Es fällt derzeit schwer, mit der Schlagzahl der Meldungen von der Ruhrtriennale noch Schritt zu halten. Das renommierte Festival, das vom Land NRW mit 14 Millionen Euro gefördert wird, kommt nicht zur Ruhe. Stefanie Carp hat ihre dreijährige Intendanz mit dem Begriff „Zwischenzeit“ überschrieben, der inzwischen auf sie selbst zurückzufallen droht. Entzündet hatte sich der Konflikt an der Einladung der schottischen Band Young Fathers, die der extrem israelkritischen BDS-Bewegung (Boykott, Desinvestitionen, Sanktionen) nahesteht. Einladung, Ausladung, Wiedereinladung und Auftritts-Verzicht der Band zeichneten einen Schlingerkurs der Unentschiedenheit. Carp soll sich dann vor dem Kulturausschuss des Landtages trotz mehrmaliger Aufforderung nicht zum Existenzrecht Israels bekannt haben, was eine Vorladung bei Kulturministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen nach sich zog. Danach erst legte die Ruhrtriennale-Chefin eine Erklärung vor. Deutliche Kritik kam inzwischen nicht nur von jüdischen Verbänden und der israelischen Botschaft, auch NRW-Ministerpräsident Armin Laschet sagte seinen Besuch bei der Ruhrtriennale ab. Eine Distanzierung ohnegleichen, die wiederum Regisseur Christoph Marthaler zu einem offenen Brief an den Ministerpräsidenten bewog.
Es geht dabei um mehr als ein Kommunikationsdesaster. Die „Zwischenzeit“ ist auch eine, die Wachsamkeit gegenüber rhetorischen Tabubrüchen von rechts und von links erfordern. Am Anfang war das Wort – das gilt auch für Rassismus und Antisemitismus. Dinge, die in Belgien sagbar sein mögen, sind es hier aufgrund der Geschichte nicht. Und die Freiheit der Kunst rechtfertigt nicht jeden Tabubruch.
Dass Stefanie Carp die Kritik an ihrer Arbeit für „populistisch“ und „übertrieben und unverhältnismäßig“ hält, geht an der Sache vorbei. Die frühere Leiterin der Wiener Festwochen und Chefdramaturgin des Zürcher Schauspielhauses mag sich als Anwältin der Künstler verstehen, doch der Job einer Intendantin verlangt mehr. Vor allem eine reflektierte Verantwortung und Haltung für das eigene Tun ohne ständiges Lavieren.
Inzwischen hat auch das türkische Hezarfen Ensemble sein Konzert „Music of Displacement“ abgesagt. Hintergrund ist die Kritik an der Umdeutung des Genozids an den Armeniern zur „Umsiedelung“ im Ruhrtriennale-Programmheft. Das Ensemble ließ es sich nicht nehmen, seine Absage mit einer heftigen Medienkritik und einer Solidaritätsadresse für Stefanie Carp zu verbinden. Und auch die nachträglich angesetzte Podiumsdiskussion „Freedom of Speech / Freiheit der Künste“ hat eher die Konflikte noch befeuert. Carps erneuter Rollback, wonach die Ausladung der Young Fathers doch ein Fehler gewesen sei, ihre vorgeschützte Ahnungslosigkeit und die deutliche Grenzziehung von Kulturministerin Isabel Pfeifer-Poensgen zu den Kampagnen des BDS haben keine Annäherung gebracht. Stefanie Carp dürfte es schwerfallen, die Geister, die sie heraufbeschworen hat, wieder einzufangen. Aus ihrer „Zwischenzeit“ könnte ein kurzes Zwischenspiel werden.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Orte mit Bedeutung
Zur Ruhrtriennale: Berlinde De Bruyckere in Bochum – kunst & gut 09/24
Bessere Bezahlung für freie Kunst
NRW führt Honoraruntergrenzen ein – Theater in NRW 08/24
Keine Spur von Rechtsruck
Die Ruhrtriennale 2024 in Bochum, Duisburg und Essen – Prolog 07/24
Alptraum ohne Ausweg
Ruhrtriennale: Leoš Janáčeks „Aus einem Totenhaus“ in Bochum – Oper 09/23
Gitarrengewitter im Landschaftspark
Anna Calvi bei der Ruhrtriennale – Musik 08/23
Dem Horror entfliehen
„The Visitors“ bei der Ruhrtriennale – Tanz an der Ruhr 09/23
Monumentales Werk
„Das große Abend- und Morgenlob“ in Dortmund – Klassik an der Ruhr 08/23
Kontrollverlust und Lüste
Zwei „hemmungslose“ Schauspiele bei der Ruhrtriennale – Prolog 08/23
Von guten und bösen Geistern
Ruhrtriennale 2023 an div. Orten im Ruhrgebiet – Prolog 06/23
Angst
Beobachtung eines Kritikers im Kindertheater – Bühne 02/23
Bessere Konditionen
EU stärkt Solo-Selbstständige im Theater – Theater in NRW 11/22
Tanzbein und Tiger
Julian Rosefeldts „Euphoria“ bei der Ruhrtriennale – Festival 09/22
Endspurt für Mammut-Projekt
Beethovenhalle kurz vor der Fertigstellung – Theater in NRW 11/24
Jünger und weiblicher
Neue Leitungsstruktur am Mülheimer Theater an der Ruhr – Theater in NRW 10/24
Überleben, um zu sterben
Bund will bei der Freien Szene kürzen – Theater in NRW 09/24
Mit allen Wassern gewaschen
Franziska Werner wird neue Leiterin des Festivals Impulse – Theater in NRW 07/24
„Zero Waste“ am Theater
Das Theater Oberhausen nimmt teil am Projekt Greenstage – Theater in NRW 06/24
Demokratie schützen
Das Bündnis Die Vielen ruft zu neuen Aktionen auf – Theater in NRW 05/24
Theatrales Kleinod
Neues Intendanten-Duo am Schlosstheater Moers ab 2025 – Theater in NRW 04/24
Neue Arbeitszeitregelungen
Theater und Gewerkschaften verhandeln Tarifvertrag – Theater in NRW 03/24
„Der Tod ist immer theatral“
Theatermacher Rolf Dennemann ist gestorben – Theater in NRW 02/24
Standbein und Spielbein
Pinar Karabulut und Rafael Sanchez gehen nach Zürich – Theater in NRW 01/24
Das diffamierende Drittel
Einkommensunterschiede in der Kultur – Theater in NRW 12/23
Neues Publikum
Land NRW verstetigt das Förderprogramm Neue Wege – Theater in NRW 11/23