trailer: Herr Behr, im vergangenen Jahr kam der Flüchtling Mouhamed Dramé in Dortmund durch polizeilichen Schusswaffeneinsatz ums Leben. Werden solche Einsätze angemessen kritisch aufgearbeitet?
Rafael Behr: Bei diesem Einsatz sind mindestens zwei große Probleme entstanden. Erstens das mit der Verhältnismäßigkeit, also ob der Einsatz ordnungsgemäß abgelaufen ist. Zweitens: Der einsatzleitende Beamte hat anschließend einen Bericht abgegeben, der nicht den Tatsachen entsprach. Diese zwei Elemente machen den Fall so enorm problematisch. Reflektiert wird natürlich im juristischen und im einsatztaktischen Sinne. Es bleibt jetzt abzuwarten, wie das Gericht entscheidet – wenn überhaupt eine Verhandlung anberaumt wird. Ich vermute, dass bei der Berichterstattung legitimatorische Rekonstruktionen entstanden sind. Das heißt, ein Einsatz wird so berichtet, wie die Polizei ihn durchgeführt hat und nicht danach, was geschehen ist. Dadurch entsteht der Eindruck: Der Einsatz der Mittel war rechtmäßig, richtig und verhältnismäßig. Wir wissen nicht, wie viele Polizeibeamte Einsätze so schreiben. Es lässt sich immer nur dann etwas anderes sagen, wenn objektive Beweismittel vorliegen, die das Geschehen anders abbilden. In Dortmund war z.B. ein Telefon eingeschaltet und konnte so noch eine andere Rekonstruktion ermöglichen. Das führt natürlich zu diesem enormen Vertrauensverlust in die Polizei. Man muss sich fragen, warum die zwölf Bodycams, die die Polizisten in Dortmund getragen haben, während des Einsatzes ausgeschaltet waren. Warum waren die nicht an?
„Zahl derer steigt, die in einem psychotischen Zustand ein Messer benutzen“
Wie wird deren Nutzung aktuell gehandhabt?
Die Polizei ist strikt dagegen, Bodycams auch dann einzuschalten, wenn Polizeibeamte nicht gefährdet sind. Etwa um Szenen zu dokumentieren. Das wäre ein wichtiger Schritt in Richtung Objektivität und Transparenz, auch als Signal in die Bevölkerung.
Sie haben nach dem Einsatz in Dortmund alternative Maßnahmen gefordert. Welche?
Traditionell reagiert die Polizei auf Messerangriffe generell mit Schusswaffeneinsatz. Nun sind die Messerangriffe aber sehr weit gefächert: Das kann einmal kriminelle Energie sein, psychotische Umstände oder Zustände, in die Menschen geraten, die gar keinen Angriff vorhaben. Und auf diese breite Palette müsste man auch entsprechend mit den Einsatzmaßnahmen reagieren, so meine Forderung. Beispielsweise im Fall Mouhamed Dramé, der ja offensichtlich keine Angriffsabsichten hatte, dass man ihn möglicherweise mit weniger starken Mitteln hätte zumindest so weit stillstellen oder entwaffnen können, dass die Beamten sich nicht mehr bedroht fühlen. Ich habe in diesem Zusammenhang die Distanzstange ins Spiel gebracht. Das wird aber nicht getan! Sondern es wird dogmatisch daran festgehalten, dass nur der Schusswaffeneinsatz das probate Mittel bei solchen Angriffen ist. Wir wissen aber, dass die Zahl derer steigt, die in einem psychotischen Zustand ein Messer benutzen, weil sie einfach Angst haben, weil sie andere Elemente sehen etc. Das Messer wird eben nicht eingesetzt mit der Absicht, Polizisten zu verletzen, sondern z.B. sich selbst. Da muss die Polizei dringend drüber nachdenken, ob sie andere Einsatzmittel zur Verfügung hat. Und die gibt es. Sie werden nur nicht genutzt.
„In der Polizei herrscht die Doktrin, schnell und wirkungsvoll den Täter überwältigen zu müssen“
Psychisch Erkrankte reagieren anders auf polizeiliche Ansprache. Müssten Beamte ihre Kommunikation in solchen Einsätzen verändern?
Auch das ist ein wichtiger Punkt. Polizeibeamte kommunizieren in der Regel in einem Herrschafts- und Dominanzkontext. Ich sehe das in Hamburg bei der Ausbildung: Da wird möglichst laut, oft und schnell „Messer weg, Messer weg“ gerufen. Diese Kommunikation löst bei Menschen in einer psychischen Ausnahmesituation natürlich mehr Angst aus und treibt sie stärker in die Defensive als sie zu pazifizieren. Die Polizei bildet in ganz vielen Fällen Spezialisten aus. Warum ist es nicht möglich, einzelne Multiplikator:innen zu schulen? Beispielsweise über ein halbes Jahr mit Aufenthalt in Psychiatrien, mit Rettungssanitätern und Ärzten usw. Damit könnten sie im Polizeidienst bei solchen Einsätzen sofort hinzugezogen werden. Sie könnten die Kollegen anweisen, an einer Stelle stehen zu bleiben und erst einmal selbst mit der Person sprechen – ganz anders, ruhig. Und erstmal einordnen, wie groß die Selbst- und Fremdgefährdung wirklich ist, um in der Folge vielleicht weniger bedrohlich in die Nähe zu gelangen.
