Da hängen sie wieder und lächeln uns an wie alle vier Jahre, die Damen und Herren Bundespolitiker. Bei den Sozis wurde das Konterfei ausgetauscht. Statt Steinmeier lächelt nun Steinbrück. Auch die kleineren Parteien haben sanfte Änderungen bei ihrem Spitzenpersonal vorgenommen. Nur die Kanzlerin schaut wie eh und je drein.
Wenn die Demoskopen Recht behalten, wird sie auch die kommenden vier Jahre unser Land regieren. Und wenn sie dann 2017 noch einmal anträte und gewänne, hätte zumindest die Länge ihrer Amtszeit Kohlsche Ausmaße erreicht. Aber nicht nur die Umfragewerte, die eine Bestätigung der jetzigen Regierung prophezeien, sorgen dafür, dass sich das Interesse an der Bundestagswahl beim Publikum in engen Grenzen hält. In den letzten Jahren wurde das Agieren der Regierenden von ihnen selbst oft als „alternativlos“ beschrieben. Schon zum Ende der letzten Legislaturperiode, aber auch in den vergangenen Jahren wurde im Rahmen der Finanzkrisen das Verteilen von dreistelligen Milliardenbeträgen im Eilverfahren verabschiedet. Manchmal wurde binnen weniger Stunden über Summen entschieden, die die Bundesausgaben eines Jahres bei weitem übertrafen. Nicht wenige Abgeordnete verstanden nicht en détail, was sie da beschließen sollten, und hatten entsprechendes Bauchgrimmen bei den Abstimmungen. Besonders die vielen Maßnahmen zur Euro-Rettung folgten einer eingespielten Dramaturgie. Europäische Spitzenpolitiker stritten sich nächtelang um Milliardenpakete, um dann völlig übermüdet das Ergebnis ihrer Mühe als einzig heilbringende Maßnahme zu preisen. Parteiübergreifend wurden diese Entscheidungen dann auf Bundesebene nur noch durchgewunken. Eine solche Inszenierung mag vielleicht helfen, unpopuläre Maßnahmen zu legitimieren. Politik wird für die Bürgerinnen und Bürger dadurch nicht interessanter.
Die Nichtwähler als größte „politische“ Kraft
Auch in anderen Politikfeldern herrscht wenig Dissonanz. Auslandseinsätze der Bundeswehr werden von der CSU bis weit ins grüne Lager getragen. Nur die Linkspartei, deren Vorgängerin ein militärisches Eingreifen in Afghanistan 1980 heftig befürwortete, mag die deutschen Interessen nicht mehr am Hindukusch verteidigen. Viele andere politische Fragen müssen wegen der Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat quasi im Konsensverfahren beantwortet werden. Insofern stellen sich immer mehr Menschen in unserem Land die Frage, ob sie sich am 22. September wirklich auf den Weg zum Wahllokal machen müssen. Die kontinuierlich sinkende Wahlbeteiligung machte bei den letzten Bundestagswahlen aus den Nichtwählern die größte „politische“ Kraft. Nur 12 Millionen Menschen haben die CDU gewählt, während gut 18 Millionen am Wahltag zu Hause blieben. Der Politikwissenschaftler Hans J. Lietzmann von der Bergischen Universität in Wuppertal sieht in diesen Zahlen allein aber noch kein Warnsignal. Ihn beunruhigt eher die Spaltung der Gesellschaft, die sich auch bei der Wahlbeteiligung bemerkbar macht. Bei den sozial schwachen Gruppen, so Lietzmann, gehen etwa 20 Prozent zur Wahl, bei den Wohlhabenderen etwa 70 Prozent. „Dieser Umstand verzerrt die Relationen in den Parlamenten oft sehr stark und verändert auch die Politik, die in den Parlamenten gemacht wird.“
Auch eine andere Entwicklung trägt nicht gerade zur Vertiefung demokratischer Strukturen bei. Seit Jahrzehnten beschließen Bundesregierung und Bundestag Gesetze, die den Kommunen immer neue Kosten auflasten und Steuereinnahmen verwehren. Die Krise der Kommunalfinanzen, die inzwischen gerade im Ruhrgebiet vielen Stadträten jegliche Gestaltungsmöglichkeiten raubt, ist nicht vom Himmel gefallen, sondern Ergebnis der Bundespolitik. Dort, wo Leistungen des Staates noch unmittelbar erfahrbar sind, wurde der Geldhahn zugedreht. Ob Industriezweige mit Milliarden subventioniert werden, ist für viele im Land ein theoretisches Problem. Wenn aber ein Schwimmbad geschlossen wird, betrifft das die Menschen direkt. Gerade in Städten, in denen wegen Haushaltssicherung sämtliche freiwilligen Ausgaben zurückgefahren werden, entsteht bei den Bürgerinnen und Bürgern der fatale Eindruck, dass ihr Kreuz auf dem Wahlzettel sowieso nicht ins Gewicht fällt.
Ganz hoffnungslos ist die Situation aber auch nicht. Nie zuvor gab es so viele Möglichkeiten für das Volk, seinen Willen kundzutun. Gerade die interaktiven elektronischen Medien sorgen dafür, dass sich binnen kürzester Zeit Protest organisieren kann. Nicht nur der Arabische Frühling nutzte Facebook und Konsorten aus, um sich zu vernetzen. Aktuelles Beispiel ist das Scheitern einer EU-Verordnung, die dazu geführt hätte, dass kommunale Wasserversorger hätten privatisiert werden müssen. Schnell waren im Rahmen einer Online-Petition die nötigen Unterschriften gesammelt. Die EU-Bürokratie musste ihre Pläne schnell entsorgen. Vielleicht ist es gar nicht so wichtig, wie am 22. September die Wahl ausgeht. Frei nach Franz-Josef Strauß könnte man behaupten: „Es ist egal, wer unter mir Bundeskanzler ist“. Nur mit dem Unterschied, dass in Zeiten der Informationsgesellschaft über dem Bundeskanzler kein bayerischer Politiker steht, sondern der Souverän – wir.
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