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Folgt dem Rat eines traurigen Gurus: Torsun von Egotronic
Foto: Presse

Kommunist mit Drogenproblemen

01. Februar 2017

„Tagebuch eines Fastenden“ von Torsun „Egotronic“ Burkhardt

Wer Egotronic auf der Bühne erlebt, sieht den Exzess. Das trifft nicht nur auf die gut nach vorne stampfenden Elektro-Punk-Beats zu, sondern ist Frontmann Torsun auch ins Gesicht geschrieben, buchstäblich. Dass er in den letzten 16 Jahren Bandgeschichte mehr Rausch als Askese erlebt hat, ist offensichtlich und in seinem literarischen Debüt „Raven wegen Deutschland“ (Ventil Verlag 2011) ausführlich nachzulesen. Der Titel seines neuen Werks stiftet da erst mal Verwirrung.

Dabei ist „Tagebuch eines Fastenden“ genau das: ein Tagebuch, das Torsun während einer zweiwöchigen Kur in einer Fastenklinik verfasst hat. Das Vorwort macht eine Traumbegegnung mit einem traurigen Guru für diesen radikalen Entschluss verantwortlich. Der fordert Torsun dazu auf, sein Leben nicht länger dem Raubbau am eigenen Körper zu widmen, weil sein Äußeres dem eines „Kommunisten mit Drogenproblem“ bereits frappierend ähnele. Also Schluss mit Lustprinzip.

Das anschließende Klinik-Tagebuch folgt dabei analog zum Tagesablauf im Fasten-Knast einem strengen Protokoll: Aufstehen, sowas wie Frühstück, Sport, heitere Therapiemethoden zwischen Esoterik und Folter, Mittag- und Abendessen. Dazwischen schlägt Torsun Zeit tot, streut politische Ansichten und obskure Beobachtungen seiner Leidensgenossen und Genossinnen ein oder träumt von fester Nahrung.

Ob er über eine umtriebig produktive Phantasie verfügt oder der Hunger Halluzinationen bewirkt, bleibt offen. Da wummern morgens um sechs die Bässe eines spontanen Rave in seinem Krankenzimmer, Murmeln im Materialbad inspirieren seine kriminelle Ader und bei der Körperwahrnehmung mit Qigong lauern Zombies.

 „Tagebuch eines Fastenden“ ist liebevoll gestaltet. Garniert werden Torsuns lakonische und schwarzhumorige Notizen mit passenden Illustrationen von Anna Kumher. Das Cover mit Prägung in Mao Bibel-Optik und der Glossar runden die kurzweilige und vergnügliche Lektüre ab, zu der der Autor vermutlich Cuba Libre und eine Linie Koks empfehlen würde. Wer dann noch nicht satt ist, dem sei Torsuns im Buch erwähnter Foodblog als Augenschmaus ans Herz gelegt.

Wie Nachhaltig der Erfolg der Fasten-Kur war, wird sich am 9.2. im Oberhausener Druckluft zeigen, wenn Torsun zur Lesung bittet. Davon, dass diese nüchtern verläuft, ist nicht auszugehen.

Torsun: „Tagebuch eines Fastenden“ | Ventil Verlag | 96 S. | 12 €

Torsun liest  aus „Tagebuch eines Fastenden“| Do 9.2. 20 Uhr | Druckluft, Oberhausen | drucklufthaus.de  

Maxi Braun

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