Große Ahnen soll man ehren. Bonn versteht sich als Beethovenstadt und setzt diesen Titel auch als Marketinginstrument weltweit ein. Jetzt allerdings führt die Stadt einmal mehr vor, wie lax sie mit ihrem Erbe umgeht. Seit Jahren wird um die Errichtung eines Festspielhauses gerungen, das zum 250. Geburtstag Beethovens eröffnet werden sollte. Ursprünglich als Geschenk der drei DAX-Konzerne Telekom, Post und Postbank in Bonn geplant, blieb nach endlosem Auf und Ab nur noch die Deutsche Post AG als Teil-Finanzier übrig. Doch im Juni kam auch aus dem Tower in der Rheinaue die Absage. Der Vorstandsvorsitzende Frank Appel begründete den Schritt im Bonner General-Anzeiger damit, dass der „Schulterschluss vor allem in der Stadt ausgeblieben“ sei. Gemeint ist offenbar, das langjährige Gerangel um die Finanzierung der Unterhalts- und Betriebskosten. Damit ist das rund 100 Mio. Euro teure Projekt nicht mehr zu verwirklichen. Dass die selbsterklärte Beethoven-Stadt ihren berühmtesten Sohn derart schäbig „würdigt“, fügt sich ein in den zunehmend aggressiven Ton innerhalb der Stadt gegenüber der Kultur.
Mitverantwortlich dafür ist Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch, der systematisch gegen die Höhe des Kulturetats Front gemacht. Damit wurde er zum Steigbügelhalter einer Bürgerinitiative, die das Schicksal der Oper, aber auch der städtischen Rückstellungen für das Festspielhaus einem Bürgerbegehren zu unterwerfen versucht hat. Mit der Entscheidung der Post ist ihr nun ein fataler Etappensieg in den Schoß gefallen. Das Debakel hätte allerdings vermieden werden können. Doch anstatt das historische Erbe der alten Beethoven-Halle am Rhein zu sanieren und akustisch zu ertüchtigen, wurde auf einen Neubau gesetzt. Am Ende steht die Stadt mit leeren Händen da.
Ähnliches droht in Köln, wo die Stadt sich noch weit radikaler ihres baulichen Erbes zu entledigen versuchte. In einer Überrumpelungsaktion hatte Kulturdezernentin Susanne Laugwitz-Aulbach angekündigt, die Halle Kalk abreißen lassen zu wollen, die derzeit als Spielstätte des Schauspiels Köln und als Depot des Museums Ludwig dient. Begründet wurde der Schritt mit der akuten Baufälligkeit von Teilen des Gebäudes, die „Gefahr für Leib und Leben“ mit sich brächte. Nach einem Protest der Politik wurde eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben, die die Sanierung und mögliche zukünftige Nutzung der Hallen überprüfen soll. Ähnlich wie in der Nachbarstadt gehört auch hier der verantwortungslose Umgang mit dem baulichen Erbe zum Habitus. Der wichtigste historische Bezugspunkt ist nach wie vor der Dom; zu seinen Industriebauten von der Wende der 19. zum 20. Jahrhundert unterhält die Stadt ein gestörtes Verhältnis. Das hat sich Abrissorgien wie der Schleifung des legendären Pressegebäudes in der Breite Straße, den Sidol-Werken im Stadtteil Braunsfeld oder der Chemischen Fabrik in Kalk niedergeschlagen. Anders als im Ruhrgebiet wird die Industriegeschichte der Stadt nicht wirklich als identitätsstiftend erkannt. Ob in der notorisch klammen Stadt der politische Wille zu einer Sanierung der Hallen ausreicht, darf deshalb bezweifelt werden.
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