Innerhalb der Polizei herrscht weiterhin die Doktrin, schnell und wirkungsvoll den Täter überwältigen zu müssen. Nur, dieses Modell des Zugriffs funktioniert bei Menschen in einem psychotischen Zustand überhaupt nicht.
„Es muss möglich sein, im Falle von Whistleblowing anonym zu bleiben“
Wie können Beamte vorgehen, wenn ihnen problematisches Verhalten von Kollegen auffällt, sie sich aber scheuen, es zu melden?
In einigen Bundesländern wird es schon probiert, anonyme Hinweise zu ermöglichen. Doch das steckt noch in den Kinderschuhen. Also, dass Polizeibeamte aus der Anonymität heraus eine Stelle anrufen oder anschreiben können, die sich dann darum kümmert. Leider herrscht innerhalb der Polizei immer noch die Tradition, Ross und Reiter nennen zu müssen: Der Beamte soll dazu stehen, was er gesehen hat, seine Personalien angeben, damit juristisch ermittelt werden kann. Aus der Kulturforschung wissen wir aber, welche Regeln es innerhalb der Cop Culture gibt, z.B. verrät man keine Kameraden. Das ist eine Todsünde. Jemand, der das tut, hat Schwierigkeiten in der Kollegenschaft wieder Fuß zu fassen und als guter Kollege zu gelten. Er wird damit sofort zum Außenseiter. Deshalb sagen wir: Es muss möglich sein, z.B. im Falle von Whistleblowing anonym zu bleiben. Ferner muss es an Stellen gemeldet werden können, die weder selbst Polizisten sind noch in der Hierarchie der Polizei stehen. Es nützt mir nichts, wenn ich ein Fehlverhalten an die Disziplinarstelle melde, an der ein Polizeirat sitzt, der vielleicht sogar denjenigen kennt, gegen den die Beschwerde läuft. Denn, sobald Polizei gegen sich selbst ermittelt, besteht immer die Möglichkeit, dass sich Kumpanei und solche Dinge mit einschleichen.
„Der Bundespolizeibeauftragte wäre in erster Linie ein politisches Signal“
Es braucht also eine unabhängige Kontrolle.
Es braucht eine Monitoring-Instanz, die die Polizei in ihrem Tun begleitet und selbstverständlich Fälle übernimmt, in denen Polizeibeamte befangen sein könnten. Das tut zur Zeit nur die Staatsanwaltschaft. Es gibt zwar unabhängige Polizeibeauftragte in einigen Bundesländern, doch sie haben keine Ermittlungskompetenz. Das heißt, sie können kein Handy sicherstellen, sie können keine Zeugen vorladen, sie können selbst keine Tatorte besichtigen und rekonstruieren, was los war, sondern sie können nur Fragen stellen und über den Minister oder die Vorgesetzten Akten einsehen. Das ist, in meinen Augen, ein stumpfes Schwert. Einige Forscher:innen und Polizeibeauftragte fordern an dieser Stelle, Unabhängigkeit zu belassen, sprich nicht im Instanzenzug der Polizei oder des Innenministeriums zu arbeiten, sondern extern, mit einem Mandat des jeweiligen Landtags, aber mit einer zusätzlichen Ermittlungskomponente. Die Ermittlungsabteilung könnte durchaus auch aus ehemaligen Polizeibeamt:innen bestehen, aber sie dürfen nicht die einzigen sein. Wir brauchen so eine Stelle, die beides vereint. Sie müsste die soziale Komponente dieser Konflikte mit in den Blick nehmen, aber auch, wenn es sein muss, sehr konkret ermitteln und Tatsachen feststellen. Und daran mangelt es im Moment. Deswegen sind die Erwartungen an einen externen Polizeibeauftragten aus der Bevölkerung unheimlich hoch.
„Die Polizei müsste wissen wollen, woran es liegt, dass 150 Leute rechtsextremistische Chats schreiben“
Was ist von einem Polizeibeauftragten auf Bundesebene zu erwarten, wie ihn die Ampelkoalition einsetzen möchte?
Er hat einen gewissen Symbolcharakter, denn Bund ist immer ein bisschen prominenter als Land. Faktisch ist es so, dass zum Bund genau zwei Polizeien gehören: Bundeskriminalamt und Bundespolizei. Das Bundeskriminalamt ist eine relativ weit abgehobene kriminalpolizeiliche Stelle, die nicht in den Niederungen des Alltags verortet ist, sondern exponierte Fälle hat. Dort ist die Problemlage eine ganz andere. Der Bundespolizeibeauftragte wäre in erster Linie ein politisches Signal – etwas tun zu wollen. Er hat nicht mehr oder weniger Kompetenzen als seine Kolleg:innen in den Ländern, auch keine Ermittlungskompetenz. Im Wesentlichen würde er sich um die Bundespolizei kümmern. Das ist gut. Jedes Ventil und jede Form der Begleitung sind gut. Man darf sich allerdings nicht zu viel davon erhoffen. Zumal es sich in dieser Position um ein verdientes Mitglied einer politischen Partei handelt, das zwar früher Polizist war, aber in erster Linie ein politisches Mandat ausgeübt hat. Ich persönlich halte das für suboptimal, weil es hier nicht unbedingt um fachliche Expertise geht, sondern um politische Opportunität.
