Die weibliche Nacktheit wird gleich zu Beginn erledigt. Lulu macht ein paar Lockerungsübungen, dann zieht sie sich mit fragendem Blick ins Publikum langsam aus. „Do women have to be naked to get into the Met.Museum?“, fragte 1989 ein Plakat der feministischen Guerilla Girls zur Rolle der Frau in der Kunst. Das gilt für jede „Lulu“-Aufführung. Regisseurin Bernadette Sonnenbichler erledigt den männlichen Voyeurismus gleich im Vorspiel. Der Zutritt der Frau in die Kunstwelt ist damit noch nicht gesichert. Der generös-verknöcherte Oberstaatsanwalt Goll hat seine Frau Nelly bzw. Lulu an den Maler Schwarz (Florian Steffens) verliehen. Er malt sie in Yves Klein-Attitüde blau an, ereifert sich über seine soziale Deprivation, entblößt sich, monologisiert über sein „Würstchen“ und wird gegenüber Lulu übergriffig. Mit Goll‘s plötzlichem Tod heiratet er die reiche Witwe und hat mit seiner künstlerischen Impotenz Erfolg – dass er selbst Objekt von Lulus Gnaden ist, merkt er nicht.
Bernadette Sonnenbichler hat Frank Wedekinds „Monstretragödie“ auf das Handlungsgerippe skelettiert und zugleich mit feministischen Texten von Svenja Flaßpöhler bis Laurie Penny aufgepumpt. Ziel ist offenbar, Lulu weibliche und ästhetische Autonomie zurückzugeben und sie aus der Funktion männlicher Projektion und „imaginierter Weiblichkeit“ zu befreien. Lulu beherrscht den weißen trichterförmigen Kasten (Bühne: Simeon Meyer) alleine, bis sich die Männer durch die papiernen Wände Zutritt verschaffen. Sie nehmen sie in Besitz, benutzen sie, vergreifen sich an ihr – Lieke Hoppe als Lulu bewahrt sich nichtsdestotrotz eine unberührbare Souveränität, nimmt sich Männer und serviert sie ab. Selbst Lulus Prostitution am Schluss wird ästhetisch umgedeutet.
Das hat seinen inszenatorischen Preis. Die dramatische Beziehung zu Chefredakteur Schön (Wolfgang Michalek), der sie im Alter von 12 Jahren missbraucht hat und den sie jetzt erschießt, wird stark verknappt. Nicht so recht ins Schema passen dann Wedekinds schräge Figuren und seine Trashelemente wirken im behaupteten Kunstkontext merkwürdig disparat. Lulu spinnt sich über lange Zeit in eine Stoffhülle ein und behauptet statisch ihren Platz. Ihre Ermordung ist dann nur noch eine imaginierte Perfomance, bevor die Künstlerin selbstbestimmt die Bühne verlässt – the artist is absent.
„Lulu“ | R: Bernadette Sonnenbichler | 7.3., 23.3. 19.30 Uhr, 29.3. 18 Uhr | Düsseldorfer Schauspielhaus | 0211 36 99 11
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