Schon vor dem Konzert begann Daniel von Leitkegel die Animation der frühen Vögel unter den Besuchern mit seinem Soundcheck. Ohne jegliche Probleme nahm der Frontsänger des Openers die Bühne für sich ein und füllte den Club mit einem lauten Vorboten der Musik, die dem Publikum bevorstand. Was ihm an Körpergröße fehlt, bringt er an Stimmgewalt mit. Mit minutenlangem Geschrei schlossen die letzten Vorbereitungen auf das Konzert „Music for Water“.
Am Donnerstag lud die Wasserinitiative „Viva con Agua de Sankt Pauli“ zu einem Benefizgig in der kleineren der Weststadthallen in Essen. Die Bands FJØRT, Goodbye Fairground und Leitkegel spielten hier für einen guten Zweck: Viva con Agua engagiert sich seit Jahren für sauberes Trinkwasser und sanitäre Grundversorgung auf der ganzen Welt. In der Rockszene ist die Organisation kein Unbekannter; auch die Ärzte unterstützten Viva con Agua in der Vergangenheit, und momentan sammelt die Mittelalterband Schandmaul während ihrer Tour Spenden für die Initiative. Das gesammelte Geld wandert zum Beispiel in den Bau von Brunnen in Indien, Hygieneschulungen in Uganda oder die Einrichtung von Latrinen in äthiopischen Krankenhäusern und Schulen.
Auch der gesamte Erlös des Gigs „Music for Water“ wird für diese Zwecke verwendet. Guten Gewissens und voller Energie eröffneten Leitkegel aus Essen gegen halb neun das Konzert. Kompromisslos ging es den Gitarrensaiten und Trommelfellen an den Kragen; durch den dichten Klangteppich von Bass, elektrischer Gitarre und Schlagzeug schrie Sänger Daniel sich die Seele aus dem Leib - deutsche Texte mit viel Wut und düsteren Emotionen zu einer Mischung aus Post-Hardcore und Indie. Schnelle Riffs und harter Bass hielten das gut 150 Mann starke Publikum auf Trab, das sich zu diesem Zeitpunkt zwar vom Merchandise und von der Cocktailbar in Richtung Bühne bewegt hatte, jedoch eher mitwippte, als säße Norah Jones vor ihm am Klavier. Leitkegel störte das aber keineswegs. Als die zweitbeste Revolverheldcoverband stellten sie sich vor. „Die beste ist Revolverheld“, fügte Frontsänger Daniel scherzend hinzu. Ohne Pause bewegte er sich über die kleine Bühne, lief, sprang und lebte seine Leidenschaft für die Musik in „Bauwagenplatzromantik“, dem ersten Lied des Abends. Songs über Trennung kündigte der flinke Frontmann mehrmals an und gestand bald, dass ein Großteil ihrer Lieder von Trennung handelt. Allzu störend war dies allerdings nicht, denn bei der Fülle an Instrumentalbegleitung erwies es sich oft als schwierig, den Texten zu folgen. In sechs Liedern schafften es Leitkegel zwar nur begrenzt, das Publikum zum elanvollen Mitmachen zu animieren, doch Sänger Daniel blieb gerade aufgrund seiner doch recht jung klingenden Stimme und wegen seines kontinuierlichen Miley Cyrus-Bashings in Erinnerung.
