Petrus hat ein Herz für Punks. Am zweiten Tag des Ruhrpottrodeos lächelt die Sonne bei sommerlichen Temperaturen auf tausende Besucher herab. Beim Rodeo verhält es sich anders als bei Punk im Pott, wo sich eine komplette Subkultur durch den Oberhausener Bahnhof zwängen muss, um ins gelobte Land zu kommen. Auf dem platten Feld in Hünxe, gerahmt von sattgrünen Wiesen und beschaulich wippenden Baumkronen, über die vereinzelt ein Segelflugzeug lautlos dahinschwebt, sind Zeltplatz und Festivalgelände pittoresk gelegen.
Am plätschernden Bächlein vorbei, durch die friedliche Zeltlandschaft, gelangt man zu angenehm entspannten und wenig pingeligen Security-Menschen. Obwohl das riesige Freigelände am Flugplatz Schwarze Heide am Sonntag schon reichlich mitgenommen aussieht, atmet alles Idylle. Kaum ist es Mittag, braten die ersten schon bäuchlings schlafend in einem Meer aus Plastikbechern mit dem Rücken zur Bühne. Andere tapsen barfuss Richtung Bierstand, reiten halbnackt den mechanischen Bullen oder ahnen nichts von dem mit Edding gemalten Riesenpenis auf ihrem Rücken. Irgendwo dazwischen torkelt der betrunkene Geist von Woodstock vorbei. Viel schöner könnte es kaum sein, käme nicht noch die Musik hinzu.
The Baboon Show ist der zweite Akt des Tages, Monsters of Liedermaching sind leider der Anfahrtlogistik zum Opfer gefallen. Schon beim Bierschinken eats FZW in Dortmund Anfang April tobte Frontfrau Cecilia hochschwanger über die Bühne. Und auch einen guten Monat später zeigen sich Tanzstil und raues Timbre unbeeindruckt vom pränatalen Punknachwuchs. Mit „Punk Rock Harbour“, „You got a problem without knowing it“ und „Eiffeltower” ist alles dabei und viel zu schnell vorbei. 2014 bitte mit einer vollen Stunde ca. um 20 Uhr.
Ska aus Hamburg: The Skatoons. Foto: Maxi Braun
Danach liefern The Skatoons solide ab. Der Raum vor der Bühne wird voller, viele Fans haben die Hamburger im Gepäck so dass kaum auffällt, dass Sonic Boom Six erst gar nicht auftauchen. Der anschließende Deutschpunk von Zaunpfahl ist tanzbar, die ironischen Texte (zum Beispiel “Tote tanzen keinen Pogo“) lassen sich aber auch bequem im Gras sitzend genießen. Das kann man von dem Hardcore-Punk der Boskops nicht unbedingt behaupten. Optisch und akustisch locken dann erst wieder Mad Sin vor die Bühne. Köfte hüpft wie ein feister Flummi durch die Gegend, am Sound der Alt-Psychobillys gefällt mir stets nur der Kontrabass. Irgendjemand schreit da bereits impertinent nach Dritte Wahl. Wie unhöflich denke ich noch, bevor ich merke, dass ich selbst es bin.
Um kurz vor 20 Uhr werden meine Rufe endlich erhöht, Dritte Wahl betreten die Bühne. Häufig werden in diesem Zusammenhang die linkspolitischen Texte des Rostocker Trios erwähnt. Aber Stücke wie „Ich hab da diesen Tick“, „So wie ihr seid“ oder „Halt mich fest“ fordern schlicht zu einer reflektierten Haltung gegenüber Themen auf, die die gesamte Menschheit angehen sollten. Die Doppelmoral der Politik zu verurteilen oder für Umweltschutz zu plädieren kann man nicht nur den politisch links Stehenden aufbürden. Mit „Fliegen“ setzt dann pünktlich zum Sonnenuntergang eine weniger politische als philosophische Hymne ein.
Noch bevor der Headliner auftritt, hat sich das diesjährige Rodeo so schon gelohnt. Ska-P sind ebenfalls berüchtigt für ihre politischen Texte. Dessen Inhalt können jene, die des Spanischen nicht mächtig sind, allerdings nur erahnen. Als uns die weltweit wohl bekanntest Ska-Formation aus Madrid zur Halbzeit ihres anderthalbstündigen Auftritts ihren größten Hit „Cannabis“ gönnt, sind aber alle Sprachbarrieren und Tanzhemmungen verflogen. Kurz danach folgt dann noch opulente Kirchenkritik mit einem kostümierten Pfaffen mit einer Teufelsmaske. Das ist lustig anzuschauen, wie die ganze Show insgesamt, hat aber nicht mehr die bissige Schärfe von früher.
Punkrock aus Großbritannien: The Adicts. Foto: Maxi Braun
Richtig emotional wird es abstruser Weise bei der letzen Umbaupause des Abends vor der kleinen Hängerbühne. Was sich kurz vor Mitternacht zu den Füßen von Lokalmatadore-Frontmann El Fisch versammelt, kann nur liebevoll als die Crème de la Crème des Pottpöbels umschrieben werden. Bei seinem Soloauftritt im Goldanzug feiert El Fisch nicht nur eine Party mit sich selbst, sondern spielt sogar noch weiter, als The Adicts schon ihr Feuerwerk auf der Hauptbühne abfackeln. „Mir is dat egal, ich spiel auch noch weiter. Aber die Adicts sind schon dran.“ Nur widerwillig tritt er aber bald darauf ab und der kleine Publikumspulk spaziert zur letzten, fulminanten Band des Festivals.
Der Look von The Adicts ist noch immer von Stanley Kubricks „Clockwork Orange“ inspiriert. 1975 im britischen Ipswitch gegründet, tourt die Band noch immer unermüdlich. Der Eindruck, „früher war mehr Lametta“ muss demnach schlicht der eigenen Müdigkeit zugerechnet werden. So endet ein perfekter Tag mit sehr viel Sonnenschein in einem furiosen Konfettiregen, den ein androgyner, fleischgewordener Pyroeffekt genüsslich in die Menge spuckt.
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