„Man muss die Türen zur Polizei aufmachen“
Wie lässt sich verlorenes Vertrauen zurückgewinnen, besonders bei Menschen mit Migrationshintergrund?
Das geht nicht von jetzt auf gleich. Welche Wege beschritten werden können, um mit der Community in Verbindung zu kommen, erlebt die Dortmunder Polizei im Moment. Natürlich muss man sich da auch einiges an Vorwürfen gefallen lassen. Diese Kommunikation ist nicht immer leicht. Das Erste ist, mit den Menschen Kontakt aufzunehmen, auch mit den Organisationen, die diese Menschen vertreten. Das Zweite ist, Transparenz nach innen und außen zu schaffen. Man muss die Türen zur Polizei aufmachen und auch nicht-polizeiliche Vertreter hineinschauen lassen. Die Polizei müsste also ein Interesse daran formulieren, wissen zu wollen, woran es liegt, dass 150 Leute rechtsextremistische Chats schreiben, dass Gewalt im Übermaß angewendet und dann anders aufgeschrieben wird. Warum gibt es denn diese Chats in bestimmten Dienstgruppen und nicht bei der Jugendverkehrsschule? Man könnte beispielsweise Forscher:innen einladen, durch teilnehmende Beobachtung den Alltag von Polizeibeamten stärker zu beforschen und dabei nach Regeln zu schauen, die in die Irre führen und nach denen, die gut sind. Da geht es überhaupt nicht darum, einzelne Personen zu markieren oder sie als Rassisten zu identifizieren. Sondern es geht wirklich darum, die Bedingungen zu erkunden, unter denen dieses abweichende Verhalten möglich ist. Nur mit Online-Fragebögen kommt man da nicht weit. Ein kleiner, aber sehr konkreter Punkt wäre auch, wenn sich alle Polizeien entschließen würden, Kontrollzettel auszuhändigen, insbesondere bei Kontrollen von sozialen Minderheiten, People of Color und anderen, die öfter von der Polizei kontrolliert werden. In Bremen wird das schon praktiziert. Sie könnten verhindern, dass jemand vier, fünf Mal in der Nacht angehalten wird. Das wäre ein Signal in die Community derer, die sich darüber beklagen, von der Polizei diskriminierend behandelt zu werden, ihnen zu spiegeln: Wir wollen daran etwas ändern. Man könnte auch über andere Dinge nachdenken, z.B. über Bürgerräte, die regelmäßig in die Kontrolle der Polizeiarbeit eingebunden werden. So etwas hat es mal in der britischen Zone gegeben, als die Alliierten nach dem NS-Regime Deutschland sozusagen auch polizeilich aufgeteilt haben. Sogenannte Polizeikommissionen beziehungsweise Ombudsleute, also zivile Instanzen, haben dabei die Polizeiarbeit begleitet. Leider ist das wieder eingeschlafen. Jetzt sind wir in der Polizei strikt hierarchisch und amtlich organisiert. Da muss wieder Luft rein. Gerade in solchen Fällen, die die Öffentlichkeit erregen, macht die Polizei oft dicht und verweist an die Staatsanwaltschaft. Das ist für die Öffentlichkeit äußerst unbefriedigend, da die Staatsanwaltschaft auch keine Auskunft gibt. Je mehr die Polizei sich öffnet und mitteilt, was sie tut, desto größer wäre der Gewinn. Im Fall von Dortmund war es die große Ausnahme, dass der Oberstaatsanwalt sofort in die öffentliche Auseinandersetzung gegangen ist. Er hätte das auch anders machen können. In dieser Hinsicht ist Dortmund ein absoluter Ausnahmefall. Mit solchen Informationen hält sich die Polizei und auch die Staatsanwaltschaft in der Regel zurück. Auch das trägt dazu bei, dass Misstrauen geschürt wird, vor allem dann, wenn man vermutet, dass Dinge anders gelaufen sind, als die Polizei es sagt.
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deutschlandfunk.de/soldatenbild-soldaten-image-geschichte-100.html | DLF-Beitrag zum Verhältnis zwischen Bundeswehr und Bevölkerung.
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Teil 2: Leitartikel – Die Sehschwäche des Verfassungsschutzes auf dem rechten Auge ist Legende
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Politischen Streit zulassen
Teil 2: Lokale Initiativen – Das Kölner Grundrechtekomitee und der Verfassungsschutz
Wessen Freund und Helfer?
Teil 3: Leitartikel – Viele Menschen misstrauen der Polizei – aus guten Gründen!
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Teil 3: Lokale Initiativen – Projekt EQAL erforscht das Verhältnis von Stadtgesellschaft und Polizei
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