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Was erzählen uns Filme über Europa? Saskia Geisler (RUB) und Sebastian Wessels (KWI) trugen vor, fragten, diskutierten.

The European Dream

04. September 2012

"Der europäische Traum und seine Grenzen" im Filmstudio Essen - Foyer 09/12

Essen, 24.07. - Europa ist mehr als ein Kontinent, mehr als ein geographisch ohnehin schwer zu definierendes Territorium, und mehr als ein monetäres Bündnis. Europa ist Idee, ist Kultur, Geschichte und Zivilisation, vielleicht auch Utopie. Europa ist auf alle Fälle ein Traum, der seit langem auf vielfältige Art und Weise geträumt wird. Auch im Kino, mit Hilfe von Bildern.

Die sozialen und politischen Realitäten haben inzwischen die Grenzen des ideellen Möglichkeitsraums namens Europa aufgezeigt. Über dieses Europa wird derzeit ja wieder viel gestritten, genauer gesagt über seine konkrete Manifestation, die EU. Wer darf rein und unter welchen Bedingungen? Ist der Staatenbund noch zu retten? Wie lässt sich Wohlstand und Wachstum glaubhaft garantieren, wenn sich die Krise auf immer mehr Mitgliedsländer auszuweiten droht?

Zwischen diesen beiden Polen – zwischen Vision und Wirklichkeit – bewegte sich die ambitionierte Veranstaltung, zu der das Kulturwissenschaftliche Institut Essen (KWI) ins Glückauf-Kino eingeladen hatte. In ihrer monatlichen Reihe „CineScience“ ging es diesmal um den europäischen Traum und seine Grenzen. Die beiden Referenten Saskia Geisler (Ruhr-Universität Bochum) und Sebastian Wessels (KWI) stellten drei Filmbeispiele vor, die von den Licht- und Schattenseiten Europas erzählen. Den Anfang machte der Kinohit „L’Auberge Espagnole“ aus dem Jahr 2001. In der Komödie von Cédric Klapisch, in der ein junger Franzose ein Erasmus-Jahr in Barcelona verbringt und dabei nicht nur neue Freunde sondern auch sich selbst findet, wird Europa zum Medium: Europa ist chaotisch, voller bürokratischer Hürden. Da sind die sprachlichen, aber auch die kulturellen Unterschiede, die nicht selten zu Missverständnissen und Problemen führen. Wenn man sich aber einmal einlässt auf das Abenteuer, dann ist es eine Bereicherung, dann wird man beschenkt – von bunter Vielfalt und einzigartigen Erfahrungen. Europa als WG, bewohnt von einer offenen, multikulturellen Gesellschaft.

Der Film zeichnet ein liebevolles, romantisches Bild von Europa. Dass er dabei existierende Klischees nicht nur in Frage stellt, sondern gleichzeitig reproduziert, das war ein Kritikpunkt, den das Essener Publikum formulierte. Eine wünschenswerte Vision von Europa sei das schon, doch sie werde von einer ziemlich privilegierten Gruppe verkörpert. Jenseits von fröhlichen Austauschprogrammen, interkulturellen Projekten und länderübergreifenden Kooperationen zeige Europa leider viel zu häufig ein anderes Gesicht.

In Aki Kaurismäkis letztem Film werden in der französischen Hafenstadt „Le Havre“ afrikanische Flüchtlinge aufgegriffen. Der minderjährige Idrissa kann den Behörden, die ihn in die Heimat zurückschicken wollen, entkommen. Er findet Zuflucht bei einem alten Mann, der sich um ihn kümmert und die illegale Überfahrt nach England organisiert. Im Kern geht es hier um Gastfreundschaft, um Menschlichkeit, Mitgefühl und Empathie. Das Leiden eines anderen erkennen und auf dieser Grundlage handeln. Auch das kann Europa sein. Diesem Anspruch steht allerdings ein mächtiger Apparat gegenüber, der immer am längeren Hebel sitzt. Mit Kaurismäkis „Le Havre“ zeigt sich: Europa ist voller Widersprüche. Im europäischen Selbstverständnis spielen die Menschenrechte eine zentrale Rolle. Wenn man sich die Außenpolitik des Bündnisses allerdings genau anschaut, dann scheinen diese Rechte nur begrenzt Gültigkeit zu besitzen. Denn Europa schottet sich ab. Die Bürokratie versucht, Wirtschaftsflüchtlinge rigoros vom europäischen Territorium fernzuhalten, damit sie gar nicht erst in den Genuss gültiger Rechtsprinzipien kommen. Daraus ergibt sich nicht nur ein brutales Ausschlussprinzip, die Abschottung nach Außen „macht auch was mit uns im Innern“, so lautete die besorgte Vermutung einer Besucherin.

Saskia Geisler und Sebastian Wessels nach einer angeregten Diskussion über Europa.

Mit welch technischem, personellem und finanziellem Aufwand die EU seine Außengrenzen inzwischen sichert, zeigte ein drittes Filmbeispiel: Ein youtube-Clip über Frontex, gedreht von Aktivisten der Gruppe „No Border“. Diskutiert wurde in diesem Zusammenhang u. a. die Frage, ob die EU mit Frontex ein paramilitärisches Einsatzkommando unterhält, das ein letztlich kolonialistisches Handeln an den Tag legt.

Bevor sich allzu viel gemütliche Einstimmigkeit breit zu machen drohte, wies eine aufmerksame Zuhörerin auf die Gefahr hin, ein sehr komplexes Thema polemisch in Schwarz und Weiß aufzulösen. Der Anti-Frontex-Clip mache es sich zu leicht: “die bösen Behörden gegen die guten Aktivisten“, so werde man dem Ganzen auch nicht gerecht. Eine zweite, nur leise vorgebrachte Kritik betraf die Veranstaltung selbst: gesellschaftliche Phänomene anhand von Filmen zu erörtern, birgt immer die Gefahr, das Bildmaterial lediglich zur Untermauerung bestimmter Thesen zu missbrauchen. Eigentlich müsse es darum gehen, die Filme selbst ideologiekritisch zu diskutieren.

Das ist sicherlich richtig. Weil sich die Veranstalter dieser Problematik aber durchaus bewusst sind, muss der Hinweis die Angebote der CineScience nicht grundsätzlich in Frage stellen. Er kann vielmehr als Vorschlag für die nächste Ausgabe gelten.

Veranstaltungstipp:
23. Oktober 2012, 20 Uhr, Filmstudio Glückauf: CineScience im Wissenschaftsjahr 2012: Die Revolution von Nebenan – Energiewende selbst gemacht

TEXT/ FOTOS: ANN KATRIN THÖLE

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