Noch immer hängt psychisch Kranken ein bestimmtes Stigma in der Gesellschaft an. Häufig werden sie mit ihrem Krankheitsbild nicht ernst genommen. Oder aber sie werden mit ihrer Krankheit gleichgesetzt, ohne ihre Persönlichkeit, ihre Kreativität, ihr Potential zu erkennen. Die Veranstaltungsreihe „Intensiv! Expressiv!“, initiiert unter anderem von NOVa Hagen e.V., Aktion Mensch und der Pelmke, arbeitet diesem Stigma mit Filmen, Lesungen und einer Kunstausstellung entgegen. Zum Auftakt der Reihe stellte Regisseur Jürgen Köster seinen Film „Apostel & Partner“ vor, ein vollkommen inklusives Filmprojekt.
Der Plot gestaltete sich ganz unter dem Motto des Shaw'schen Zitats „Was wir brauchen, sind ein paar verrückte Leute. Seht euch an, wohin uns die normalen gebracht haben.“ Drei sich völlig fremde Menschen werden über einen geheimnisvollen Brief zu einem Anwalt bestellt, der ihnen das Testament eines ebenfalls fremden Menschen eröffnet: Sie erhalten 150.000 Euro, wenn sie die dubiosen Machenschaften in dem Pflegeheim seiner Ex-Freundin aufdecken. Die drei Protagonisten, die mit unterschiedlichen psychischen Problemen wie Psychosen und Spielsucht zu kämpfen haben, machen sich zunächst einander misstrauend an ihre Detektivarbeit. Mit der Zeit lernen sie die Fähigkeiten des anderen zu schätzen und kommen auf die Spur eines Pharmakonzerns, der an den Bewohnern des Heimes Medikamente austestet und sie mit wie Big Brother beobachtet. Nach vielen skurrilen und einigen ernsten Szenen gipfelt die schräge Kriminalerzählung ganz genretreu in einer wilden Verfolgungsjahr.
Im Café des Kino Babylons standen Regisseur Jürgen Köster, Produktionsleiter Achim Ballhausen und Schauspielerin Elisabeth Dinh dem Publikum für ein gemütliches Gespräch zur Verfügung.Vier Jahre habe dieses Filmprojekt gedauert, berichtet Jürgen Köster. Besonders an dem Projekt sei, dass in allen Bereichen inklusiv gearbeitet wurde, vor und hinter der Kamera. Sieben Autorinnen und Autoren haben an dem Drehbuch geschrieben, einige von ihnen litten und leiden unter Depressionen. Ihm sei es wichtig gewesen, dass jeder sich die Zeit nehmen konnte, die er brauchte. War jemand für einen Zeitraum nicht in der Lage, am Buch mitzuschreiben, war dies völlig in Ordnung. Er oder sie konnte später wieder mit einsteigen.
Diese Arbeitsphilosophie galt für alle Bereiche. Auf alle Mitwirkenden wurde je nach Befinden Rücksicht genommen. Dennoch habe er am Anfang Bedenken gehabt, einen der Protagonisten mit dem Autoren Jochen Lamprecht zu besetzen, der aufgrund seiner Depression eventuell für einen längeren Zeitraum hätte ausfallen können. Doch er wurde eines Besseren belehrt. Die halbjährige Drehzeit lief einwandfrei. Ein Grund sei womöglich der fehlende Druck und die bewusst entspannte Arbeitsatmosphäre gewesen, argumentierte Köster. In dieselbe Richtung ging auch die Schauspielerin Elisabeth Dinh. Sie hatte den Castingaufruf gelesen, als sie sich, unter Depressionen leidend, in einer Klinik aufhielt. Die heutige Arbeitswelt sei komplett darauf ausgerichtet, ständig Leistung zu einzufordern, nie das Tempo herauszunehmen und nicht auf die Bedürfnisse der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zu hören. Darunter würden alle leiden, nicht nur Menschen mit Depressionen. Am Set zum Beispiel hätten auch die „Normalen“ die gegenseitige Rücksichtnahme genossen. So sollte Inklusion auch sein, stimmten die Anwesenden im Kino Babylon zu. Inklusion ginge in beide Richtungen, beide Seite profitieren. Es wäre wünschenswert, wenn sich die Philosophie der gegenseitigen Rücksichtnahme und dem Einsetzen je nach individuellen Fähigkeiten in der Arbeitswelt verbreitet. Köster wird an dieser Philosophie auch bei seinem nächsten Filmprojekt festhalten, an dem erneut einige der Autoren und Laienschauspieler mitwirken werden.
Die nächsten Veranstaltungen unter: novahagen.de
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