Von Rittergeschichten konnte das Publikum zu Zeiten Georg Friedrich Händels nicht genug bekommen. Besonders viele brauchte es davon nicht, denn Epen wie der beliebte „Rasende Roland“ (Orlando furioso) von Ariost waren in sich so komplex, dass sie gleich ein ganzes Bündel von Handlungssträngen boten. Händel lieferte das Epos aus dem 16. Jahrhundert den Stoff für gleich drei Opern: Auf „Orlando“ folgten zwei Jahre später „Ariodante“ und „Alcina“. Die Essener Aalto-Oper ließ sich wesentlich länger Zeit und lässt nun auf Tilman Knabes provokanten „Orlando“ von 2005 einen wesentlich konventionelleren „Ariodante“ folgen.
Von der Ritterromantik des Dreiakters um Liebe und Intrige bleibt beim Essener Regiedebüt des Holländers Jim Lucassen nicht viel übrig. Allein den Kampf mit Stichwaffen hat Lucassen in die Gegenwart seiner Inszenierung hinübergerettet. Doch man – in Essen sind es die Statisten – kämpft nicht mehr mit dem Schwert, sondern mit dem Degen und unterwirft sich dem Reglement des Sportfechtens. Es ist allerdings ein trügerischer Schein von moderner ritterlicher Fairness, die die schneidigen Fechter umweht. Im Grunde geht es eher um den Ausdruck der Zugehörigkeit zur Upper Class – und dem der eigenen Durchsetzungsfähigkeit. Denn sportlich geht es am Hofe des schottischen Königs wahrhaftig nicht zu. Man verfolgt seine Ziele machtbewusst und skrupellos, da ist Herzog Polinesso, der Nebenbuhler Ariodantes um die Gunst der Königstochter Ginevra, nicht der Einzige. Regisseur Lucassen spitzt die Unerbittlichkeit der Machtkämpfe noch zu. Ariodante und Ginevras Dienerin Dalinda, die Polinesso anhimmelt und von diesem gnadenlos ausgenutzt wird, landen gar im Folterkeller des Fieslings.
Bis die Handlung diesen dramatischen Höhepunkt erreicht, tut sich allerdings zwei überaus zähe Akte lang kaum etwas auf der Bühne. Ausstatter Ben Baur hat riesige, weitgehend leere Räume entworfen, die kleine Menschen in einer einschüchternden Architektur zeigen. Ab und zu werden darin die Türen geknallt und die Regie lässt ausgiebig die Bühne drehen. Zweifellos ist Ariodante kein sehr dankbares Stück für ein Regiedebüt. Immerhin gelingt es Lucassen, das völlig unvermittelte Happy End des Originals in eine plausiblere Auflösung zu drehen: Statt Friede, Freude, Eierkuchen herrscht Resignation. Das Vertrauen ist zerstört, die gesungenen Liebesbekundungen bleiben reine Fassade.
Und immerhin kommen in dieser szenisch langatmigen Produktion die Ohren durchweg auf ihre Kosten. Barockspezialist Matthew Halls entfaltet mit den Essener Philharmonikern einen federnd luftigen Orchesterklang und kann auf gute Sänger zählen. Dabei werden die erbitterten Widersacher Ariodante und Polinesso beide von Frauen gesungen. Die junge amerikanische Mezzosopranistin Tamara Gura musste in den ersten Aufführungen für Michaela Selinger in der Titelpartie einspringen und kam so zu ihrem durchweg überzeugenden Aalto-Debüt. Glänzend ist auch die Besetzung des Bösewichts Polinesso mit Ieva Prudnikovaite.
„Ariodante“ | Fr 13.6., Mi 18.6. 19.30 Uhr | Aalto Musiktheater Essen | 0201 812 22 00
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