Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
4 5 6 7 8 9 10
11 12 13 14 15 16 17

12.577 Beiträge zu
3.805 Filmen im Forum

Außen hui, innen pfui: Demokratidefizit hinter der EU-Fassade
Foto: Mira Moroz

„Jedes Land macht sein eigenes Europa“

01. September 2013

„Kursbuch“-Herausgeber Armin Nassehi über die europäische Öffentlichkeit – Thema 09/13 Welche Wahl

trailer: Herr Nassehi, gibt es in der EU ein Demokratiedefizit?

Armin Nassehi: In Europa ist ein Mechanismus außer Kraft gesetzt ist, der in den nationalen Demokratien überall funktioniert: Nämlich, dass Regierungen durch eine Opposition gezwungen werden transparent zu machen, warum sie gewisse Entscheidungen fällen. Die europäische Kommission wird letztlich nicht gegen eine öffentlich sichtbare Opposition ins Amt gesetzt, sondern über einen komplizierten Verschlüsselungsfaktor nationaler Regierungen. So entscheidet die europäische Regierung eigentlich nur, ohne viel darüber kommunizieren zu müssen.

Armin Nassehi
Foto: privat
Armin Nassehi ist Professor für Soziologie an der LMU-München und Herausgeber des „Kursbuch“.

Wie könnte man das ändern?

Die politische Regierung der EU müsste vom Europaparlament gewählt werden. Gleichzeitig müsste man innerhalb des Parlaments eine Opposition haben. Dann entsteht automatisch eine Öffentlichkeit, weil die Leute sich auf einmal dafür interessieren, dass dieser und nicht jener in die Regierung kommt. Heute erfahren wir das immer erst, wenn alles schon geschehen ist.

Wer soll diese Reformen in Gang bringen?

Diejenigen, die vom jetzigen System profitieren, müssten es abschaffen. Letztlich muss das ja von den europäischen Regierungen ausgehen, die natürlich wenig Interesse daran haben, dass es ein 28. Machtzentrum gibt, das über ihnen steht und ihnen die Öffentlichkeit stiehlt. Außerdem müssten die nationalen Regierungen in Europa einen Konsens über die nötige Verfassungsänderung herstellen und zwar zu Gunsten einer Aufmerksamkeitsverlagerung der Politik nach Brüssel. Das wollen die in dieser Form natürlich nicht.

Viele nationale Gesetze sind doch eh Umsetzungen von EU-Bestimmungen.

Das stimmt. Eigentlich wäre das nur eine Veränderung des Blicks auf die Politik. Europa entscheidet ja mittlerweile so viel, was die Bürgerinnen und Bürger ja zum Teil gar nicht wissen, weil wir eben auf die nationale Ebene fokussiert sind. Die eigentlichen Fragen finden aber in Europa statt.

Zum Beispiel?

Es ist zum Beispiel die Frage, ob wir eine Transferunion sein wollen oder nicht. Die Frage, wie wir tatsächlich mit der Währungspolitik oder der Freizügigkeit umgehen. Ein riesiges Thema ist eine europäische Sozialpolitik. Wenn man die stärker harmonisiert, werden möglicherweise nicht die nationalen Lösungen gegeneinander ausgespielt. Themen liegen also wie Schmutz auf der Straße.

Sind die Proteste gegen die EU-Vergaberichtlinie zur Wasserversorgung ein Schritt zu einer europäischen Öffentlichkeit?

In der Praxis verweisen diejenigen, die einen Vorteil daraus schlagen, auf Europa und diejenigen, die einen Nachteil haben, tun das nicht. Das war hier ganz genauso. Das Publikum kann es letztlich nicht selber kontrollieren, weil es diese europäische Öffentlichkeit nicht in den Nachrichten gibt. Die gibt es nur für ein paar wenige Intellektuelle, die das unbedingt wollen. Deshalb kann jedes Land sein eigenes Europa machen. Und das wird auf Dauer nicht funktionieren.

Interview: Christian Werthschulte

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Red One – Alarmstufe Weihnachten

Lesen Sie dazu auch:

Ruhrparlament will Weichen für das Ruhrgebiet der Zukunft stellen
Erstmals Direktwahl des Ruhrparlaments

„Man wird ja nicht Politiker, weil einem sonst langweilig wäre“
Robert Zion über den Zustand der Demokratie – Thema 09/13 Welche Wahl

„Die Grenze zwischen legitim und korrupt ist fließend“
Marion Stein von Transparency International über Korruption – Thema 09/13 Welche Wahl

Schlechte Gesellschaft
Christoph Butterwegge über Politik und Entpolitisierung – Thema 09/13 Welche Wahl

„Politik darf nicht käuflich sein“
Timo Lange über die Grenzen der politischen Einflussnahme – Thema 09/13 Welche Wahl

Qualtag?
Die Bundestagswahl ist diesmal keine Schicksalswahl – THEMA 09/13 WELCHE WAHL

„Die Diskussion steht mir bis hier“
Im exklusiven trailer-Sommerinterview spricht die fast originale Angela Merkel über heikle Themen – Thema 09/13 Welche Wahl

Leider verwählt ...
Über Talkshows, Hütchenspiele und frisch gepresste Thronfolger – Thema 09/13 Welche Wahl

Die fast außerparlamentarische Opposition von Mülheim
Als Partei möchte sich die MBI nicht verstanden wissen – Thema 09/13 Welche Wahl

„Wir benötigen verlässliche Rahmenbedingungen“
Thomas Jorberg zum Engagement der GLS-Bank an dem Generationenmanifest – Thema 09/13 Welche Wahl

Interview

Hier erscheint die Aufforderung!