Auf den Opener folgte eine verlängerte Pause mit der Möglichkeit, Merchandise zu erwerben und an der Bar Kalt- und Heißgetränke zu genießen. Länger als geplant war der Übergang aus dem Grund, dass die zweite Band des Abends in absoluter Notbesetzung spielte. Mit Schlagzeugerin Julia im Ausland und einem anderen Bandmitglied verhindert mussten Goodbye Fairground laut Sänger Benjamin drei Songs aus der Setlist streichen und ordentlich improvisieren. Von diesen Unglücksfällen war ab Beginn des Auftritts jedoch kaum etwas zu merken. Ab dem ersten Lied beeindruckten Goodbye Fairground mit komplizierten und variierten Rhythmen am Schlagzeug begleitet von eingängigen Riffs mit Ohrwurmpotenzial. Kraftvoll harmonierten sie mit Benjamins rauer, manchmal gespielt uninteressierter und doch stets packender Stimme. Der Gesang ausschließlich auf Englisch, manchmal zynisch und zornig. Goodbye Fairground bedienen sich weniger Screamo als Gesang, und obwohl die Einordnung in Genres schwierig fällt und sich die Band irgendwo im Bereich Punk, Hardcore und Indie bewegt, wiesen Gesang und Melodien die eine oder andere Parallele zu der US-amerikanischen Hardcore-Band Rise Against auf. So solide der musikalische Auftritt auch war, konnte die Band einige Lücken im Programm jedoch nicht füllen; auf die Lieder folgten zeitweise etwas längere Pausen. Doch Frontsänger Benjamin plauderte improvisiert drauf los und führte sympathisch durch die unvermeidbaren ruhigen Momente. Schon im letzten Jahr spielten Goodbye Fairground für Viva con Agua und betonten auch diesmal ihre Wertschätzung für die Organisation. Das Publikum hatte inzwischen schon begonnen, mit dem Kopf zur Musik zu nicken und mit den Füßen auf den Boden zu tippen. Aufgewärmt und in Stimmung ging es in die nächste Pause, bevor die letzte Band des Abends für die Menge spielte.
FJØRT, die Band mit der wohl größten Fanbase des Abends, war extra aus Aachen angereist und ließ es sich nicht nehmen, die bandeigene Flagge vor Beginn über der Bühne zu montieren. Nach der musikalisch vergleichsweise ruhigen Phase mit Goodbye Fairground ging es zum Abschluss noch einmal richtig rund – von Englisch zurück zu deutschen Texten und zu kräftigen Hieben in die Saiten der Gitarren und auf die Felle der Drums. Obwohl erst 2012 gegründet, haben FJØRT schon mehrere Alben veröffentlicht – auch auf der Bühne strahlten sie Souveränität aus und bewiesen, dass sie in der Musikszene angekommen sind. Sänger Chris beeindruckte mit seinem lauten Organ und forcierte die Interaktion mit dem Publikum, das demzufolge verstärkt in Tanz und wildem Pogen aufging. Ohne Pause überschüttete die Band das Publikum mit seiner Energie, befeuert durch düstere und wütende Texte. Lange Zeilen finden sich kaum; kurze, einprägsame Ausrufe prägen den bleibenden Eindruck in FJØRTs Liedern, ganz getreu dem Motto: weniger ist mehr. Zweckorientert setzten FJØRT ihre Instrumente ein: mit einfachsten Mitteln kreierten sie die passende Atmosphäre zu ihren Texten und zogen das Publikum in ihren Bann. Oft auch fernab von der Lehre des Quintenzirkels spielte die Gitarre kalt und beinahe verbittert und verstärkte losgelöst von der Bindung an Harmonien den düsteren Klang der Musik. Gleichzeitig können FJØRT auch langsam und reduziert; im Tempo- und Intensitätswechsel hielten sie ihren Auftritt lebendig. Und da es bei all den musikalischen Eindrücken und mitreißenden Songs womöglich zeitweise in Vergessenheit zu geraten drohte, erinnerte Frontmann Chris an den Grund für das Konzert: „Die besten Dinge sind meistens die, die keiner kennt“.
Nach dem Konzert „Music for Water“ kennen nun sicherlich ein paar hundert Menschen mehr das Projekt von Viva con Agua. Und die energiereiche Stimmung im Club der Weststadthalle, mit der Leitkegel, Goodbye Fairground und FJØRT ihr Publikum in den Freitagmorgen rockten, beweist erneut, dass Gutes tun so einfach sein kann – und keine musikalische Grenzen kennt.
Erfahren Sie mehr über FJØRT, Goodbye Fairground, Leitkegel und Viva con Agua.
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