Das Schubladendenken – wir kennen es alle. Und so sehr wir uns auch dagegen wehren, passiert es doch beinahe automatisch, dass wir unsere Mitmenschen nach Aussehen oder oberflächlichen Charakterzügen kategorisieren. Dick, dünn, schwarz, lesbisch, klein, frech, schüchtern – es gibt für jeden die passende Schublade; und wenn nicht, dann erfinden wir eine neue.
Mit diesem Thema haben sich 15 Menschen unter der Leitung von Kama Frankl auseinandergesetzt. In einer Kooperation des Jungen Schauspielhauses mit Junges Pottporus Herne entstand ein intergeneratives Tanzprojekt. Die meisten Teilnehmenden sind Jugendliche, aber auch ein 10jähriges Mädchen und eine 79jährige Frau haben sich der Frage gestellt: Wer bin ich?. Und in welche Schublade passe ich? Dabei schwingt nicht nur die Angst mit, in eine Schublade gesteckt zu werden, in die man nicht möchte, sondern auch die Furcht, in keine zu passen, nirgends dazuzugehören.
Die Teilnehmer des Projekts versuchen, dieses Gefühl vor allem tänzerisch darzustellen. Es gibt den coolen Hip-Hopper, die Ballerina und die klassischen Tänzer. Auf einer Bühne, die voller Kartons steht, gibt jeder sein Bestes. Es wird dabei viel mit einfachen Bewegungen gearbeitet, keine komplizierten Choreographien, aber eindrucksvolle Bilder entstehen. Immer wieder gibt es den Schwarm, aus dem einer ausbricht, aus der Masse hervorsticht und plötzlich zum Individuum wird.
Zwischendurch werden Geschichten erzählt, von denen man für einen Moment glauben möchte, sie seien wahr. Man ertappt sich bei dem Gedanken, die Darsteller einzuordnen: Die alte Frau, die in ihrer Kindheit wegen ihrer roten Haare gehänselt wurde, hat bestimmt sehr gelitten. Das Mädchen, das nur wenige Sätze spricht, ist bestimmt sehr schüchtern ...
Es gibt nicht mehr viel, was uns wachrüttelt, heißt es an einer Stelle. Aber spätestens wenn ein vielleicht 13jähriges Mädchen sagt, es sei 78, ein blonder Junge, er habe braunes Haar, dann sind wir wieder wach. Und vielleicht bleiben wir es für eine Weile auch außerhalb des Theaters?
Auch wenn das so einfach wohl nicht ist – die Darstellenden hatten sichtlichen Spaß an dem, was sie machen, und dieser Funke ist schnell auf das Publikum übergesprungen.
„Das passt doch in eine Schublade“ I 26.5.18 Uhr I Theater Unten, Bochum I 0234 33 33 55 55
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Die Neuronen spielen verrückt
„Homo Empathicus“ im Bochumer Theater Unten – Theater Ruhr 03/17
Menschen sind eben schlecht
Theater im Monat der Reinigung – Prolog 02/17
Lost in words
„Finnisch“ im Bochumer Theater Unten – Theater Ruhr 02/17
Durchreisen wird schick
Ihre Ruhr-Stadttheater im neuen Jahr – Prolog 01/17
Das Wesen der Flüssigkeiten
Kritische Kinderstücke zum Advent – Prolog 11/16
Die Boshaftigkeit des Gefühls
„Co-Starring“ im Bochumer Theater Unten – Theater Ruhr 02/16
Süßer Theater nie klingen
Die Weihnachtsstücke im Ruhrgebiet – Prolog 11/14
Krise im Bondage-Club
„Eine Sommernacht" im Bochumer Theater Unten – Theater Ruhr 05/14
Das wirklich wahre Leben
„Kurze Interviews mit fiesen Männern“ in Bochum – Theater Ruhr 06/13
Fauler Zauber
„Das Leben der Bohème“ in Bochum - Theater Ruhr 07/12
Lohnt zu sterben
„norway.today“ im Bochumer Theater Unten – Theater Ruhr 01/12
Wenn es auffällig provokant ist, dann akzeptiert man es bis heute nicht
Barbara Hauck inszeniert ihre Theaterversion von Kaurismäkis Film „Das Leben der Bohème“ in Bochum – Premiere 12/11
Licht in der Finsternis
„Brems:::Kraft“ in Köln und Mülheim a.d. Ruhr – Theater Ruhr 01/25
Brautkleid aus reinster Haut
„Subcutis“ in Mülheim a. d. Ruhr und Köln – Theater Ruhr 01/24
Trance durch Kunst
Die Reihe Rausch 2 in Mülheim a.d. Ruhr – Theater Ruhr 11/23
Brecht im Discounter
„Der gute Mensch von Sezuan“ am Grillo-Theater in Essen – Theater Ruhr 10/23
Bretter der Kulturindustrie
„Das Kapital: Das Musical“ im Schauspiel Dortmund – Theater Ruhr 10/23
Siehst du, das ist das Leben
„Der erste fiese Typ“ in Bochum – Theater Ruhr 06/23
Der gefährliche Riss in der Psyche
„Die tonight, live forever oder das Prinzip Nosferatu“ am Theater Dortmund – Theater Ruhr 04/22
Unberührbare Souveränität
Frank Wedekinds „Lulu“ am Düsseldorfer Schauspielhaus – Theater Ruhr 03/20
Totenmesse fürs Malochertum
„After Work“ in den Bochumer Kammerspielen – Theater Ruhr 02/20
Gespenstisches Raunen
Die Performance „Geister“ am Schauspielhaus Bochum – Theater Ruhr 02/20
Drei wilde C´s im Schnee
„After Midnight“ im Essener Grillo – Theater Ruhr 02/20
Von Büchern überschüttet
„Sokrates der Überlebende / Wie die Blätter“ in Mülheim – Theater Ruhr 02/20
Tragödie mit Diskokugel
Horváths „Glaube Liebe Hoffnung“ in Oberhausen – Theater Ruhr 01/20