Es war einmal, vor knapp einem Vierteljahrhundert, da ging die bauliche Innovation im Ruhrgebiet zu Ende, fast jede Gemeinde hatte ihr IBA-Emscher-Park Projekt, große und kleine Industriebauten waren restauriert. „Weltkultur in jede alte Kaue“ schien jetzt das Motto, die Ruhrtriennale ward geboren, sie wurde ein verhuschter Sommernachtstraum, der leider kein Erwachen zulässt. In diesem Jahr findet Shakespeares „Drogenstück“ in einer der Eventlocations im Landschaftspark Duisburg-Nord sein Zuhause. Die ehemalige Kraftzentrale bespielt Barbara Frey, die inszenierende Intendantin der Ruhrtriennale 2021-2023, die die mehr 400 Jahre alte Schein-Komödie als „Stück der Stunde“ bezeichnet. Im Athener Wald geht es offensichtlich nicht nur um Magie, sondern auch um den Erhalt patriarchaler und monarchischer Herrschaftssysteme durch Kontrollverlust und diverse Lüste.
Auch im zweiten Theaterabend geht es um eine Form von Kontrollverlust und seine Ursachen, dazu geht es auch um die Menschheit und ihr Verhältnis zu sich selbst und zur Natur. Zum ersten Mal wird der gefeierte französische Festival-Star Philippe Quesne als Regisseur bei der Ruhrtriennale zu sehen sein – mit einem neuen Projekt, das zugleich die großangelegte Retrospektive seiner bisherigen Theaterarbeit mit dem Vivarium Studio darstellt, das 2023 auch sein 20-jähriges Bestehen feiert. In seinem aktuellen performativen Projekt geht es um das berühmte Triptychon „Der Garten der Lüste“ von Hieronymus Bosch, ein Bild, das auch den Übergang vom Mittelalter zur Renaissance markiert. Dabei schöpft er aus seinen bisherigen Schaffen und verwebt die einzelnen Arbeiten zu einem theatralischen Panoramabild, indem die wichtigen Fragen unserer Zeit verhandelt werden. Boschs Laboratorium der lustvollen Beschäftigung mit dem einen oder anderen Geschlecht endet in der rechten Tafel ziemlich düster. Woher kommt dieser scheinbare Hang zur kollektiven Selbstvernichtung, der nach dem „Garten der Lüste“ schon fünf Jahrhunderte anhält und langsam hochdramatisch zu werden scheint? Für mögliche Antworten und Konzepte, aber auch hochpoetisch und spielerisch lässt Quesne wissenschaftliche und ästhetische Fragestellungen ineinandergreifen, wie immer an der Schnittstelle von Kunst, Philosophie, Politik, Ökologie und kindlichem Spiel.
Ein Sommernachtstraum | Do 10.8. 20 Uhr (P) | Der Garten der Lüste | Do 7.9. 20 Uhr (P) | Kraftzentrale, Landschaftspark Duisburg-Nord | 0221 28 02 10
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Orte mit Bedeutung
Zur Ruhrtriennale: Berlinde De Bruyckere in Bochum – kunst & gut 09/24
Keine Spur von Rechtsruck
Die Ruhrtriennale 2024 in Bochum, Duisburg und Essen – Prolog 07/24
Alptraum ohne Ausweg
Ruhrtriennale: Leoš Janáčeks „Aus einem Totenhaus“ in Bochum – Oper 09/23
Gitarrengewitter im Landschaftspark
Anna Calvi bei der Ruhrtriennale – Musik 08/23
Dem Horror entfliehen
„The Visitors“ bei der Ruhrtriennale – Tanz an der Ruhr 09/23
Monumentales Werk
„Das große Abend- und Morgenlob“ in Dortmund – Klassik an der Ruhr 08/23
Von guten und bösen Geistern
Ruhrtriennale 2023 an div. Orten im Ruhrgebiet – Prolog 06/23
Urbane Wettkämpfe
Ruhr Games in Duisburg – Festival 05/23
Tanzbein und Tiger
Julian Rosefeldts „Euphoria“ bei der Ruhrtriennale – Festival 09/22
Indigener Widerstand
„Encantado“ auf PACT Zollverein – Tanz an der Ruhr 08/22
„Die müssen unser Zusammenleben noch 70 Jahre lang ertragen“
Anne Britting über die Junge Triennale – Premiere 07/22
Tanz auf dem Todesstreifen
Ruhrtriennale: „Danza y Frontera“ auf Pact Zollverein in Essen – Bühne 09/21
Stimme gegen das Patriarchat
„Tabak“ am Essener Grillo-Theater – Prolog 11/24
Krieg und Identität
„Kim“ auf PACT Zollverein in Essen – Tanz an der Ruhr 11/24
Liebe ist immer für alle da
„Same Love“ am Theater Gütersloh – Prolog 11/24
„Ich glaube, Menschen sind alle Schwindelnde“
Regisseurin Shari Asha Crosson über „Schwindel“ am Theater Dortmund – Premiere 11/24
Mentale Grenzen überwinden
„Questions“ am Münsteraner Theater im Pumpenhaus – Prolog 10/24
Bollwerk für die Fantasie
Weihnachtstheater zwischen Rhein und Wupper – Prolog 10/24
Der Held im Schwarm
„Swimmy“ am Theater Oberhausen – Prolog 10/24
Torero und Testosteron
„Carmen“ am Aalto-Theater in Essen – Tanz an der Ruhr 10/24
„Was dieser Mozart gemacht hat, will ich auch machen“
Komponist Manfred Trojahn wird 75 Jahre alt – Interview 10/24
„Hamlet ist eigentlich ein Hoffnungsschimmer“
Regisseurin Selen Kara über „Hamlet/Ophelia“ am Essener Grillo Theater – Premiere 10/24
Das gab es noch nie
Urbanatix im Dezember wieder in Essen – Bühne 10/24
Die Zwänge der Familie
„Antigone“ in Duisburg – Prolog 09/24
Das schöne Wesen aller Dinge
Festival Spielarten 2024 in NRW – Prolog 09/24