„Kunst & Kohle“: Der Titel für das nun im Ruhrgebiet stattfindende Feuerwerk hochkarätiger, sehr feiner Ausstellungen ist einprägsam aber plump. Am Projekt der Arbeitsgemeinschaft der RuhrKunstMuseen beteiligen sich 17 Institutionen in 13 Städten, also an den Schauplätzen, die vom Ende des Steinkohleabbaus betroffen sind. Architektonisch und atmosphärisch von den Zechen geprägt, liegt trotz der harten, verlustreichen Arbeit unter Tage eine große Identität der Bevölkerung mit dem Ruhrgebiet vor. Einerseits ist da der romantische Blick, andererseits der ökologische Aspekt. Mit dem Strukturwandel stellen sich Fragen des sozialen Gefüges, des Städtebaulichen und des kulturellen Selbstverständnisses. Und dann ist da die Kohle selbst: als weltweit gefragtes Gut und Einnahmequelle mit verteilten Rollen und als spezifischer Stoff mit seiner ganz eigenen Ästhetik – vor allem dieser Aspekt wird nun bei „Kunst & Kohle“ aufgegriffen. Künstler wie Reiner Ruthenbeck über Kounellis, Venet und Nash bis hin zu Alicja Kwade und Gert & Uwe Tobias sind beteiligt. Und auch das Fotografen-Paar Bernd und Hilla Becher, das die anonymen Bergwerke des Ruhrgebiets dokumentarisch und künstlerisch zugleich aufgenommen hat. Ausstellungsort ihrer distanzierten s/w-Typologien ist das Josef Albers Museum in Bottrop. Ibrahim Manama arbeitet ebenfalls mit Architektur, aber er formuliert sie selbst, an Schloss Strünkede in Herne. Der documenta-Teilnehmer aus Ghana hat die Fassaden mit Kohlesäcken aus Jute verhängt, die die globalen Wege der Kohle und die Prozesse der Ausbeutung ansprechen. Entstanden ist ein Mahnmal voller Arbeitsspuren und Versehrungen. Im Kunstmuseum Bochum wiederum verweist Andreas Golinski auf die Tiefe. Er untersucht den physischen und kulturellen Kontext, der sich „unter Tage“ einstellt, und entwickelt daraus, unter Einbezug der Kunstwerke weiterer Künstler, seinen installativen Beitrag.
Andere (Gruppen-) Ausstellungen nähern sich analytisch und vergleichend dem Bergbau und der Kohle als Materie – besonders, mit verschiedenen Akzenten, in den Duisburger Instituten DKM, Lehmbruck Museum und Museum Küppersmühle – bis hin zur Frage, wie Kohle riecht (Helga Griffith im Kunstmuseum Mülheim). Die Arbeiterkultur wird in Dortmund und in Marl (Sammlung Werner Bibl) thematisiert, und sie kehrt wieder bei Hermann Kätelhöns Landschaftszeichnungen (Museum Folkwang Essen) und bei dem einstigen Bergarbeiter Erich Bödecker, dessen Skulpturen in Holz und Beton im Festspielhaus Recklinghausen stehen und dort noch zu einem Beitrag der Ruhrfestspiele werden. Klar, all das ist Leuchtturm-Kultur. Dass im Alltagsbetrieb etliche der kommunalen Museen personell und finanziell am unteren Limit arbeiten, sollte nicht vergessen werden und gehört zur traurigen Realität des Ruhrgebietes.
Kunst & Kohle | Mai bis September | 17 RuhrKunstMuseen | www.ruhrkunstmuseen.com
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Der Künstler als Vermittler
Frank van Hemert in der Otmar Alt Stiftung in Hamm-Norddinker – kunst & gut 10/24
„Die jüdische Renaissance ist nicht so bekannt“
Museumsleiterin Kathrin Pieren über „Shtetl – Arayn un Aroys“ im Jüdischen Museum in Dorsten – Sammlung 08/24
Farbe an Farbe
Otto Freundlich und Martin Noël in Bergisch Gladbach – Kunst in NRW 06/24
Ins Blaue
„Planet Ozean“ im Gasometer Oberhausen – Ruhrkunst 04/24
Einfach mal anders
Das stARTfestival der Bayer AG in Leverkusen geht eigene Wege – Festival 04/24
Das eigene Land
„Revisions“ im Rautenstrauch-Joest-Museum Köln – Kunst in NRW 03/24
Diplomatie kreativ
Ingo Günther im Kunstverein Ruhr in Essen – Ruhrkunst 02/24
Zur Liebe
„love/love“im Künstlerhaus Dortmund – Ruhrkunst 09/23
Kunst und Umgebung
„Produktive Räume“ in Haus Lange Haus Esters in Krefeld – Kunst in NRW 08/23
Kunst kommt zum Publikum
bobiennale vom 11 bis 21. Mai in Bochum – Festival 05/23
Draußen, immer
Ein Skulpturenprojekt in Monheim – Kunst in NRW 02/23
Forschungsstation Zivilisation
Andrea Zittel im Haus Esters Krefeld – Kunst in NRW 12/22
Richter daheim
Gerhard Richter im Kunstpalast Düsseldorf – Kunst in NRW 11/24
Menschen allein
Lars Eidingers Ausstellung „O Mensch“ in Düsseldorf – Kunst in NRW 10/24
Noch gemalt
„Zwischen Pixel und Pigment“ in Herford und Bielefeld – Kunst in NRW 09/24
Farbe als Ereignis
Katharina Grosse im Kunstmuseum Bonn – Kunst in NRW 07/24
Am Anfang der Abstraktion
Hilma af Klint und Wassily Kandinsky in Düsseldorf – Kunst in NRW 05/24
Glaube und Wissenschaft
Louisa Clement im Kunstmuseum Bonn – Kunst in NRW 04/24
Ritt durch die Jahrhunderte
Die Neupräsentation im Kunstpalast in Düsseldorf – Kunst in NRW 02/24
Ende eines Jahrhunderts
George Minne und Léon Spilliaert in Neuss – Kunst in NRW 01/24
Puls des Lebens
Chaïm Soutine im K20 in Düsseldorf – Kunst in NRW 12/23
Ganz leicht
Christiane Löhr im Bahnhof Rolandseck – Kunst in NRW 11/23
Die stille Anwesenheit der Dinge
Cornelius Völker im Kunstpalast Düsseldorf – Kunst in NRW 10/23