Im Ruhrpott ist man ehrlich, trägt sein Herz auf der Zunge und sagt wie's is'. Das ist allgemein bekannt, und deshalb lebt man gerne in einer der ärmsten Regionen Deutschlands. Diese Weisheiten, die ja auch allesamt richtig sind, hört man nicht nur von Leuten des Stadt-Marketing, am Kiosk oder von Zugezogenen, sondern gestern Abend (10.11.) auch auf dem roten Teppich in der UCI Kinowelt in Bochum: Dort feiert die Verfilmung von Frank Goosens Kurzgeschichten-Band „Radio Heimat" Premiere, ein rundum gelungenes Denkmal an eine Jugend zwischen sterbenden Zechen, Rauchschwaden in Eckkneipen und und und.
Und da sagt man auf dem roten Teppich eben, was man so zu sagen hat: Ralf Richter lobt die Ehrlichkeit des Reviers, ein paar Meter weiter unterschreibt Co-Produzent Adolf Winkelmann Autogramme, der kleine Star aus seinem jüngsten Meisterwerk „Junges Licht", Oscar Brose, begleitet ihn, Pott-Prominenz wie die Ska-Punk-Band Sondaschule ist auch zu Gast und noch ein paar Meter weiter spricht Frank Goosen mit Reportern über seine Jugend in den 80ern und dass „etwas verloren gegangen" sei.
Die Antwort darauf was, gibt der Film: Die Geschichte von Frank (David Hugo Schmitz) und seinen Kumpels, die eigentlich nichts weiter wollen, als endlich ein Mädel abschleppen. Leidliche Tipps geben „Vatter" und der „Laberfürst" aus dem Schrebergarten. Auch eine Bandgründung zwecks Balz steht zur Debatte, aber dann versuchen's die Jungs erstmal bei der Tanzschule. Das romantische Finale findet letztlich auf Klassenfahrt statt, trotz Terror-Pauker. Eben dieses Miteinander, diese sympathische Provinzialität einer Metropol-Region, ja, die ist verloren gegangen.
„Und heute ist sogar eine der Frauen da, die auf dieser Klassenfahrt dabei war", freut sich Goosen im Anschluss an den Film. Ja, „Radio Heimat" ist ein Herzensprojekt, das spürt man in jeder Sekunde. Regissseur Matthias Kutschmann inszeniert sein Kino-Debüt als Highschool-Komödie, nur eben im Pott – die Kombination geht auf. Mehr noch, sie funktioniert sogar besser als die Plastik-Produktionen, die dieses Genre seit jeher bestimmen: denn „Radio Heimat" ist echt, authentisch, man erkennt sein geliebtes Revier wieder. Und das schreibt ein Zugezogener, der sich nur zum Teil in jene verlorene Jugend hineinfühlen kann – das spricht für das Können aller an diesem Film Beteiligten.
Trotzdem: Nach „Junges Licht", der Wiederauflage der Winkelmann'schen Ruhrpott-Trilogie und jetzt eben „Radio Heimat" würde man sich freuen, endlich mal Filme über das heutige Leben im Revier zu sehen; Filme, die mehr schaffen, als die Vergangenheit in Szene zu setzen.
Damit wir uns nicht falsch verstehen: „Radio Heimat" ist eine rundum gelungene Komödie, ein Heimatfilm, der dieser schwierigen Heimat gerecht wird. Wer seine Kinokarte für „Radio Heimat" kauft, wird nicht enttäuscht, sondern lachen und zufrieden den Saal verlassen.
Aber was „verloren" ist, das bleibt nunmal verloren. Film kann alte Zeiten nicht wieder lebendig machen, ihnen höchstens ein Denkmal setzen – das ist hier absolut gelungen. Und damit dürfte es doch jetzt genug sein mit der ewigen Selbstbespiegelung des Reviers.
Ach, nee. Nächstes Jahr kommt ja die nächste Goosen-Verfilmung, „Sommerfest" von Regisseur Sönke Wortmann in die Kinos. Aber dann is' – bei aller Heimatliebe – auch wirklich mal Schluss.
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