Obwohl die Lösung auf der Hand lag, hat sie doch die meisten Beobachter überrascht. Johan Simons leitet zwar die Ruhrtriennale noch bis 2017 und hatte seiner Liebe zum Ruhrgebiet immer wieder Ausdruck verliehen – doch war sein Rückzug nach fünf Jahren Intendanz an den Münchner Kammerspielen nicht auch eine implizite Kritik am deutschen Stadttheater? Umso erfreulicher, dass es dem Verwaltungsrat des Schauspielhauses und dem Bochumer Kulturdezernenten gelang, Simons zu gewinnen.
Dass Simons hart verhandelt hat, die Kürzung des Budgets von 21 Mio. Euro verhindert und eine Aufstockung um die Tariferhöhungen erreicht hat, ist für das Theater eine gute Nachricht. Ob allerdings die Idee eines länderübergreifenden Kooperationsmodells tragfähig ist, wird man sehen. Simons hat im vergangenen Jahr wieder die Leitung des NT Gent übernommen. Ab 2017 wird er außerdem Intendant eines neu zu formenden Theaterkomplexes in Rotterdam aus den HäusernRo Theater, Rotterdamse Schouwburg, Wunderbaum und Productiehuis Rotterdam.Ab 2018 soll dann das Schauspielhaus Bochum zu diesem Verbund dazu stoßen. In einem Vortrag zum 125-jährigen Bestehen des Burgtheaters vor drei Jahren hat Simons das Modell eines „Theater der Nationen“ so skizziert: „Ein ‚Theater der Nationen‘, das ist ein Theater wo ein Stück sich abwechselnd in Deutschland, Estland und England abspielt und wo drei Ensembles aus den unterschiedlichen Ländern mit deren unterschiedlichen Auffassungen und Spielstilen versuchen, sich gegenseitig an die Wand zu spielen… Es ist ein Zustand, in dem sich der unglaubliche Reichtum an Kulturen zeigt, und ebenfalls die Menge an möglichen Konflikten und Irritationen. Man muss lernen, mit diesem Zustand umzugehen. Das Ensemble sowie die Verwaltung; die Theaterleitung sowie das Publikum.“
Klingt gut, ist aber bisher nur Theorie. Wie der heute 69-jährige Simons, der ein inszenierender Intendant ist, drei große Häuser in drei Städten gleichberechtigt unter einen Hut bringt, das wird die Frage sein. Die Reibungsverluste aufgrund verschiedener Theatersysteme sind nicht zu unterschätzen. Die Erfahrung musste bereits der amtierende Intendant Anselm Weber bei der Bochumer „Moby Dick“-Produktion vor zwei Jahren machen, die durch die Niederlande tourte. Das deutsche Repertoiresystem und sein Schichtbetrieb mit tariflich geregelten Zuständigkeiten sind grundlegend anders organisiert als das System unserer Nachbarn. Schließlich sollte man auch die Kürzungen der niederländischen Kulturpolitik der letzten Jahre nicht unterschlagen. Bochum muss darauf achten, dass sein unterfinanziertes Schauspielhaus nicht zur koproduzierenden Melkkuh wird, die Streichorgien vor allem in Rotterdam kompensieren soll. Simons geplantes Theatertriumvirat Bochum-Gent-Rotterdam ist ein visionäres Unternehmen, das alle Unterstützung verdient. Doch es dürfte kein Selbstläufer werden, das man mit paar emphatischen Europafloskeln aufs Gleis setzen kann.
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