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Flo Hayler in einem einem unscharfen Moment in der Zeche Carl
Foto: Benjamin Trilling

„Gabba, Gabba, Hey!“-Momente

14. Dezember 2018

„Ramones. Eine Lebensgeschichte“ mit Flo Hayler am 13.12. in der Zeche Carl in Essen – Musik 12/18

Das Erdbeben ereignet sich im Herzen der Kulturindustrie. Laute und raue Gitarrenriffs legen ein Tempo vor, das die Musikwelt bis dahin noch nicht kannte. Flower Power und Psychedelic sind nun Geschichte. Bierpullen und Kleidungstücke säumen den Boden. Genauso wie die ersten Infizierten dieses Happenings, die bereits komatös in den Ecken kauern. Fans mit zerzausten Haaren und Irokesen wippen die Köpfe oder recken Transpis nach oben.

„Die Show zischt an mir vorbei wie eine Pistolenkugel“, schreibt Flo Hayler über diesen 16. November 1990 in Bremen, den er mit einem unscharfen Foto festgehalten hat: Leadsänger Joey Ramone, wie er auf der Bühne ein Plakat hochhält – und kaum zu erkennen ist. Dafür der Slogan auf dem Schild: „Gabba Gabba, Hey!“ Ein Chiffre für seine Fans. Und für einen aus dieser Gemeinde war dieser Tag ein Ereignis. Denn natürlich ist dies nicht das erste Konzert der „Ramones“, aber es ist das erste Mal, dass Hayler sie live erlebt. Und in dem Buch, aus dem er heute abend vorliest, verwebt er seine Audiobiographie untrennbar mit der Geschichte dieser Punk-Prototypen. Entstanden ist ein 640 Seiten umfassender Wälzer mit Archivfotos und Originaldokumenten, den Hayler an diesem Abend in der Zeche Carl präsentiert.

Natürlich nicht als öde Wasser-Glas-Lesung. Hayler schlendert in die Veranstaltungshalle und fragt in die Runde: „Will noch wer was zu trinken holen oder pullern?“ Nein. Also, kann es schnell losgehen. Oder eben im „Ramones“-Jargon: „Heyho, let's go!“ Zum Auftakt läuft jener Soundtrack, den die New Yorker vor ihren Auftritten abspielten: Ennio Morricones „The good, the bad and the ugly“.

Der restliche Abend verbindet kurze Ausschnitte aus dem Buch mit einer Dia-Show und den Anekdoten, die Hayler erst alleine, schließlich mit zwei Gästen erzählt, George DuBose, dem Fotografen der „Ramones“-Cover und Thorsten Schledorn, ein langjähriger Freund und Konzerte-Mitbesucher. Als wäre die Gemeinde nicht von der Bandgeschichte zu entkoppeln: „Das war der Moment, in dem die Freaks vor und auf der Bühne eins wurden“, erzählt Hayler etwa über eine Konzerterfahrung. Der heutige Musikjournalist war im Bann und machte schnell Bekanntschaft mit Frontmann Joey. Obwohl er gerade erst 17 oder 18 Jahre alt war, wie sich der heute 45-Jährige erinnert: „Wir konnten nicht gut Englisch und sahen auch nicht gut aus.“ Aber der Rock-Star reagierte auf die Korrespondenz. „Ich glaube, er ist der einzige, der seinen Fans Weihnachtskarten geschickt hat.“

Seitdem war er immer nah dabei, rund 101 Konzert-Besuche sind es geworden. Etwa der Auftritt der „Ramones“ 1993 in der Essener Grugahalle, als sie Jetset-geplagt das Publikum als Düsseldorf begrüßten. Eine von vielen Anekdoten, die Hayler an diesem Abend preisgibt – auch mit Insider-Infos. So enträtselt er die Rivalität zwischen Gitarrist Johnny Ramone und Johnny Rotten, der Bürgerschreck der „Sex Pistols“, die bekanntlich kurz nach den „Ramones“ den Punksound mit einem anarchistischen Lebensgeist füllten. Hayler: „Ich vermute, eine der Gründe ist, dass Johnny Rotten ihm ins Bier gepisst hat.“ Doch diese Punk-interne Front bekommt Ende der 80er Jahre Rock-Konkurrenz. So zieren die „Ramones“ die Headliner-Liste bei einem Co-Auftritt mit „Black Sabbath“. Punk gegen Heavy Metal. Eine Wachablösung? Zumindest war die Metal-Fraktion an diesem Abend in der Überzahl, wie Hayler erzählt: „Sie haben natürlich mit allem geworfen, was sie finden konnten.“

Für Hayler selbst konnte es natürlich nie eine Wachablösung geben. Im Buch schreibt der Fan aus dem niedersächsischen Helmstedt, wie er in einem der musikalischen Geburtsorte der „Ramones“, dem New Yorker „CBGB“, anruft, weil er ein T-Shirt seiner Idole erwerben will. Die Antwort? „Aufgelegt haben sie. Jedes mal. Ohne Online-Shops oder virtuelle Auktionshäuser war das CBGB für einen Teenager aus Deutschland mindestens genauso weit weg wie die von Axl Rose angepriesene ‚Paradise City‘. Und so blieb das T-Shirt mit den vier Lettern dort, wo es war [...]“. Das stimmt natürlich nicht. Denn Hayler pilgerte zu diesem Mekka der Rockgeschichte. Und brachte T-Shirts und mehr mit nach Hause. Diese Sammlung erreichte schließlich ein Ausmaß, dass seine eigenen vier Wände zu platzen drohten. Schließlich gründete er ein „Ramones“-Museum, das heute in Berlin-Kreuzberg steht. Poster von einst verschenkt Hayler an diesem Abend auch an die BesucherInnen. Damit die „Ramones“ weiterleben. „Gabba, Gabba, Hey!“

Benjamin Trilling

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