Lünen, 24.11. - Ein Highlight des diesjährigen Kinofest Lünen war die Premiere des Heimatfilms „Das Dorf in der Heide“, der mit 60 Jahren Verspätung erstmals auf der Leinwand flimmerte. Filmreif ist die Geschichte, die sich rund um den Streifen rankt allemal. Da hatte sich ein westfälischer Handwerker (Anton Heilken) aus dem kleinen Dorf Reken in den Kopf gesetzt, den Stammtischgeschichten der Alten rund um einen Filmdreh aus dem Jahr 1957 nachzugehen. Regisseur Hans Müller-Westernhagen hatte damals die Dorfbewohner als Statisten besetzt, doch die Produktionsfirma ging pleite, und der Film wurde nie fertig gestellt. Irgendwo müssten doch noch ein paar Aufnahmen zu finden sein, dachte sich Heilken und wurde im Bundesfilmarchiv nach zweijähriger Recherche fündig. 40 Negativrollen, ungeschnitten, ohne Ton und ohne Drehbuch. Mit Hilfe von Lippenlesern rekonstruierten StudentInnen der ifs Köln eine mögliche Story zu einem fertigen Film, der mit skurrilem Charme das Premierenpublikum begeisterte.
Die StudentInnen erzählten witzige Anekdoten aus der ungewöhnlichen Postproduktion. Da die Tonebene völlig neu konstruiert werden musste, machten sie sich auf ins Dörfchen, um Geräusche aufzunehmen: Ein Pferdewagen, der über Kopfsteinpflaster rollt, die alte Kirche wurde aufgeschlossen, um die Glocken für eine Hochzeitsszene noch einmal klingen zu lassen; ein Oldtimer-Club leistete Schützenhilfe mit dem passenden Autotürschlag. Obwohl der Film ja nie fertig gestellt worden war, gab es bereits 1957 eine kleine Filmbroschüre. Das war der Schlüssel zur Story, an dem man sich lang hangelte: Ein Grafiker will als Aussteiger aufs Dorf ziehen und verliebt sich in die schöne Tochter des Bürgermeisters, obwohl er in Düsseldorf verlobt ist. Am Ende geht es gut aus.
Vom Look und der Besetzung her handelt es sich eher um ein B-Movie; die erste Schauspieler-Garde lief nicht auf. Für den Schauspieler Hans Müller-Westernhagen, übrigens Vater von Marius, blieb es dann auch der einzige Ausflug in die Filmregie. Als das Kinofest Lünen die ungewöhnliche Premiere publik machte, gab es ein paar überraschende Rückmeldungen: Der Sohn des bankrotten Filmproduzenten aus der Schweiz freute sich über das späte Happy End und die Tochter eines Hauptdarstellers, der schon vor zwanzig Jahren gestorben ist, war über die Massen gerührt, ihren Vater nochmals auf der Leinwand sehen zu können. Festivalleiter Mike Wiedemann war maßgeblich an der Fertigstellung des Films beteiligt und strahlte während des ganzen Festivals wie ein Honigkuchenpferd, wenn man ihn auf den gelungen Streich ansprach. Heilken wollte nur eine DVD für die Dorfbewohner, aber Wiedemann hatte kein Interessen an halben Sachen: „Den Film machen wir fertig!“, war sein Credo.
Da ja die ganze Geschichte ins Rollen kam, weil die alten Statisten mal einen filmischen Blick auf sich selbst werfen wollten, dürfte die Rekener Premiere im Dezember das Lüner Event noch toppen. Sie werden sich auf einer Hochzeitsfeier wiedersehen, von der sie bis heute erzählen, denn es gab Essen und Trinken bis zum Abwinken für lau. Was für ein Fest!
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