So richtig verschwinden will es ja nicht, das Unbehagen. Immer wenn man einen dieser Hochkulturbauten betritt, um ein Popkonzert zu sehen, ist es wieder da. Nicht weil man nicht rauchen darf, da ist der Unterschied zwischen E- und U-Musik schon längst eingeebnet. Sondern weil es pünktlich beginnt, man sich nicht kurz zum Wiedersehen mit einem alten Bekannten an die Theke begeben kann. Am enttäuschendsten ist aber in der Regel die Musik. In einem „richtigen“ Konzerthaus aufzutreten, bringt zumeist das Schlechteste in Musikern hervor – sie produzieren Pathos statt Pop: hohlen Pomp, dem die „seriöse“ Umgebung die nötigen Weihen verleihen soll.
Da ist es eigentlich ganz angenehm, wenn man die Potentiale, die öffentlich geförderte Institutionen für Popmusiker bieten, auch nutzen kann. Ende dieses Monats treffen bei der Ruhrtriennale Massive Attack auf den Filmemacher Adam Curtis. Massive Attack haben ihre Wurzeln in der Soundsystem-Kultur von Bristol schon eine Weile hinter sich gelassen, und spätestens mit „Mezzanine“ von 1997 stand die Atmoscape im Mittelpunkt. Das Potential zum Soundtrack hatten Massive Attack schon immer: In ihrem Videoclip zu „Teardrops“ wird ein Fötus im Mutterleib von der Stimme Elizabeth Frasiers umgarnt, noch pathetischer geht’s eigentlich nicht. Anders macht es Adam Curtis.
Der Dokumentarfilmer ist einer der wenigen BBC-Filmer, die die Chancen des öffentlichen Rundfunks nutzen können. Seine Dokumentationen sind Streifzuge durch die Archive der altehrwürdigen Institution, die er zu waghalsigen Geschichtserzählungen montiert. Seine Miniserie „The Trap“ von 2007 spürt dem Einfluss der Spieltheorie auf die Politik nach, „All Watched Over by Machines of Loving Grace“ (2011) beschreibt, wie eine zufällige Koalition aus Computernerds und marktlibertären Philosophen und Ökonomen zur „New Economy“ und dem Finanzmarktcrash von 2008 führte. Gemeinsam werden sie im Duisburger Landschaftspark Nord ihr Projekt aufführen, das sich mit den „Illusionen der Macht und der Macht der Illusionen“ auseinandersetzt.
Mit beidem kennt man sich in Duisburg selbstverständlich gut aus. Auch drei Jahre nach der Tragödie bei der Loveparade sind die Ignoranz und der Größenwahn der Verantwortlichen kaum nachvollziehbar. Das fällt besonders auf, wenn man es mit der sehr umtriebigen Musikszene vor Ort vergleicht, die trotz offensichtlichen Standortnachteils nicht müde wird, der alten Stahlstadt auch abseits der Großereignisse Leben einzuhauchen. Ende August richtet ein Veranstalterkreis aus etablierten Spielorten wie dem Djäzz, dem Grammatikoff oder dem Goldengrün zum ersten Mal das „Platzhirsch Festival“ aus. Von alteingesessener Underground-Avantgarde aus dem Umfeld der Einstürzenden Neubauten über die Neopsychedelic-Synthpopper Rainbow Arabia bis hin zum Dub-Spezialisten Jacques Palminger reicht das Spektrum der Musiker, die in den verschiedenen Kleinstlokalitäten Duisburgs auftreten werden. Mit viel Ironie, viel Experimentierfreude und – ja – auch ein klein wenig Pathos.
Massive Attack v Adam Curtis | Landschaftspark Nord, Duisburg | Do 29.8. bis So 1.9. 20 Uhr | www.ruhrtriennale.de
Platzhirsch Festival | verschiedene Spielorte, Duisburg | Fr 30.8. bis So 1.9. | www.platzhirsch-duisburg.de
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Orte mit Bedeutung
Zur Ruhrtriennale: Berlinde De Bruyckere in Bochum – kunst & gut 09/24
Keine Spur von Rechtsruck
Die Ruhrtriennale 2024 in Bochum, Duisburg und Essen – Prolog 07/24
Alptraum ohne Ausweg
Ruhrtriennale: Leoš Janáčeks „Aus einem Totenhaus“ in Bochum – Oper 09/23
Gitarrengewitter im Landschaftspark
Anna Calvi bei der Ruhrtriennale – Musik 08/23
Dem Horror entfliehen
„The Visitors“ bei der Ruhrtriennale – Tanz an der Ruhr 09/23
Monumentales Werk
„Das große Abend- und Morgenlob“ in Dortmund – Klassik an der Ruhr 08/23
Kontrollverlust und Lüste
Zwei „hemmungslose“ Schauspiele bei der Ruhrtriennale – Prolog 08/23
Von guten und bösen Geistern
Ruhrtriennale 2023 an div. Orten im Ruhrgebiet – Prolog 06/23
Tanzbein und Tiger
Julian Rosefeldts „Euphoria“ bei der Ruhrtriennale – Festival 09/22
Indigener Widerstand
„Encantado“ auf PACT Zollverein – Tanz an der Ruhr 08/22
„Die müssen unser Zusammenleben noch 70 Jahre lang ertragen“
Anne Britting über die Junge Triennale – Premiere 07/22
Tanz auf dem Todesstreifen
Ruhrtriennale: „Danza y Frontera“ auf Pact Zollverein in Essen – Bühne 09/21
Trotz finanziell angespannter Lage
Konzerte im Kölner Stadtgarten im Januar – Improvisierte Musik in NRW 01/25
Intime Weltenwanderer
Markus Stockhausen und Ferenc Snétberger im Parkhotel Engelsburg – Improvisierte Musik in NRW 12/24
Tolerante Szene
An diesem Abend gehen Kölner Jazzbühnen fremd – Improvisierte Musik in NRW 11/24
Nordisches Spitzenprodukt
Rymden am Theater Krefeld – Improvisierte Musik in NRW 10/24
Experimentell und innovativ
3. New Colours Festival in Gelsenkirchen – Improvisierte Musik in NRW 09/24
Immer eine Uraufführung
4. Cologne Jazzweek – Improvisierte Musik in NRW 08/24
Ein Abend für den Duke
Jason Moran und die hr-Bigband in Duisburg – Improvisierte Musik in NRW 07/24
Musikalische Eröffnung der EM
Bundesjazzorchester mit Tom Gaebel in Dortmund und Köln – Improvisierte Musik in NRW 06/24
Verschiedene Welten
Drei Trompeter besuchen das Ruhrgebiet – Improvisierte Musik in NRW 05/24
Besuch von der Insel
„Paul Heller invites Gary Husband“ im Stadtgarten – Improvisierte Musik in NRW 04/24
Pure Lust an der Musik
Das Thomas Quasthoff Quartett im Konzerthaus Dortmund – Improvisierte Musik in NRW 03/24
Kleinstes Orchester der Welt
„Solace“ in der Friedenskirche Ratingen – Improvisierte Musik in NRW 02/24
Mit zwei Krachern ins neue Jahr
Jesse Davis Quartet und European All Stars in Köln – Improvisierte Musik in NRW 01/24