Vor zehn Jahren ist „Die Schutzbefohlenen“ von Elfriede Jelinek erstmals für die Bühne aufbereitet worden. In dem Text über die damalige europäischen Flüchtlingspolitik und die schweren Bootsunglücke vor der Mittelmeerinsel Lampedusa behandelt die Literaturnobelpreisträgerin mit der ihr eigenen Mischung aus alltäglicher und künstlicher Sprache Menschenwürde und Meinungsfreiheit, verleiht den Flüchtlingen eine Stimme und kritisiert die „Festung Europa“. Jetzt hat sie angesichts der Enthüllungen des Recherchekollektivs Correctiv über das Treffen von Rechtsextremen, Identitären sowie Mitgliedern von AfD und CDU in Potsdam, bei dem ein „Masterplan zur Remigration“ vorgestellt wurde, die Fortsetzung „Die Schutzbefohlenen – Was danach geschah“ geschrieben. Diese inszeniert Johan Simons, Intendant des Schauspielhauses Bochum, mit Ensemble-Mitgliedern sowie Akteurinnen und Akteuren der Stadt.
Am Kern von Jelineks Kritik hat sich nichts geändert: Noch immer sprechen viele Politikerinnen und Politiker gerne von europäischen Werten, um im nächsten Satz schnelle Abschiebungen zu fordern. Mit dem Postdamer Treffen sind nun aber diejenigen offenbar geworden, die am lautesten nach einer Vertreibung von Millionen schreien – und nun obliegt es der Öffentlichkeit, auf ihre Pläne zu antworten. „Wir müssen uns positionieren und unser Bekenntnis zu europäischen Werten, zu Vielfalt und zu den Menschenrechten offen zeigen“, erklärt Dramaturg Marvin Müller. „Unser Haus hat immer Wert auf ein sehr diverses Ensemble gelegt, weil wir Theater für alle machen wollen und alle bei uns willkommen sind. Diese Haltung wollen wir nun in die Stadt hineintragen, die immerhin selbst massiv von Gastarbeiterinnen und Gastarbeitern geprägt ist. Deshalb zeigen wir die Inszenierung als Intervention auf den Stufen des Schauspielhauses.“ Eine Handlung im klassischen Sinne wird es dabei nicht geben, wohl aber eine Auseinandersetzung mit verschiedenen Positionen – und mit den Herausforderungen, denen sich Migrantinnen und Migranten im vermeintlich so offenen Deutschland stellen müssen. „Im Vergleich zu anderen Ländern gibt es bei uns zum Beispiel enorm viel Bürokratie“, so Müller. „Das macht es vielen Menschen schwer, überhaupt eine Aufenthaltsgenehmigung zu erhalten. Dabei wissen wir doch, wie bereichernd Zuwanderung sein kann. Das wollen wir mit unserer Inszenierung unterstreichen: Wir wollen das Wir darstellen.“
Die Schutzbefohlenen – Was danach geschah | 2., 4., 9., 19., 26.6. je 19.30 Uhr | Schauspielhaus Bochum (Vorplatz) | www.schauspielhausbochum.de
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Freundin und Konkurrentin
„Meine geniale Freundin“ am Schauspielhaus Bochum
Vorlesestunde mit Onkel Max
Max Goldt in den Kammerspielen Bochum – Literatur 01/25
Ein Baum im Herzen
„Eschenliebe“ am Schauspielhaus Bochum – Prolog 03/24
Siehst du, das ist das Leben
„Der erste fiese Typ“ in Bochum – Theater Ruhr 06/23
Mit Psyche in die Unterwelt
„Underworlds. A Gateway Experience“ am Schauspielhaus Bochum – Prolog 01/23
Tonight's the Night
Musikalische Silvester an den Theatern im Ruhrgebiet – Prolog 12/22
Zeichenhafte Reduktion
NRW-Kunstpreis an Bühnenbildner Johannes Schütz verliehen – Theater in NRW 12/22
Das Kollektiv als Opfer
„Danza Contemporanea de Cuba“ in Bochum – Tanz an der Ruhr 12/22
„Es geht um eine intergenerationelle Amnesie“
Vincent Rietveld über „Bus nach Dachau“ am Schauspielhaus Bochum – Premiere 11/22
Keine Versöhnung in Sicht
„Einfach das Ende der Welt“ am Schauspielhaus Bochum – Prolog 10/22
The Return of Tragedy
Theater im Ruhrgebiet eröffnen die neue Spielzeit – Prolog 09/22
„Viele Leute sind froh, dass sie in Bochum sind“
Liesbeth Coltof über „Hoffen und Sehnen“ – Premiere 06/22
Ein zeitloser Albtraum
Franz Kafkas „Der Prozess“ im Bochumer Prinz Regent Theater – Prolog 12/24
„Vergangenheit in die Zukunft übertragen“
Regisseur Benjamin Abel Meirhaeghe über „Give up die alten Geister“ in Bochum – Premiere 12/24
Die Grenzen der Bewegung
„Danses Vagabondes“ von Louise Lecavalier in Düsseldorf – Tanz an der Ruhr 12/24
Stimme gegen das Patriarchat
„Tabak“ am Essener Grillo-Theater – Prolog 11/24
Freigelegte Urinstinkte
„Exposure“ auf PACT Zollverein in Essen – Prolog 11/24
Krieg und Identität
„Kim“ auf PACT Zollverein in Essen – Tanz an der Ruhr 11/24
„Ich glaube, Menschen sind alle Schwindelnde“
Regisseurin Shari Asha Crosson über „Schwindel“ am Theater Dortmund – Premiere 11/24
Liebe ist immer für alle da
„Same Love“ am Theater Gütersloh – Prolog 11/24
Bollwerk für die Fantasie
Weihnachtstheater zwischen Rhein und Wupper – Prolog 10/24
Mentale Grenzen überwinden
„Questions“ am Münsteraner Theater im Pumpenhaus – Prolog 10/24
Der Held im Schwarm
„Swimmy“ am Theater Oberhausen – Prolog 10/24
Torero und Testosteron
„Carmen“ am Aalto-Theater in Essen – Tanz an der Ruhr 10/24
„Hamlet ist eigentlich ein Hoffnungsschimmer“
Regisseurin Selen Kara über „Hamlet/Ophelia“ am Essener Grillo Theater – Premiere 10/24