„Kann man denn so ein Musical überhaupt in Bochum aufführen?“, fragen sich nicht nur König Artus und seine Ritter der Tafelrunde. Auch das Publikum wird angesichts der bisherigen, hehren Schauspielkunst des Hauses so seine Zweifel gehabt haben, auch wenn in der letzten Spielzeit die „Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs“ ihre erste Musical-Inszenierung am Schauspielhaus bekamen. Nun geht es noch verrückter, noch opulenter zu, im an bemalte Laubsägearbeiten erinnernden Bühnenbild vonAnette Hachmann, durch das RegisseurChristian Brey sein auch mit ihren schrillen Kostümen ausgestattetes Ensemble in „Spamalot“ durchs Mittelalter reiten lässt.
Und da die Bühne zu klein, der Etat zu niedrig und das Stück von der Comedy-Truppe Monty Python stammt, muss ein Kokosnüsse aneinanderschlagender Knappe reichen, um die Illusion von Pferdegetrappel zu erzeugen: eigentlich wie ein Geräuschemacher im Film. Kein Wunder, dass da auch das Stepptanz-Klacken gefaket wird und die Darsteller ihr Andrew-Lloyd-Webber-Medley (dem man so ganz nebenbei auch ein paar nicht von ihm geschrieben Musicals unterjubelt) nur pantomimisch aufführen. Allerdings mit einem spontan entstehenden „Publikums-Chor“. Die kongeniale Zusammenarbeit von Regie, Choreografie (Kati Farkas), Bühnen- und Kostümbild, musikalischer Leitung (Tobias Cosler) und einem mit ausgelassener Spielfreude agierenden Ensemble, das bis in die kleinste Rolle hinein perfekt besetzt ist, lässt das Musical in Bochum endlich aus dem Schatten von „Starlight Express“ heraustreten. Da lohnt es sich doch, öfters mal die Rollschuhe gegen Kokosnüsse einzutauschen.
Genauso überdreht geht es am Scala-Theater in Köln zu – natürlich auf Kölsch. „Dä Floch vun Königswinter“ folgtdem bewährten Grundrezept des Hauses: bekannte Lieder Kölner (u.a. De Höhner, Bläck Fööss) und internationaler Stars (u.a. Bonnie Tyler) zum Mitsingen, zotige Witze, aber auch herrliche Wort-Spielereien und politische Seitenhiebe („Pegida, das ist ein Auflauf aus faulen Eiern und weichen Birnen“).
Nachdem man sich mit einem Seemanslieder-Potpourri in Stimmung gesungen hat, amüsiert man sich freibeuterisch darüber, wie Kapitän Plüschprumm (Gigi Herr) „de Fott op Grundeis jeiht“, während sie drei Tage Zeit hat, um den Fluch, der auf ihrem Schiff liegt, zu brechen. Oder wird Piratenlehrling Siggi Seestecher (Markus Dietz), der über eine Umschulung zum „Enter“-tainer nachdenkt, ihr noch einen Strich durch die Rechnung machen? Der Kölner Travestie-Star Sophie Russel schlüpft wie die meisten Ensemble-Mitglieder in mehrere Rollen. Und während Gigi Herr dem gewohnten „Improvisieren“ ein wenig zu ausgiebig nachhängt, scheint Natascha Balzat (auch in einer Doppelrolle) – die auch die musikalische Leitung innehat – langsam in ihre Fußstapfen zu treten als ungekrönte Königin des „kölschen Musicals“. Choreografin Katja Baum krönt zum Finale ihre Leistung mit einem zirkusreifen Tanz an der Stange und das enthusiasmierte Publikum schunkelt Karneval entgegen.
„Monty Python’s Spamalot“ | R: Christian Brey | Sa 6.2., Mi 24.2.19.30 Uhr, So 14.2. 19 Uhr | Schauspielhaus Bochum | 0234 33 33 55 55
„Dä Floch vun Königswinter“ | Do-Sa 19.30 Uhr, So 17.30 Uhr (außer 1.-11.3.) | Scala Theater, Köln | 0221 420 75 93
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