trailer: Herr Germeshausen, herzlichen Glückwunsch zur Verlängerung Ihres Vertrags als Intendant der Oper Dortmund! Haben Sie um diese Verlängerung bangen müssen, oder war das schon eine klare Sache?
Heribert Germeshausen: So ganz unverhofft kam das nicht. Dass die Stadt zufrieden mit unserer Arbeit ist, das wurde mir schon früher signalisiert. Bereits in der ersten von mir verantworteten Saison erzielte die Oper Dortmund sowohl hinsichtlich der Anzahl der verkauften Karten, als auch der Einnahmen aus dem Kartenverkauf das beste Ergebnis seit zehn Spielzeiten. Und dazu gab es noch sehr gute Kritiken, auch überregional. Das setzte sich in meiner zweiten Spielzeit fort, in der wir beides nochmal steigern konnten, bis dann Corona kam. Für die Politik ist sicher auch die ökonomische Dimension ausschlaggebend. Man sollte nie zu selbstbewusst sein, aber es war dann doch keine Überraschung mehr.
Ein Rücklick in jüngere Geschichte der Dortmunder Oper zeigt, dass es oft genau an dieser Balance zwischen wirtschaftlichem und künstlerischem Erfolg gehapert hat. Worin liegt denn Ihr Erfolgsrezept?
Ich versuche, eine Verbindung zu schaffen zwischen Kunst und Ökonomie. Es ist wichtig, künstlerisch brillant zu sein und auch über das Ruhrgebiet hinaus Aufmerksamkeit zu erregen. Das funktioniert aber auf Dauer nur, wenn wir auch Publikum vor Ort haben. Und ich empfinde jeden leeren Platz als persönliche Kränkung. Denn entscheidend ist, gerade jetzt in schwierigen Zeiten, wie sie jetzt durch Corona über uns hereingebrochen sind, dass wir viel Publikum haben. Das Publikum ist unsere Lobby. Und die bewahrt uns auch vor Spardiskussionen, in denen das Theater immer schnell zur Disposition steht.
Jung und frisch – nicht alt und verstaubt
Wir machen ja auch einige, sogar recht zahlreiche, unbekannte Sachen, Opern, bei denen wir wissen, dass sie sich eher schwierig verkaufen werden. Diese Produktionen müssen dramaturgisch und PR-mäßig sehr gut vorbereitet sein, müssen eingebettet und abgefedert werden. Wenn wir eine experimentelle Regie suchen, dann tun wir das eher für solche schwierigen Produktionen. Beim – in Anführungszeichen – normalen Publikum oder den Leuten, die nur hin und wieder in die Oper gehen, muss man das sehr sorgfältig vermitteln. Mir ist immer wichtig, dass man zum Saisonbeginn Repertoirestücke wie jetzt „Tosca“ oder in der Vergangenheit „Aida“ oder „Madame Butterfly“ in einer für das normale Publikum anschlussfähigen Inszenierung zeigt. Das soll nie alt und verstaubt sein. Das soll jung und frisch sein, aber im Visuellen durchaus den Erwartungshaltungen des Publikums entsprechen. Es macht überhaupt keinen Sinn, Leute zu vergraulen mit „Traviata“ oder der „Zauberflöte“. Wir haben hier in Dortmund – da gibt’s sogar eine wissenschaftliche Untersuchung zu – das akademisch am wenigsten gebildete Publikum im ganzen Ruhrgebiet. Darin spiegelt sich die alte Arbeiterstadt noch sehr wider. Und vor diesem Hintergrund muss man davon ausgehen, dass auch bei bekannten Stücken, die eine Einstiegsdroge in die Kunstform sein können, ein Publikum sitzt, das diese Stücke zum ersten Mal sieht und hört. Solch eine Inszenierung muss sich von selbst vermitteln, ohne vorherigen Besuch einer Einführung. Und man muss einen Zauber empfinden. Diese Verzauberung ist ein zentraler Punkt – mit Fokus auf einem hohen musikalischen Niveau. Wenn man da die Leute mitgenommen hat, dann kann man auch Experimentelles wagen.
„Bei Wagner erwartet man fast eine polarisierende Regie“
Jetzt holen Sie ausgerechnet Peter Konwitschny für Ihr zentrales Projekt der kommenden Saison, den „Ring des Nibelungen“, einen sehr polarisierenden Regisseur. Gibt‘s da nicht die Gefahr, dass Sie das konservative Publikum vergraulen?
