An einer Sache kann es an diesem Abend keinen Zweifel geben: Die vier Frauen, die im Rahmen der American Songbirds-Tour auf der Bühne stehen, sind Meisterinnen ihres Instruments und Vollblutmusikerinnen.
Als Erste betritt Kyrie Kristmanson die Bühne in der Christuskirche. Auch wenn Vergleiche für mangelnden Einfallsreichtum seitens der Musikjournaille stehen, zwingt sich angesichts von Kristmansons Auftritt das Bild der frühen Björk auf. Verträumt und fast schüchtern steht die gebürtige Kanadierin mit ihrer russischen Pelzmütze auf der Bühne und haucht ihre ätherischen Klänge über ihre Gitarre. Das ist moderne Lyrik, musikalische Poesie und Stimmgewalt, konzentriert auf geschätzte 1,50 m zierliche Lebensgröße. Das 45-minütige Set, so wie es alle Künstlerinnen in diesem Konzertkonzept spielen, bleibt aufgrund seiner ephemeren Form aber doch unzugänglich. Kristmanson geht ins Ohr, aber nicht ins Herz.
Nach einer erfreulich kurzen Umbaupause besetzt mit Rachelle Garniez die bekannteste Singer/Songwriterin des Abends die Bühne. Die New Yorkerin ist nicht nur mit ihrem Akkordeon bewaffnet, sondern verfügt auch über entwaffnenden, selbstironischen Witz. Der Moderator, der die einzelnen Gigs ankündigt, stellt sie als „You’re the most experienced musician of the tour“ vor, worauf Garniez schlagfertig entgegnet: „Because I am the oldest one.”. Rachelle geht lieber direkt zum Wesentlichen über: ihrer Musik. Aufgrund ihrer Vielseitigkeit hat sie schon in Bands diverser Couleur gespielt: Jazz, Rock, Country, Klezmer, Polka, alles dabei. Die Rastlose, die sich mit 17 Jahren ihre Gitarre schnappte, in Venedig jammte und dann in den Subways des Big Apple ihr Akkordeonspiel perfektionierte, bildet das Kontrastprogramm zu ihrer filigranen Vorgängerin Kristmanson. Mal poltert sie drauf los wie ein betrunkenes Spelunkenweib, nur um ad hoc in Sprechgesang zu verfallen oder zu höchsten Tönen anzusetzen. Die Multiinstrumentalistin ist ein Unikat, aber in ihrer gewollten Sperrigkeit nicht jedermanns Geschmack.
Die dritte Performance des Abends beginnt damit, dass Ashia Grzesik von Ashia & The Bison Rouge mitten im Kirchenschiff eine opernreife Pose annimmt. Noch während die letzten Besucher an ihr vorbei an ihre Plätze huschen, setzt ihre kristallklare Stimme ein. Diese hallt noch nach, während Ashia den Gang entlang bis zur Bühne schreitet. Zu ihren nackten Füßen wartet dort ihre loop-Maschine, sie schmiegt sich um das Cello, das sie perfekt beherrscht. Den Songs der in Portland aufgewachsenen Cellistin haftet etwas Folkloristisches an, ihre slawischen Wurzeln hat sie in Polen. Besonders deutlich wird dies in einem Stück über ihre Großmutter. Wenn Ashia von ihrer „Babka“ erzählt, deren Erinnerungen an ein hartes Leben teilt und die besten Piroggi der Welt lobt, schrumpft der Innenraum der Christuskirche zu einer intimen Lounge zusammen.
Keinesfalls zufällig ist der Auftritt von Stephanie Nilles am Ende des American Songbrids-Abend platziert. Mit Wuschelmähne in Straßenköterblond und einem grauen Kaputzen-Schlabberpulli nimmt da ein Mädchen hinter dem Konzertflügel Platz, das vielleicht gerade als volljährig durchgeht. Tatsächlich ist Nilles, die seit ihrem sechsten Lebensjahr Klavier und Cello spielt und einen Abschluss im klassischen Klavierspiel vorzuweisen hat, fast 30 Jahre alt. In ihren Songs offenbart sich rasch, dass sie locker die Weisheit mehrerer Leben zu schultern scheint.
Passend dazu hat ihr Timbre manchmal diese rauchige Note, so als habe sie in der Kindheit bereits Whiskey und Zigarren konsumiert. Ihre kritischen bis rotzigen Texte behandeln politische Themen („America America“, „Canadians are from Canada“), aber auch die Mysterien des Alltags. Mit den typischen „boyfriend/girlfriend“-Songs könne sie nichts anfangen, gibt sie eingangs zu. Eine bluesige Ballade schleicht sich dann doch noch in ihr Set. Mike Bloomfields „Love me or I’ll kill you“ ist dann aber ein ganz eigener Kommentar zum Thema Romantik. Die Stücke fließen aus ihren Fingern, dazu kommt eine Leidenschaftlichkeit, die ihr Spiel nicht nur virtuos, sondern auch absolut authentisch macht. Dies spiegelt sich auch in ihrer Mimik und den Texten. Nilles mixt Jazz mit ein bisschen New Orleans-Style und ein wenig Roaring Twenties und ist die aufregendste Künstlerin an diesem Abend.
Am Ende eines im Nu vergangenen Konzertvierers stehen alle Songbirds zusammen auf der Bühne, geben gemeinsam zwei Zugaben und vereinen sich unter dem kleinsten und zugleich größten gemeinsamen Nenner: Verdammt gute Livemusik.
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