Ein überaus trüber Tag. Am frühen Morgen hat sich manifestiert, was mehr als die Hälfte der US-Amerikaner von Werten wie Menschlichkeit und Toleranz halten, und passenderweise bleibt das Ruhrgebiet den gesamten Tag in feuchtes, bleiernes Grau getaucht. Im Stau zu den Parkplätzen der Westfalenhalle hält sich Vorfreude auf das Konzert mit Weltschmerz die Waage. Statt sich musikalisch auf das Konzert von Sum41 einzustimmen, hört man mit Blick auf die unzähligen Rücklichter vor einem, den x-ten Bericht über die Lage in den Staaten und die möglichen Auswirkungen auf den Rest der Welt.
Im Innern der Halle dann heißt es so langsam Umschalten in Konzertmodus. Die kanadische Pop-Punk-Band Sum41 hat geladen, um ihr 30-jähriges Bestehen zu feiern und sich zugleich von den Fans fulminant zu verabschieden. Zum Abschied wollen sie mit der größten Tour ihres Bestehens glänzen – und auch, wenn im Oberrang große Lücken klaffen, sind Unterrang und Innenraum der geschichtsträchtigen Westfalenhalle beeindruckend gefüllt. Als Support eröffnen die Waliser Neck Deep. Die 2012 gegründete Band reiht sich musikalisch gut in ihre Vorbilder von Blink-182 über Green Day bis eben Sum41 ein und ist gut gerüstet, den Staffelstab des Pop-Punk zu übernehmen, wenn die alten Heroen die Bühne gegen den Schaukelstuhl auf der Veranda tauschen. Doch noch ist es nicht soweit: Green Day feiern auf ihrer noch andauernden „Saviours“-Tour das 30-jährige Jubiläum ihres Albums „Dookie“ und 20 Jahre „American Idiot“, indem sie beide Alben komplett durchspielen – doch auch das „Saviours“-Material brennt sich schnell in die Gehörgänge. Auch Blink-182 spielen – trotz zwischenzeitiger Trennung – noch nicht mit dem Gedanken an den Ruhestand.
Explosiver Start
Die Musik zur Umbaupause ist dann auch gespickt mit Klassikern des amerikanisch geprägten Skate-Punk. Das von Neck Deep warmgespielte Publikum singt auch zu den Klängen aus der Konserve lautstark mit. Zwischenzeitig ploppt dann noch auf dem Mobiltelefon die Eilmeldung rein, dass sich die Ampel entschlossen hat, die Sondersendungen im TV nicht dem orangenen Clown zu überlassen. Egal, jetzt ist erst einmal die Zeit zum Feiern, denn nun schallt AC/DCs „T.N.T.“ aus den Boxen. Explosiv wird es bei den Headlinern dann direkt von Beginn an, denn schon beim ersten Song „Motivation“ gibt es Feuersäulen auf der Bühne. Klar, jeder Rammstein-Fan würde hier nur müde abwinken, aber wenn man deren Feuerspektakel nicht als Maßstab nimmt, bekommt man den Eindruck, dass Sum41 direkt mit den Zugaben beginnen. So folgt nicht nur musikalisch Kracher auf Kracher („The Hell Song“, „Over My Head (Better Off Dead)“, „No Reason” ...), sondern den Pyro-Effekten auch Konfettisalven, Luftballons und überdimensionale Luftschlangen-Kanonaden, die den Innenraum in eine riesige Partyzone verwandeln. Genregerecht bieten Sum41 jede Menge eingängige Mitsing-Refrains, doch ihr Markenzeichen ist die Grenzüberschreitung zum Heavy Metal, die sich in wuchtigen Gitarrenriffs und filigranen Soli manifestiert. Auch ein von Feuerstößen begleitetes Schlagzeugsolo wird es im Lauf des Abends noch geben. Im Mittelpunkt steht allerdings Frontmann Deryck Whibley. Der kurze Steg in den Innenraum hinein bleibt allein ihm vorbehalten. Er trägt die gesamte Kommunikation mit dem Publikum, er dirigiert die unvermeidlichen „Welche Seite ist lauter“-Chöre und peitscht den Circle-Pit an – nicht ohne ein waches Auge auf die tobende Menge zu werfen und im Getümmel Achtsamkeit einzufordern („There is one rule: We take care for each other!“). Whibley wirbelt mit einer Energie über die Bühne, dass eines sicher ist: Altersmüdigkeit kann nicht der Grund für diese Abschiedstour sein.
Die Hits der 90er und das Beste von heute
Die Setlist ist ein wilder Ritt durch die Discographie von Sum41. Sie spielen „some old songs“ und „some very very old songs“, geben aber auch dem aktuellen Doppelalbum „Heaven :x: Hell“ ausreichend Raum. Das muss man erstmal machen als Band: Die eigene Auflösung anzukündigen und nicht nur eine Abschiedstour mit Greatest Hits zu absolvieren, sondern vorab noch ein absolut überzeugendes letztes Album zu veröffentlichen. Die reguläre Setlist umfasst 25 Songs, wobei „My Direction“, „No Brains“ und „All Messed Up“ als Medley gespielt werden. Die Zugabe wird selbstverständlich mit dem Hit „In Too Deep“ abgeschlossen, dem perfekten Partysong, um die Fans in die Nacht zu verabschieden. Das Hallenlicht geht an, Musik von der Konserve erklingt und die Wanderung zu Getränkeständen, Toiletten und Parkplätzen beginnt. Doch Sum41 kommen tatsächlich noch einmal zurück für eine zweite Zugabe. „So Long Goodbye“ und – damit der Abschied nicht zu besinnlich wird – das riffbetonte „88“ beschließen das Konzert nach etwas über zwei Stunden Spielzeit. Wenn nicht nach kurzer Zeit eine Reunion erfolgt, haben Sum41 definitiv den richtigen Punkt gefunden, um zu gehen, wenn es am schönsten ist.
Ohne politischen Biss
Nur eines fehlt an diesem weltgeschichtlich denkwürdigen Abend: Wie kann es sein, dass eine Punkband, die sich in ihren Songs und in Statements vor 15, 20 Jahren noch mit George W. Bush angelegt hat, nicht einen einzigen Satz zur US-Wahl äußert? Es muss ja keine bonoeske Predigt sein, schließlich will man das Ende einer Ära gebührend feiern, aber kommentarlos seinen Stiefel runterspielen ist dann doch befremdlich. Das rotzige „45 (A Matter of Time)“ aus dem Jahr 2019, das Donald Trump zu einer bloßen Nummer degradiert, hätte man durchaus in die Setlist integrieren können – den Refrain „I believe that I am losing faith in all of humankind“ hätte die Halle sicherlich mit Inbrunst mitgegrölt – vor allem, da es der 45. Präsident der USA nun auch zur Nummer 47 geschafft hat und man sich fassungslos die Augen reibt, wie eine solche Karikatur eines Marvel-Bösewichts auch nur einmal zur Wahl hatte aufgestellt werden können.
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