Wenn die Ruhrtriennale ein Konzert ankündigt, dann wartet der Pressetext schonmal mit Worthülsen wie „feministisches Empowerment trifft auf humorvolle Nonchalance“ auf, nur um dahinter ein rockmusikalisches Gesamtkunstwerk mit orgiastischen Gitarrensoli zu verbergen: Anna Calvi, die musikalisch aus dem Soundtrack der Gangster-Dramaserie „Peaky Blinders“ nicht wegzudenken ist, hat es auf die Bühne in der Gießhalle des Landschaftsparks Duisburg Nord verschlagen. Die Halle, die mit ihrer offenen Bauweise eine perfekte Symbiose aus Regensicherheit und Open-Air-Feeling mit Industriekulisse bietet, ist nach wie vor viel zu selten Schauplatz für Konzerte. Gut, dass die Ruhrtriennale hier eine gute Tradition fortführt.
Melancholie & Ekstase
Die Londoner Musikerin Anna Calvi fügt sich wunderbar in den herben Industriecharme. Mal rau und spröde, mal verspielt und voller Schnörkel, ist Calvis Auftritt von vorne bis hinten streng inszeniert. Von einem mehrminütigen filigranen Gitarrenintro bis hin zur völligen Ekstase im Stroboskoblicht bietet sie einen rund 70-minütigen Ritt durch ihr Schaffen. Melancholisch getragene Songs wie „Swimming Pool“, das ein wenig Lana delRay-Flair atmet, wechseln sich ab mit rockig-treibenden Klängen und Arrangements, die an die Bad Seeds oder PJ Harvey erinnern. Ob „Indies or Paradise“ oder „As a Man“ – Calvi flüstert, keucht, singt sirenenhaft klar und schreit sich die Seele aus dem Leib. Ihr Gitarrenspiel, mal bluesig angehaucht mit Bottleneck, dann fingerflink ekstatisch, dürfte so manchen selbsternannten Gitarrengott in die Schranken weisen. Von treibendem Schlagzeug sowie Keyboard und Percussion begleitet, steigert sich Calvi in immer neue Höhen. Die Posen (durchgedrückter Rücken, Kopf im Nacken, Faust in die Luft) sind kraftvoll, wirken aber auch einstudiert. Nur wenige Worte richtet sie an das Publikum. Vereinzelt ein fast scheu hingehauchtes „Thank you“ muss reichen, mehr Kommunikation ist nicht vorgesehen. Als nach etwas über einer Stunde im Stroboskobgewitter nur noch die geschundene Gitarre auf der Bühne liegt und verzerrt ihr Leid klagt, folgt frenetischer, zehn Minuten anhaltender Beifall. Doch es gibt keine Zugabe, keine Verbeugung, kein kurzes Winken. Anna Calvi bleibt unnahbar, eine Urgewalt, die ihr Publikum im Sturm überrollt und sehnsuchtsvoll zurücklässt.
Den Frauen im Iran
Welch ein Kontrast zu Mina Richman, der jungen Musikerin, die von der Triennale als Support auserkoren wurde. Die 25-jährige Singer-Songwriterin, die sich auf der Bühne der Gießhalle bewegt, als sei sie eine solche Kulisse bereits gewohnt, sucht aktiv den Kontakt zum Publikum. Sie erzählt vom Aufwachsen in Bad Salzuflen und dem Überqueren roter Ampeln als Akt der Revolte und schlägt den Bogen zur stockenden Revolution im Iran. In ihren Songs klingt bisweilen ein Hauch Amy Winehouse durch, der Blues ist ihr nicht fremd. Ihre Texte handeln von Beziehungsthemen, aber auch vom Mut fassen, Aufbrechen, Überwinden von Konventionen. Auf der Bühne wird sie begleitet von Alex Mau am Bass und Fredrich Schnorr von Carolsfeld an der E-Gitarre. Sie selbst spielt Gitarre und Ukulele. Letzteres zum Beispiel auch im Song „Baba said“, den die Deutsch-Iranerin Jina Amini den Frauen im Iran gewidmet hat und der einer der Höhepunkte des Auftritts ist: „Ich werde den Song spielen, bis die Mullahs nicht mehr an der Macht sind – und ich hoffe, das wird keine Lebensaufgabe werden.“ Mit ihrem warmherzigen Auftreten bringt Richman das Publikum zum Mitsummen und -singen und steht in starkem Kontrast zur coolen Distanziertheit von Anna Calvi. So wundert es nicht, wenn auf dem Rückweg zum Parkplatz auch vereinzelte Stimmen zu hören sind, die konstatieren: „Die Vorgruppe war besser als die Hauptgruppe.“ Wenn im März 2024 das erste Album von Mina Richman erscheint, sollte man auf jeden Fall nach Tourterminen in der Nähe Ausschau halten.
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