Die Sorge wäre berechtigt, wenn wir mit Peter Konwitschny einen Mozart-Zyklus machen würden. Und er würde bei uns auch sicher nicht „Butterfly“ inszenieren. Ich muss sagen, dass der Richard-Wagner-Verband hier wirklich sehr aufgeschlossen ist. Wir haben ihn tatsächlich als Partner für das Projekt. Es gibt ein Ring-Förderprojekt, das über den Wagner-Verband läuft. Das ist das erste Mal, dass Peter Konwitschny einen ganzen „Ring“ inszeniert. Es gibt bisher nur die Götterdämmerung aus Stuttgart von ihm. Jetzt gibt es eine große Erwartungshaltung, dass dieser „Ring“ etwas Besonderes wird. Das Besondere ist auch, dass jede Wagner-Oper mit zwei weiteren Opern kombiniert wird, mit unbekannten Werken von Vorläufern, Zeitgenossen, Antipoden, so dass es quasi einen Ring um den „Ring“ gibt. Und das ist dann, der „Wagner-Kosmos“. Bei ihm gibt es viele verschiedene Handschriften der jüngeren Generation: Marie-Eve Signeyrole, Eva-Maria Höckmayr, Martin G. Berger. Und ich glaube, dass das eine Faszination auslöst. Ich habe vom internationalen Richard-Wagner-Verband, der am 14. Oktober in München tagt, eine Einladung bekommen, dieses Projekt vorzustellen. Und ich glaube: Bei Wagner erwartet man fast eine polarisierende Regie. Peter Konwitschny wird da also eher eine Attraktion sein. Und es ist auch abgesichert dadurch, dass wir herausragende Sänger haben. Selbst diejenigen, die sich inszenatorisch darin nicht so ganz wiederfinden, werden musikalisch glücklich sein.
„Dann vielleicht besser eine konzertante Fledermaus“
Ist die Zeit vielleicht auch vorbei, in denen Opern- oder Operetteninszenierungen wie einst Peter Konwitschnys „Csárdásfürstin“ an der Semperoper in Dresden noch für große Skandale sorgen?
Ich bin mir nicht sicher. Es kommt auch immer darauf an, wie man etwas ansetzt. Damals war die Premiere eine Silvestergala am 31.12. Und da haben Sie in der Regel ein ganz besonderes Publikum. Ich kann‘s nur von uns sagen, aber ich glaube, das ist in vielen anderen Häusern auch so: Da gibt es Leute, die das Ritual um Weihnachten herum haben: Einmal im Jahr gehen sie in die Oper – und zwar nur an diesen Tagen, und sonst kommen sie nicht – die dann auch etwas sehr Traditionelles erwarten. Und dann hätte man da vielleicht besser eine konzertante Fledermaus angesetzt. Ich könnte mir sogar vorstellen, dass es in Dresden keinen Skandal gegeben hätte, wenn es eine Premiere im Oktober gewesen wäre. Ich glaube, das ist eher ein Beispiel für eine unglückliche Disposition und Kommunikation, die zu diesem Skandal geführt hat, den es sonst so vielleicht gar nicht gegeben hätte.
Eine Ihrer Vorgängerinnen in Dortmund, Christine Mielitz, hat den Ansatz verfolgt, man müsse das Dortmunder Publikum noch einmal ganz grundlegend an die Kunstform Oper heranführen. Bei Ihnen gibt es nun die Bürgeroper. Ist das ein ähnlicher Ansatz?
Was wir gerne erreichen möchten, ist, dass das Opernpublikum in etwa die Demografie der Stadt Dortmund widerspiegelt. Wir haben ja eine sehr diverse Stadt, in der mehr als 50 Prozent der Einwohnerinnen und Einwohner unterhalb von 17 Jahren einen Migrationshintergrund haben und für die es überhaupt nicht selbstverständlich ist, dass es ein Opernhaus in dieser Stadt gibt.
„Es muss um Inklusion gehen“
Auf der anderen Seite gab es bis kurz vor meinem Amtsantritt noch den Opernball, der ein Inbegriff für die Oper als exklusive Veranstaltung für alte weißhäutige Menschen war. Fotos von damals zeigen vor allem ältere Männer mit Zigarre. Aber heute kann es nicht mehr um Exklusivität gehen, sondern es muss um Inklusion gehen. Mein Ziel ist es, dass das Publikum der Oper Dortmund ein demographischer Spiegel der Stadtgesellschaft ist, in der sie verwurzelt ist. Und trotzdem, oder gerade deswegen, soll sie ein Haus sein, das weit über Dortmund hinausstrahlt. Die Überlegung war: Wie öffnen wir uns? Zum einen durch die Produktionen, die wir auf der Bühne machen mit verschiedenen Regiehandschriften, zum anderen mit „We Do Opera!“, der Dortmunder „Bürgerinnen-Oper“. Da kann wirklich jeder mitmachen. Es gibt dazu kein Vorsingen, kein Casting. Wir waren überrascht, wie groß die Resonanz war. Zahlenmäßig waren wir von der Nachfrage geradezu überrannt. Sie ist hinsichtlich der Teilnehmer noch nicht ganz so divers, wie wir uns das wünschen. Da arbeiten wir noch dran. Aber wir hätten nie damit gerechnet, dass sich 180 Interessierte melden. Wir hatten eher mit 20 oder 30 gerechnet. Wir haben dann aber doch gesagt: Wir bleiben dabei und machen kein Casting. Es gab ein sehr unterschiedliches Niveau: Einige konnten singen, andere Instrumente spielen, andere konnten künstlerisch gesehen eher wenig. Deshalb haben wir verschiedene Gruppen aufgebaut: Einige bilden den Chor, die anderen treten solistisch auf, dann das Orchester und die Restlichen sind die Performer. Die Aufgabe war dann, mit den Leuten ein Stück zu entwickeln. Und es ist trotzdem kein Sozialprojekt, sondern es ist Kunst. Das ist eine große Herausforderung an das Leading-Team gewesen.
