Ausgerechnet im März, dem ersten Monat im römischen Kalender und benannt nach Mars, dem Kriegsgott der frühitalienischen Imperialisten, begeben sich die Zuschauer mit den niederländischen Theatermacherinnen Suzan Boogaerdt und Bianca van der Schoot (BVDS) in ihrer Neukreation „Underworlds“ auf eine schamanische Reise in den Kammerspielen des Bochumer Schauspielhauses.
Mit den Settings der Vampiroper um Kate Beckinsale als kriegerische Selene hat das natürlich nichts zu tun, eher mit der Reise des Archetypus „Kleines Mädchen begibt sich in mythische Unterwelten“. Da hätten wir ganz früh den griechischen Mythos von Amor und Psyche (Apuleius, 2. Jh), die auch schon mit Merkwürdigkeiten – wie sprechendem Schilfrohr – schwierige Aufgaben lösen muss. Etwas mehr als eineinhalb tausend Jahre später hat es auch die berühmte Alice nach dem Sturz in den Kaninchenbau und diversen Flüssigkeiten, in einem Wunderland nicht gerade leicht (Lewis Carroll, 1865), genauso wie die tapfere Dorothy, die gemeinsam mit dem Blechmann im Land der Munchkins den Zauberer von Oz bezwingen muss (Lyman Frank Baum, 1900). Überall gibt es nach dem Durchgang fantastische Fallstricke, aber auch skurrile Helfershelfer auf der feministischen Reise im Theaterkeller.
Eine schamanische Oper soll es werden, auch wenn die Definition des Begriffs noch nicht ganz geklärt ist. Zwischen Performance und Videoinstallation wird das keine physische Reise, sondern eine ins Innere, als realer und tiefgreifender Prozess der Transformation, der auch die Frage beantworten soll, wie eine „Heldenreise“ aussehen kann, wenn die Frau nicht das begehrte Objekt am Ende der Reise, sondern die Reisende selbst ist. Und so begeben sich vier Frauen (Klara Alexova, Suzan Boogaerdt, Ibelisse Guardia Ferragutti, Jing Xiang), basierend auf dem spirituellen Medizinrad der Inka, auf den schmalen Pfad einer Symbiose aus darstellender und bildender Kunst, zwischen Hören und Sehen und Fühlen. Formal soll das eine Mixtur aus der Black Box der Bochumer Kammerspiele und dem gefühlten White Cube von Galerien werden. BVDS eröffnen so einen eigenen, selbst ernannten „Grey Space“. Also auf in neue virtuelle Welten, wo vielleicht neue alternative Realitäten im Theater auf uns warten.
Underworlds. A Gateway Experience | 20. (P), 21., 25.1., 8., 9.2. jeweils 19.30 Uhr | Schauspielhaus Bochum | www.schauspielhausbochum.de
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