trailer: Herr Paech, manche sehen die Corona-Krise als Chance, die Weltwirtschaft ökologisch auszurichten – andere sehen die Gefahr, dass hektischer Aktionismus den Status Quo zementiert, bis es für eine Transformation zu spät ist. Welche Tendenz beobachten Sie zurzeit?
Niko Paech: Es lassen sich zwei gegenläufige Tendenzen feststellen. Zum einen versucht die Regierung, sich durch eine Wohlstands-Vollkasko-Politik beliebt zu machen, die darauf beruht, Geld zu drucken, bis das Papier ausgeht. Andererseits nimmt mit jeder Krise die Anzahl jener Menschen zu, die den Steigerungswahn in Frage stellen und sich ihm zusehends verweigern. Krisen befördern die Entstehung postwachstumstauglicher Gegenkulturen.
Klimawandel und Artensterben stehen in einem Zusammenhang und vor den Folgen des Artensterbens wird ebenso eindringlich gewarnt wie vor denen des Klimawandel. Dennoch erhält die Biodiversitätskrise nicht die gleiche Aufmerksamkeit wie der Klimawandel. Welche Gründe sehen Sie dafür?
Das Artensterben weist leider eine noch fatalere Verbindung zum Klimawandel auf. Denn fehlgeleiteter Klimaschutz, etwa die auf rücksichtsloser Technisierung beruhende Energiewende, wird durch ihre Landschaftsvereinnahmungen auf dem Rücken der Biodiversität ausgetragen. Dass der Artenschwund so wenig beachtet oder sogar als Preis für grünes Wachstum billigend in Kauf genommen wird, liegt an seiner Erscheinungsform: Das Artensterben ist in seiner Wirkung so weit von der unmittelbaren Alltagsrealität und sinnlichen Wahrnehmung der Menschen entfernt, dass sich dieses Phänomen leichter verdrängen lässt als andere Probleme.
Ist das Artensterben letztlich nicht die noch größere Herausforderung?
Eine Hierarchisierung halte ich für fehlleitend: Wenn Klimaschutz auf einer konsequenten Reduktionsstrategie basieren würde, also nicht darauf, einfach nur andere, vermeintlich grüne, sondern schlicht weniger Energie zu verbrauchen, würde damit zugleich viel zum Artenschutz beigetragen.
Dass das Problem der Umweltzerstörung durch „grünes Wachstum“ gelöst werden bzw. das Wirtschaftswachstum nachhaltig gestaltet werden könnte, halten Sie für eine Illusion. Können Sie dies einmal kurz erläutern?
Grünes Wachstum beruht darauf, schädliche Produktions- und Konsumvorgänge durch ressourceneffiziente, kreislauffähige oder regenerative Alternativen zu ersetzen. Dies scheitert schon theoretisch an naturwissenschaftlichen Gesetzen. Und die Praxis bestätigt dies: Umweltschutz war und ist nie etwas anderes, als Schäden räumlich, zeitlich, systemisch oder stofflich zu verlagern.
Auch politische Anreize wie die Co2-Steuer halten Sie für ungeeignet – warum?
Umweltsteuern sind ein politischer Preis und Regierungen möchten nicht dafür gesteinigt werden, dass sie den Wohlstand abwürgen. Aber genau das würde geschehen, wenn der Steuersatz hoch genug wäre, um etwas zu bewirken, denn ausgerechnet für die ruinösesten Handlungen existieren keine klimafreundlichen Alternativen. Wie löst die Politik dieses Dilemma? Ganz einfach: Sie setzt einen symbolischen Steuersatz, der so gering ist, dass liebgewonnene Praktiken weiter finanzierbar bleiben. Damit erhält das Weiter-so ein perfektes Alibi für jeden noch so schädlichen Lebensstil.
Stattdessen plädieren Sie dafür, den Fetisch Wachstum zu überwinden, und für eine Postwachstumsökonomie. Wie könnte diese in groben Zügen aussehen? Läuft es realistisch betrachtet nicht nur auf Nullwachstum, sondern auf eine Schrumpfung hinaus?
Klar, wenn etwa in Deutschland der CO2-Output pro Kopf 12 Mal höher ist als jenes Niveau, das mit dem Zwei-Grad-Klimaschutzziel bei global gerechter Emissionsverteilung einherginge, bliebe nur eine prägnante Reduktion der Wirtschaftsleistung. Grob vereinfacht sind dazu zwei Stoßrichtungen vonnöten, nämlich erstens eine suffiziente Entrümpelung und zweitens eine neue Balance zwischen Selbst- und Fremdversorgung, also mehr Subsistenz. Suffizienz kehrt das moderne Steigerungsprinzip ins Gegenteil um: Kreative Reduktion würde als Gestaltungsprinzip anerkannt. Wir könnten viele Energiesklaven, Komfortkrücken und Infrastrukturen ausfindig machen, die wir gar nicht nötig haben – ganz gleich, ob elektrisches Küchengerät, Wellness-Rezeptur, Flugreise oder Tiefseehafen. So sparen wir Zeit, Geld, Raum und ökologische Ressourcen. Wir könnten uns des Wohlstandsschrotts entledigen, der nur unser Leben verstopft. Der zweite Ansatzpunkt zielt darauf ab, unabhängiger von geldbasierter Fremdversorgung zu werden. Eigenarbeit ist angesagt. Wenn die industrielle Wertschöpfung schrittweise halbiert würde, ließe sich Vollbeschäftigung auf Basis einer 20-Stunden-Woche erreichen. Die freigestellten 20 Stunden dienen der ergänzenden Selbstversorgung. Wer durch handwerkliche und manuelle Versorgungsleistungen unentgeltlich produktiv ist, und zwar sowohl für sich selbst als auch das nahe soziale Umfeld, schlägt drei Fliegen mit einer Klappe: Erstens ist es der beste Selbstschutz gegenüber zukünftigen Krisen, die das aktuelle Konsumparadies erschüttern werden. Zweitens schützen wir direkt die Umwelt. Und drittens mildern wir strukturelle Wachstumszwänge, die einem geldbasierten, arbeitsteiligen Industriemodell innewohnen.
