Der dumpfe Trommelklangteppich, der sich im Saal von Pact Zollverein ausbreitet, könnte eine heranmarschierende Armee ankündigen, so bedrohlich und monoton ertönt der Schlagzeug-Rhythmus. Doch es schleichen nur vereinzelt Performer:innen aus dem Dunklen, sie tappen über die mit Sand bedeckte Bühne und tanzen zum Trommel-Takt: drei Schritte vor, einen zurück. Amanda Piña lässt elf Tänzer:innen zu einem Gegenstand bewegen, der erstens als politisch eingeordnet wird, und, zweitens, scheinbar wenig mit dem Tanz zu tun hat.
Ihr Ruhrtriennale-Gastspiel „Danza y Frontera“ (deutsch: „Tanz und Grenze“), das im Oktober 2018 bereits im Tanzquartier Wien uraufgeführt wurde, widmet sich dem „danza de conquista“. Die Herren der Welt exportierten diesen Eroberungstanz einst während ihrer Feldzüge, um damit ihre Überlegenheit gegenüber den indigenen Einwohner:innen zu demonstrieren. Tänze und Trommeln markiert Piña als Politikum. Schließlich wurde der „danza de conquista“ in den letzten Jahrzehnten abgewandelt und dekonstruiert, die Choreographie gilt daher „als eine Form des Widerstands gegen koloniale und später neoliberale Kräfte“.
Inmitten des Todesstreifens
Die Choreographin und Tänzerin ließ daher üppig Sand auskippen (Bühnenbild: Michel Jimenez), um jene blutige Grenzlandschaft zwischen Mexiko und den USA darzustellen, in der sich die koloniale Vergangenheit fortsetzt. Wer diesen Abschnitt durchquert, hofft auf ein neues Leben, durchleidet Hitze wie Dehydrierung und stößt schließlich auf Mauern, Stacheldraht und Waffengewalt, mal staatlich dirigiert, mal paramilitärisch toleriert.
Dass sich inmitten dieses Todesstreifens die mexikanische Stadt Matamoros befindet, in der der„danza de conquista“ zelebriert wurde, nimmt Piña zum Anlass, die Zeitebenen zu vermengen. Und das vollführt ihre Compagnie konkret, indem sie nicht nur mit einem rhythmischen Stampfen die Erde aufwirbeln. Ihre Kostüme bezeugen Gegenwart und Vergangenheit. Die Garderobe sieht viel Lametta in den mexikanischen Nationalfarben vor. Zwischendurch kauert ein Schamane mit Maske auf der Rampe. Und immer wieder baumelt den Tänzer:innen ein langes rotes Band aus den Mündern, über dessen Bedeutung im Publikum nur gerätselt werden kann.
Gespenster im Saal
Neben diesen folkloristischen Kostümen schlüpfen die Bühnenakteure auch in Alltagskleidung. Sie tragen Capes oder Tücher als Kopfbedeckungen, mit der sich Migrant:innen vor der prallen Sonne schützen. Dass die Hitze an diesem Grenzstreifen noch die geringste Gefahr ist, zeigte eine Szene während der Choreographie: Einer aus der Gruppe mimt, von einer Schlange gebissen zu sein, er fällt in den Sand und zappelt.
Die Gefahren und Grenzen der Gegenwart eröffnet bereits der Videoprolog der Aufführung. Erst ist ein Ausschnitt aus „Borderlands/La Frontera: The New Mestiza“, ein halb-autobiographisches Werk der amerikanischen Feministin Gloria Anzaldúa, zu hören und zu lesen. Anzaldúas verweist in ihrem Buch auf die unsichtbaren Grenzen, die zwischen verschiedenen Gruppen im Grenzbereich zwischen den USA und Mexiko existieren, also zwischen US-Bürgern, Mexikanern und Chicanos, Männern und Frauen, Heterosexuellen und Homosexuellen. Ihr Thema wird zugleich illustriert: Menschengesichter erscheinen überdimensional auf der Leinwand, schweben scheinbar gespenstisch im Saal und wechseln (dank bewährter Morphing-Technik) ihre Erscheinung: vom Mann zur Frau, von bekleidet zu nackt. Danach beginnt der düstere Tanz am Todesstreifen.
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