Das Fabrik-Flair des Jugendzentrums Nord in Herten hätte die Atmosphäre am Samstagabend nicht besser unterstreichen können. Ein Publikum von gut einhundert Menschen versammelte sich zwischen Backsteinmauern, auf metallenen Gerüsten und unter offenliegenden Lüftungsrohren. Ganze Wände mit Postern von Bands und Künstlern tapeziert, glänzte das Jugendzentrum im Stil einer jungen Rocker-WG – inklusive Pizza vom Lieferservice und einer Kühltruhe voll mit Bier.
In den Genuss dieses Luxus kamen allerdings nur die Bands, die das Unterhaltungsprogramm des Abends bildeten. Die hatten die Nervennahrung sicherlich bitter nötig, denn für sie ging es nicht bloß um einen Auftritt, sondern um den Sprung ins Finale.
Die sechs Bands aus dem Kreis Recklinghausen hatten die erste Runde des S-Clubraum Contests, eines Wettbewerbs der Sparkasse Vest, erfolgreich durchlaufen und die Konkurrenz in einem Online-Voting hinter sich gelassen. Dies verschaffte ihnen das Privileg, am Samstag im Jugendzentrum in Herten an der nächsten Runde teilzunehmen. Hier stellten sie sich dem Urteil einer fachkompetenten Jury sowie einem erneuten Publikumsvoting vor Ort. Nur für eine der Bands war ein Platz im Finale reserviert, bei dem es dann um den Schritt auf die große Bühne gehen wird: der Gewinner des Wettbewerbs darf nämlich nächstes Jahr als Vorgruppe der Band „Extrabreit“ in der Vest Arena auftreten. Für diesen attraktiven Gewinn gaben die Teilnehmer alles und bescherten den Zuschauern einen lauten, lustigen und musikalisch sehr vielfältigen Abend.
Ab in die 80er
Den Anfang machte die Gelsenkirchener Indie-Rockband 2nd Skin, die mit ihrer Musik nach eigener Aussage „durch die dunklen, aber auch durch die hellen Zeiten des Lebens“ begleitet. Das äußerte sich in oft recht düsteren Klängen und eingängigen Rhythmen – das Schlagzeug ließ dabei etwas an Variation zu wünschen übrig. Deutlich zu erkennen waren die Einflüsse der 80er Jahre und der englischen Rockbands Joy Division und The Chameleons. Sänger Bordo, der für sein Publikum kaum ein Lächeln und wenig Worte übrig hatte, hielt die Szene in Bewegung: kaum einen Moment stand er still. Er nutzte die beschränkten Möglichkeiten des Bühnenraums und traf dabei beinahe jeden Ton. Dennoch gelang es 2nd Skin nicht, das Publikum komplett für sich einzunehmen: bis zum Ende des Auftritts wanderten die Blicke oft von der Bühne ab und begutachteten das industrielle Interieur.
Der Hip Hopper
Tizzle lockerte die Rock-Front als einziger Hip Hopper des Abends auf. Er selbst bezeichnet seinen Stil als „alternativen Hip Hop“ – die Erklärung erfolgte bereits mit seinem ersten Lied. Da ertönten nämlich keine basslastigen Beats, sondern lediglich eine Akustikgitarre, zu der der Hertener seinen Eröffnungssong rappte. Bis auf Unterstützung in zwei Stücken durch seinen Gitarristen und seinen „Homie“ Basic Born trat Tizzle als Alleinunterhalter auf – und meisterte seine Aufgabe mit Bravour. Humorvoll und selbstironisch erklärte er seine Lieder und begeisterte mit intelligenten Texten. Alternativer Hip Hop bedeutet für ihn die Abgrenzung vom gewaltorientierten und vulgären Gangsta-Rap. Tizzle band das Publikum ein, scherzte, stieß auch mit ihnen an und sammelte innerhalb seiner halben Stunde Auftrittszeit viele Sympathiepunkte. Natürlich hatte er zu seinen eigenen Stücken und seiner Interpretation des Macklemore-Hits „Thrift Shop“ auch die Hip Hop-typischen Beats parat und verschaffte dem Publikum eine kleine Atempause vor der geballten Ladung Rock.
Querflöte zur E-Gitarre
El Mobileh, eine Gladbecker Band bestehend aus Studenten und Azubis, weckte auch die letzte Reihe mit intensivem Deutschrock auf und überraschte dazu mit einer unüblichen Erweiterung der Instrumente. Bandmitglied Hannah begleitete die junge Band an der Querflöte und übernahm Melodien, die normalerweise von E-Gitarren gespielt werden. Damit haben El Mobileh ein Alleinstellungsmerkmal, das auch im Laufe des Samstagabends immer wieder erwähnt wurde, wenn von der „Band mit der Querflöte“ die Rede war. Sänger Nick kam nicht nur bei den jungen Damen im Publikum an, sondern animierte auch die anderen Zuschauer zum Mitklatschen. Die Besucher hatten sich inzwischen ein wenig warmgerockt, ließen aber weiter Luft nach oben.