„Sänger, die ein eigenes pädagogisches Eros haben“
Die erste Premiere fand 2019 im Juni statt. Wir haben aber auch gemerkt, dass die Arbeit mit Leuten, die ganz neu in der Kunstform sind, sehr, sehr lange dauert. Für das Stück, das in diesem November Premiere haben wird, haben wir dann doch ein Thema vorgegeben: mit Schillers Ballade „Die Bürgschaft“, weil man so die Prozesse etwas verdichten konnte. Das dritte Projekt ist jetzt wieder etwas offener, wobei es zumindest eine inhaltliche Linie gab. Die Förderung des Projekts läuft jetzt noch bis 2023. Ich hoffe aber, dass wir damit weitermachen können.
Ein anderes Angebot, das auf eine besondere Zielgruppe zugeschnitten ist, ist ja die Junge Oper. Wie soll es damit weitergehen?
Das Besondere an der Jungen Oper ist, dass wir dafür ein eigenes Ensemble gecastet haben. Damit sind wir in NRW das erste Haus. Es gibt überhaupt nur zwei Häuser in ganz Deutschland, die in der Hinsicht ein eigenes spezifisches Ensemble haben, die Oper Dortmund zudem noch einen eigenen „Composer in Residence“. Die großen Staatsopern realisieren Kinderopern, Outreach-Projekte in der Regel, mit den Mitgliedern des hauseigenen Opernstudios. Dessen Sänger sind dann oft sehr gefrustet, sie haben oft Preise bei Wettbewerben gewonnen und merken dann, dass sie die Jugendarbeit machen, während sie eigentlich auf der großen Bühne stehen möchten. Wir haben lieber ein eigenes Ensemble gecastet aus Sängern, die ein eigenes pädagogisches Eros haben und bei denen es auch nicht vorrangig darum geht: Wer hat die schönste Stimme, das größte und breiteste Standardrepertoire? Denn Leute, die sowas alles können, sind nicht unbedingt auch die besten Kommunikatoren für Musik.
„Neues Publikum dort abholen, wo es ist“
Also haben wir unsere Bewerber auch gefragt: „Wie würden Sie in einer Viertelstunde einer Schulklasse ein neues Stück näherbringen?“ Und wir haben auch Zusatzqualifikationen betrachtet. So ist eine unserer Sängerinnen noch Stimmbildnerin, eine andere Dirigentin, ein anderer kann zaubern. Auf diese Weise haben wir im umfassenden Sinn Performer, die mit Teenagern und Jugendlichen eine Ansprache auf Augenhöhe haben. Und die auch Spaß daran haben, in Schulen zu gehen und Boten der Kunstform gegenüber Nicht-Operngehern zu sein. Thierry Tidrow, unser Hauskomponist, komponiert für dieses Ensemble die Stücke der vergangenen und der laufenden Spielzeit, die wir gemeinsam entwickeln für verschiedene Altersgruppen. Ich komme gerade aus einer Probe und muss sagen: Das ist wirklich ein kleines Meisterwerk geworden. Es heißt „Kirsas Musik“. Das ist Musik für kleine Menschen ab vier mit einem noch sehr begrenzten Sprachschatz. Es geht über ganz basale Sätze und unterschiedliche Rhythmen vom perfekten Gleichklang zur Vielschichtigkeit in der Musik zu Themen wie Freundschaft und Offenheit für das Andere, und das ohne pädagogischen Zeigefinger. „Persona“ dagegen ist Musiktheater für Jugendliche über geklaute Identitäten im Internet. Und so versuchen wir mit neu geschriebenen Stücken neues Publikum dort abzuholen, wo es ist, und damit zur Oper hinzubringen.
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