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Ein Tiger tigert durch einen Supermarkt: Szene aus „Euphoria“
Foto: Katja Illner

Tanzbein und Tiger

06. September 2022

Julian Rosefeldts „Euphoria“ bei der Ruhrtriennale – Festival 09/22

Cineast:innen erinnern sich bestimmt noch daran, wie Armin Mueller-Stahl neben Giancarlo Esposito 1991 im Taxi durch das nächtliche und winterliche New York tuckerte. Und so ist es auch eine Hommage an Jim Jarmuschs Kultfilm „Night on Earth“, was das Publikum bei der Uraufführung von Julian Rosefeldts „Euphoria“ in der Halle 5 der Zeche Zollverein sieht – zumindest zum Teil. Denn Esposito sitzt auf der großen Leinwand am Taxisteuer. Allerdings beteiligt er sich nicht an coolen Jarmusch-Dialogen.

Krieg, Armut, Philosophie

Der Schauspieler hält seinem Fahrgast vielmehr eine Suada, die aus Aphorismen über den menschlichen Hang zu Gier und Bellizismus besteht. Und so sprudeln ihm allerlei Zitate aus dem Mund – von der Platon zugesprochenen Sentenz, der zufolge nur die Toten das Ende des Krieges gesehen haben, bis hin zu diesem Sartre-Spruch: „Wenn die Reichen Krieg führen, sind es die Armen, die sterben“.

Diese Armen spielen eine Hauptrolle in der knapp zweistündigen Filminstallation, die Rosefeldt für die Ruhrtriennale schuf. Sie schuften in den jeweiligen Episoden zum Beispiel in riesigen Logistikcentern oder hocken mit Schnapspullen um eine Feuertonne. Sie verzetteln sich in Dialogen, in denen sie ökonomische Theorien von Adam Smith bis John Meynard Keynes referieren oder Revisionen raushauen, die eher eine grüne Wachstumsskepsis berücksichtigen.

Denn Rosefeldt durchforstete mit seinem Dramaturgen die Literatur, Philosophie und Ökonomie, um eine zweieinhalb Jahrtausende währende menschliche Wirtschafts- und Theoriengeschichte zu entblättern. Dass die entdeckten Weisheiten (und Plattitüden) von den Darstellern rezitiert werden, ist ein ästhetischer Anknüpfungspunkt an Rosefelds erfolgreiche und für das Kino adaptierte Filminstallation „Manifesto“, die 2016 bei der Ruhrtriennale zu sehen war. Damals war es der Hollywoodstar Cate Blanchett, die in wechselnde Rollen die Manifeste von Tristan Tzara, Marinetti oder Malewitsch darbot. Blanchett erklingt auch in „Euphoria“, diesmal als Stimme eines Tigers, der – wohl als Allegorie menschlicher Gier – durch einen Supermarkt streift.

Rhythmus der Gier

Anders als in „Manifesto“ gelingt es dieser aufwendigen Produktion nicht, Rosefeldts Anspruch der Black Box des Kinos als demokratischen Raum (im Gegensatz zum elitären White Cube der Kunstmuseen) einzulösen. Zwar kleben die Augen des Publikums auf der großen Leinwand. Aber das liegt weniger an den recycelten Zitaten von Marx, Brecht, Smith und Co., sondern an den Schauwerten, die „Euphoria“ liefert: von den Häuserschluchten aus der Vogelperspektive bis hin zu einer Musical-Hommage im Marmorfoyer der American National Bank, die vor dem Krieg im Kiewer Hauptbahnhof gedreht wurde. In dieser Szene beginnen die Bänker à la Busby Berkeley zu steppen. Als wären Macht und Ausbeutung ein Anlass, das Tanzbein zu schwingen.

Ruhrtriennale: Philoktet | 6.-10.9. je 12-19.30 Uhr | Unesco Welterbe Zollverein, Halle 5, Essen

Benjamin Trilling

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