Rock zum Mitwippen
freier aus Herten lieferten im Anschluss vielfältigen Deutschrock. Mit Ironie und Sarkasmus gefütterte Texte begleiteten sauberen Rock mit Ausflügen in die Popmusik. Sänger Alex strahlte Entspannung und Souveränität aus und nutzte die Pausen zwischen den Liedern zur Publikumsinteraktion. Diese Entspannung übertrug sich auf die Zuschauerreihen, in denen gute, allerdings noch recht zurückhaltende Stimmung herrschte. freiers Auftritt wurde mit Zugaberufen belohnt, und zum Schluss gab es noch einmal Rock zum Mitwippen.
„Wir passen in keine Schublade“
Dieser oft gehörte Satz war Programm beim Auftritt der Recklinghäuser Band M-Pulse. „Der liebe Sven“, wie er von seinen Bandkollegen genannt wird, machte seinem Namen alle Ehre und begegnete dem Publikum von Anfang an als sympathischer Frontmann. Dazu überzeugte er mit einer kraftvollen Stimme zu der abwechslungsreichen Musik der Band, die von Alternative Rock über Nu Metal bis hin zu Popsounds eine große Bandbreite an Genres abdeckte und es dabei schaffte, stets authentisch und nicht kopiert oder gewollt zu klingen. Bewegte Riffs und vielfältige Rhythmen trafen auf spannende Soli, warmen Gesang und fesselnden Rap. M-Pulse begeisterten die Besucher, und endlich kam ein bisschen Bewegung in das bis dahin überwiegend recht steife Publikum.
Das Nerd-Kollektiv
Die Gameboy-Shirts und Hornbrillen tragen die Jungs von Mohito Royal nicht jeden Tag; für ihren Auftritt hatten sie sich extra herausgeputzt. Die Halterner Rockband heizte dem inzwischen aufgetauten Publikum kurz vor Schluss noch einmal ordentlich ein: jeder gab alles an seinem Instrument, und das resultierte in schnellem Punk und hartem Rock, dem Sänger Mathias‘ wilde Stimme im Stil eines 90er Jahre-Rockers mit exzessivem Lebenslauf zusätzliche Würze verlieh. Auf Deutsch und Englisch boten Mohito Royal ernste und witzige Texte und entführten das Publikum zum Abschluss auf eine Stimmungsachterbahn, deren Auf und Ab sie gekonnt durch laute, leise, fröhliche und düstere Songs kreierten. Schon im Online-Voting waren sie als große Konkurrenz aufgetreten, denn das gewannen sie mit 253 Stimmen und bekamen von der Sparkasse als Belohnung den Videodreh zu ihrer Single „Devil Inside“ geschenkt. Die hohe Beliebtheit ist nicht zuletzt auf den offenen und freundschaftlichen Umgang mit dem Publikum zurückzuführen. Frontmann Mathias beschränkte die Publikumsanimation nicht auf seine sympathischen Ansagen und lockeren Scherze, sondern sprengte gleich die Grenzen der Bühne und lief mitsamt Mikrofon durch die Zuschauerreihen.
Wer eine angespannte Grundstimmung hinter den Kulissen erwartet hatte, wurde an diesem Abend in seiner Befürchtung widerlegt: denn obwohl die Bands streng genommen in Konkurrenz zueinander standen, gingen sie herzlich miteinander um, verabredeten teilweise sogar zukünftige Kooperationen. Am Ende konnte dann aber natürlich nur einer gewinnen. Und das waren M-Pulse, die einstimmig von Publikum und Jury zum Sieger des Abends und somit zum Finalisten im Wettbewerb gekürt wurden. Für die fünf Jungs aus Recklinghausen geht es nun ins Tonstudio und als nächstes zum großen Finale, wo sie noch einmal alles geben müssen.
Ein wenig Enttäuschung ist bei einem Wettbewerb natürlich zwangsläufig vorprogrammiert. Doch M-Pulse bekamen Zuspruch von allen Seiten – auch von ihren Konkurrenten, die ihnen den Erfolg gönnen. Schlussendlich überwog die gute Laune am Samstagabend, den alle sechs Bands mit gekonnt durchdachten und inszenierten Programmen erfolgreich beleben konnten. Für den S-Clubraum Contest geht es nun noch nach Marl und Waltrop, wo die letzten Finalisten eingesammelt und bei der Endrunde am 24. April abgesetzt werden.
Erfahren Sie mehr über 2nd Skin, Tizzle, El Mobileh, freier, M-Pulse und Mohito Royal.
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