Zufall war es sicherlich nicht, dass der sogenannte Slasher-Film in den 1970er und 80er-Jahren seine größten Erfolge feierte. John Carpenter entwickelte aus den Ingredienzien dieses Horror-Subgenres, in der eine Gruppe von Teenagern von einem Killer bedroht wird, mit seiner Halloween-Reihe einen Kassenschlager. Sein messerstechender Killer Michael Myers liest sich wie eine Chiffre der Reagan-Ära, eine ideologische Reaktion auf die libertäre und hedonistische Hippie-Mittelschichts-Linke. Das ist indes nur eine der Interpretationen dieses Slasher-Genres. Denn mittlerweile erschienen etliche medien- und kulturwissenschaftliche Studien, die diesem blutig-banalen Exploitationfilm-Zweig einen akademischen Überbau bescherten.
Nun folgt die nächste Interpretation, die überrascht: Die argentinische Choreografin Constanza Macras entwickelte gemeinsam mit der internationalen Tanzkompanie DorkyPark ein Tanzstück zu Bildern von Horror-Filmen, das bei der Ruhrtriennale die europäische Erstaufführung feiert. In „The Visitors“, so der Titel, bewegen sich 15 Tänzer:innen zu kraftvollen Musikbeats, die sich ebenso im Genrekosmos verorten lassen – mit Leitmotiven wie etwa Bernard Herrmanns nervösem Stakkato-Score von Hitchcocks „Psycho“, die sich ins popkulturelle Gedächtnis eingebrannt haben.
Tatsächlich nehmen auch Macras und Co. in ihrer Choreografie die Slasher-Szenerien, in denen Jugendliche in den von ihren Eltern verlassenen Häusern bedroht und getötet werden, als Aufhänger für Reflexionen, in diesem Fall über Monstrosität und die grauenhaften Konsequenzen des Kolonialismus. Wie sich dieser etwa in Johannesburg auswirkte, verhandelte die argentinische Choreografin bereits im Jahr 2018 in einer Produktion der Ruhrtriennale: In „Hillbrowfication“ ging es damals um die Bandenkriminalität und Armut, die in dem Stadtteil entstand, nachdem die Mittelklasse zum Ende der Apartheid wegzog.
Erneut geht es in ihrer jüngsten Choreografie also um die Motive der Gewalt, die sich in den Slasher-Figuren nahezu ikonisch verdichten und bis zum verstörenden Exzess verzerrt werden, ein Grauen, gegen das sich die Performer:innen auf der Bühne tänzerisch stemmen und versuchen, dem Horror zu entfliehen.
The Visitors | C: Constanza Macras | 9. - 14.9. | Landschaftspark Duisburg-Nord, Gebläsehalle | 0234 97 48 33 00
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Krieg und Identität
„Kim“ auf PACT Zollverein in Essen – Tanz an der Ruhr 11/24
Im Kreisrund sind alle gleich
4. Ausgabe des Festivals Zeit für Zirkus – Tanz in NRW 11/24
Liebe ist immer für alle da
„Same Love“ am Theater Gütersloh – Prolog 11/24
War das ein Abschied?
Sônia Motas „Kein Ende“ in den Kölner Ehrenfeldstudios – Tanz in NRW 10/24
Torero und Testosteron
„Carmen“ am Aalto-Theater in Essen – Tanz an der Ruhr 10/24
Supergau?
Die TanzFaktur steht wieder einmal vor dem Aus – Tanz in NRW 09/24
Jenseits von Stereotypen
„We Love 2 Raqs“ in Dortmund – Tanz an der Ruhr 09/24
Orte mit Bedeutung
Zur Ruhrtriennale: Berlinde De Bruyckere in Bochum – kunst & gut 09/24
Kaffee, Kuchen, Stacheldraht
12. Tanz.Tausch Festival in der Kölner TanzFaktur – Tanz in NRW 08/24
Gegenwart einer Gegenkultur
„Pump Into The Future Ball“ in der Jahrhunderthalle Bochum – Tanz an der Ruhr 08/24
Keine Spur von Rechtsruck
Die Ruhrtriennale 2024 in Bochum, Duisburg und Essen – Prolog 07/24
Wunderbar: alles ohne Plan
„Leise schäumt das Jetzt“ in der Alten Feuerwache – Tanz in NRW 07/24
Stimme gegen das Patriarchat
„Tabak“ am Essener Grillo-Theater – Prolog 11/24
„Ich glaube, Menschen sind alle Schwindelnde“
Regisseurin Shari Asha Crosson über „Schwindel“ am Theater Dortmund – Premiere 11/24
Mentale Grenzen überwinden
„Questions“ am Münsteraner Theater im Pumpenhaus – Prolog 10/24
Bollwerk für die Fantasie
Weihnachtstheater zwischen Rhein und Wupper – Prolog 10/24
Der Held im Schwarm
„Swimmy“ am Theater Oberhausen – Prolog 10/24
„Was dieser Mozart gemacht hat, will ich auch machen“
Komponist Manfred Trojahn wird 75 Jahre alt – Interview 10/24
„Hamlet ist eigentlich ein Hoffnungsschimmer“
Regisseurin Selen Kara über „Hamlet/Ophelia“ am Essener Grillo Theater – Premiere 10/24
Das gab es noch nie
Urbanatix im Dezember wieder in Essen – Bühne 10/24
Die Zwänge der Familie
„Antigone“ in Duisburg – Prolog 09/24
Das schöne Wesen aller Dinge
Festival Spielarten 2024 in NRW – Prolog 09/24