Manchmal, ganz selten, eigentlich fast nie keimt der Wunsch nach einer Zeitmaschine auf, die die gute alte Zeit wiederbringt, als Jimi Hendrix auf Fehmarn oder die WHO in Essen gespielt haben. Eine solche Zeitmaschine ist „After Midnight“, der tiefe Blick in Gläser und Abgründe im Essener Grillo. Dort treffen irgendwo im Nirgendwo mächtige Songs auf wilde Geschichten, natürlich in einer etwas heruntergekommenen Bar (Sorry Suzanne) mitten im amerikanischen „Rust Belt“ zwischen einer Tankstelle und einem Reifenlager. Ivonne Theodora Storm hat dafür ein ziemlich tolles Bühnenbild mit Vorder- und Rückseite gebaut, wo an einem unter Schneemassen erdrückten Silvesterabend der Handlungsreisende Cassius (Jan Pröhl als Johnny Cash) und der alternde Schriftsteller Norman (Jens Winterstein als Leonard Cohen) als scheinbar zufällige Gäste von Inhaberin Pattie (Laura Kiene) aufeinander treffen.
Alle scheinen etwas zu verbergen zu haben, nur der alteingesessene Jungmusiker Rick (Philipp Alfons Heitmann) mit immer noch latenten Alkoholproblemen hat einen offenen Plan. Er plant an diesem Abend sein Comeback mit der formidablen Band The Hawks (echt super). Und nun beginnt ein teils absurdes, teils hintergründiges Spiel mit alternativen Handlungen und Zeitsprüngen. Es geht um verletzte Liebe, um Schuld und um eine Urne im Regal hinter der Bar. Getragen wird der Abend von der Idee, das Clapton, Cash und Cohen zusammen auf einer Bühne hätten stehen können, ihre wahnsinnig gut gesungenen Welthits (Hits für ältere Menschen jedenfalls) strukturieren den wunderschön inszenierten Abend.
„After Midnight“ | R: Christian Tombeil | 6.2., 21.2., 13.3., 21.3., 27.3. je 19.30 Uhr | Grillo-Theater, Essen | 0201 812 22 00
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