islam bezeichnet, provoziert man. Eine andere Bezeichnung sollte dafür gefunden werden. Wir haben viele Rechtsschulen im Islam und diese Richtung müsste dann auch einer Rechtsschule zugeordnet werden, dann verstehen das auch Muslime besser. Das könnte man Goethe-Islam oder Islam 2.0 oder so nennen. Dennoch verurteile ich die Drohungen, denen Seyran Ateş und andere ausgesetzt sind.

Kann man bei euch noch mitmachen oder euch anders unterstützen?
Wer Interesse hat, kann sich gerne bei uns melden. Wir treffen uns einmal in der Woche in Düsseldorf. Wir holen die Leute auch gerne am Hauptbahnhof ab, gehen an den Rhein, was trinken oder in unseren Gemeinderaum. Dann erklären wir ausführlich, wer wir sind, welche Ziele wir verfolgen. Und klären auch über die negativen Seiten auf, die Drohungen die wir erhalten. Wir haben nämlich auch schon auf gut Deutsch Anschiss bekommen von den Familien einiger Mitglieder, wenn es dann massive Drohungen gab. Seitdem achten wir gut darauf, dass Interessierte wissen, worauf sie sich einlassen.

Unterstützen könnt ihr uns aber auch bei der Verbreitung, als Multiplikatoren in den Sozialen Netzwerken. Erst wenn unsere Botschaft die Menschen wirklich erreicht, hinterlassen wir Spuren in der Gesellschaft. Die Menschen, die nach Muslimen suchen, die aktiv gegen den Terror aufstehen, erhalten dann auch einen Beweis, dass es solche Muslime gibt.


Lesen Sie weitere Artikel
zum Thema auch unter: choices.de/thema und engels-kultur.de/thema

Aktiv im Thema

juma-ev.de | Die Initiative jung, muslimisch, aktiv fördert das zivilgesellschaftliche Engagement junger MuslimInnen
lib-ev.jimdo.com | Der liberal islamische Bund vertritt den Islam als Teil einer pluralistischen Gesellschaft
youtube.com/user/12thmemorise | Gruppe junger MuslimInnen, die sich gegen islamistischen Terror einsetzen

Thema im Oktober: KINDERSEELEN
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Interview: Maxi Braun

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