Wie könnte dabei den Ökosystemdienstleistungen ihr tatsächlicher Stellenwert zugewiesen werden?
Langfristig können Ökosystemdienstleistungen nur intakt bleiben oder gar reaktiviert werden, wenn die tieferen Ursachen für deren Zerstörung getilgt werden. Und das sind die wachstumsbedingten Wucherungen in Form von Flächenvereinnahmung, Landschaftszerstörung und industrieller Agrarwirtschaft. Nur durch den Rückbau des Verkehrs, der Bauaktivitäten und des Konsums lässt sich das Problem lösen.
Die Krisen vorrangig technologisch lösen zu wollen, halten Sie für einen Irrweg – doch welche Rolle räumen Sie der Technologie bei einem Transformationsprozess ein?
Auch in der Postwachstumsökonomie hat moderne Technologie ihren Platz, aber in viel begrenzterem Umfang. Die moderne Zivilisation fußt auf einem fulminanten Irrtum, nämlich dass kraft technischen Fortschritts etwas für Menschen Nützliches aus dem materiellen Nichts geschöpft werden könnte. Je effektiver der Technologieeinsatz, desto verheerender ist aber in Wahrheit der ökologische Preis. Das gilt ganz besonders für den Energiebereich. Daraus folgt zweierlei: Erstens müssen die Wohlstands- und Bequemlichkeitsansprüche an die völlig überschätzten technologischen Möglichkeiten angepasst werden. Zweitens muss wieder arbeitsintensiver, d. h. handwerklicher, gewirtschaftet werden, basierend auf einer mittleren Technologieausstattung, die menschliche Arbeit zwar maßvoll verstärkt, aber nicht ersetzt.
Wie könnte eine Transformation hin zu einer Postwachstumsgesellschaft politisch angestoßen und dabei sozialverträglich und ethisch gestaltet werden?
Postwachstumstaugliche Praxis muss erlernt werden und sich innerhalb geeigneter sozialer Strukturen bewähren. Nur wenn ein Teil der Gesellschaft glaubwürdig signalisiert, einen reduktiven Strukturwandel aushalten zu können, würden es politische Instanzen wagen, begrenzende Rahmen zu setzen. Statt einen leckgeschlagenen, zunehmend manövrierunfähigen Tanker umlenken zu wollen, sind autonome Rettungsboote, die sich unterhalb des politischen Radars dezentral und kleinräumig entfalten können, die effektivere, erst recht verantwortbarere Strategie. So entstünde ein Vorrat an imitierbaren Praktiken – ähnlich wie die von Beuys so bezeichneten „sozialen Plastiken“ –, auf die zurückgegriffen werden kann, wenn Krisenszenarien dies nahelegen. Den Rest erledigen die Krisen.
Auch eine Postwachstumsgesellschaft wird durch den Klimawandel zunehmend unter Druck geraten. Wie könnte diese auf Krisen wie Nahrungsmittelverknappungen durch Dürren etc. reagieren?
Die sog. Solidarische Landwirtschaft, gekoppelt mit einer breiten Palette sich ergänzender Selbstversorgungspraktiken, wäre eine naheliegende Konsequenz. Eine resiliente Ernährungswirtschaft setzt voraus, basale Grundbedürfnisse auch im Krisenfall auskömmlich befriedigen zu können, und zwar mit eigenen Mitteln und Ressourcen, um weniger abhängig von Importen und ausländischen Arbeitskräften zu sein. Landwirtschaftliche Arbeit wäre daher vom Stigma der Minderwertigkeit zu befreien, um junge Menschen zu motivieren, wieder im Agrarbereich tätig zu sein. Hierzu müsste dieser erstens auf kleinbäuerlicher, ökologischer und tiergerechter Erzeugung, zweitens auf kürzeren, also gesundheitsverträglichen Arbeitszeiten und drittens auf angemessenen Einkünften beruhen. Vonnöten wäre auch ein verantwortbares Bildungssystem, das sich dem Akademisierungs- und Digitalisierungswahn widersetzt, indem es basale Fähigkeiten zur eigenen und genügsamen Versorgung fördert.
Aktiv im Thema
www.nabu.de | Der Naturschutzbund Deutschland ist eine der ältesten Organisationen dieser Art.
naturschutz.ruhr | Die Naturschützer aus Mülheim führen an die Naturvielfalt an der Ruhr heran.
www.stiftung-pro-artenvielfalt.org | Die Stiftung aus Bielefeld widmet sich dem Schutz bedrohter Wildtierarten.
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