Kurzer Monat. Kurzer Februar. Kurze Stücke? Das wäre ein interessanter Gedanke. Aber es ist ja kein Schaltjahr, und so schauen wir mal und stellen uns erst einmal eine Welt vor, in der es keine sozialen Hierarchien gibt, in der Diskriminierung undenkbar ist, das Geschlecht Privatsache, Arbeitslosigkeit eine neue Chance und der Tod Gelegenheit, kleineren Lebewesen als Nahrung zu dienen. Das ist gar nicht so einfach. Einen „Homo Empathicus“ gibt es nämlich noch nicht und ich bin auch nicht sicher, ob diese Phase einer Evolution unbedingt eine gute wäre. Die Gesellschaft jedenfalls, die die zeitgenössische Dramatikerin Rebekka Kricheldorf in ihrem Stück „Homo Empathicus“ skizziert, ist geprägt von unbedingter Harmonie und eben zwanghafter Selbstoptimierung. Und so lebt da nicht nur ein „Hygienespezialisiertes“, das für das Reinigen öffentlicher Toiletten geschätzt und bewundert wird, auch ein „Wegsprechendes“, das Konflikte in Euphemismen ertränkt. Die Frage bleibt: Liegt Aggressivität gegenüber dem Fremden in der Natur des Menschen? Regisseur Thomas Ladwig ist mit elf Schauspielstudierenden der Essener Folkwang Universität der Künste im Bochumer Theater Unten auf der Suche nach Antworten.
In Dortmund inszeniert Kay Voges mit seinem Ensemble im Megastore die nächste Stückentwicklung. „hell / ein Augenblick“ soll die künstlerische Fortsetzung von „Das Goldene Zeitalter“ und „Die Borderline Prozession“: werden. Die Grenzen zwischen Theater und Fotografie werden verwischt. Helligkeit und Dunkelheit tauschen ihre Plätze. Die Fläche der Halle dient als riesige Dunkelkammer, in der lediglich Blitzlicht zuckt:Zuschauern mit Dunkelangst, akuten Herzkrankheiten oder Epilepsie wird auch hier dringend von einem Besuch der Vorstellung abgeraten. Bilder im Takt der1/50-Sekunde: Zeigen sie Abbild oder nur den flüchtigen Moments, wann beginnt die Poesie des Augenblicks? „hell / ein Augenblick“ wird eine traurig-schöne Meditation über die einzige Konstante im Leben, der wir uns wirklich sicher sein können: Es ist die Vergänglichkeit.
Davon handelt auch ein Projekt von und mit geflüchteten Theaterkünstlern in Oberhausen, wenn auch der hinterlegte Text kein zeitgenössischer ist. Vom Arbeitstitel „Neue Heimat“ schwang sich die junge syrische Regisseurin Wihad Suliman mit dem Ensemble am Theater zum zeitlosen Mythos der Medea auf, die vom ollen Recken Jason im Stich gelassen wird, obwohl sie ihn doch erst zu dem gemacht hat, was er immer sein wollte: der Kingpin seiner Zeit. Diplomatie hilft da nix mehr. Die starke Frau Medea fügt sich nicht in ihr Schicksal, sie will Rache. Absolut, ohne Kompromiss – maßlos wird ihr Werk der Vernichtung. Suliman und ihre Bühnen- und Kostümbildnerin Reem Helou inszenieren in Oberhausen diese herrliche Geschichte einer notwendigen Katastrophe. Der uralte Mythos von Medea erzählt als Tatbestand in unserer Gegenwart.
„Homo Empathicus“ | R: Thomas Ladwig | Do 16.2.(P) 19 Uhr, Sa 26.2. 18 Uhr, So 27.2. 20 Uhr | Theater Unten, Bochum | 0234 33 33 55 55
„hell / ein Augenblick“ | R: Kay Voges | Sa 11.2.(P), Fr 17.2., Sa 18.2. 19.30 Uhr | Megastore, Dortmund | 0231 502 72 22
„Medea“ | R: Wihad Suliman | Fr 17.2.(P), Sa 18.2., Fr 24.2. 19.30 Uhr | Theater Oberhausen | 0208 857 81 84
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Der Held im Schwarm
„Swimmy“ am Theater Oberhausen – Prolog 10/24
Wüste des Vergessens
„Utopia“ am Theater Oberhausen – Prolog 09/24
„Es ist ein Weg, Menschen ans Theater zu binden“
Regisseurin Anne Verena Freybott über „Der Revisor kommt nach O.“ am Theater Oberhausen – Premiere 06/24
„Zero Waste“ am Theater
Das Theater Oberhausen nimmt teil am Projekt Greenstage – Theater in NRW 06/24
Von der Straße ins Theater
„Multiversum“ am Theater Oberhausen – Prolog 04/24
Mackie im Rap-Gewand
„MC Messer“ am Theater Oberhausen – Tanz an der Ruhr 04/24
Vom Elvis zum Cowgirl
„The Legend of Georgia McBride“ am Theater Oberhausen – Prolog 02/24
„Die Geschichte wurde lange totgeschwiegen“
Ebru Tartıcı Borchers inszeniert „Serenade für Nadja“ am Theater Oberhausen – Premiere 01/24
Multiple Zukünfte, sinnlos zerstört
„Die Brücke von Mostar“ am Theater Oberhausen – Prolog 09/23
Antworten, die verschwiegen werden
„And now Hanau“ in einem Oberhausener Ratssaal – Prolog 09/23
Folgerichtiger Schritt
Urban Arts am Theater Oberhausen – Theater in NRW 08/23
Apokalyptische Symbole
„Der lange Schlaf“ in Oberhausen – Theater Ruhr 07/23
Stimme gegen das Patriarchat
„Tabak“ am Essener Grillo-Theater – Prolog 11/24
Krieg und Identität
„Kim“ auf PACT Zollverein in Essen – Tanz an der Ruhr 11/24
Liebe ist immer für alle da
„Same Love“ am Theater Gütersloh – Prolog 11/24
„Ich glaube, Menschen sind alle Schwindelnde“
Regisseurin Shari Asha Crosson über „Schwindel“ am Theater Dortmund – Premiere 11/24
Mentale Grenzen überwinden
„Questions“ am Münsteraner Theater im Pumpenhaus – Prolog 10/24
Bollwerk für die Fantasie
Weihnachtstheater zwischen Rhein und Wupper – Prolog 10/24
Torero und Testosteron
„Carmen“ am Aalto-Theater in Essen – Tanz an der Ruhr 10/24
„Was dieser Mozart gemacht hat, will ich auch machen“
Komponist Manfred Trojahn wird 75 Jahre alt – Interview 10/24
„Hamlet ist eigentlich ein Hoffnungsschimmer“
Regisseurin Selen Kara über „Hamlet/Ophelia“ am Essener Grillo Theater – Premiere 10/24
Das gab es noch nie
Urbanatix im Dezember wieder in Essen – Bühne 10/24
Die Zwänge der Familie
„Antigone“ in Duisburg – Prolog 09/24
Das schöne Wesen aller Dinge
Festival Spielarten 2024 in NRW – Prolog 09/24