Theaterleute sind hysterisch. Jeder kennt die bedrohlichen Menetekel vom Untergang des Abendlandes und seiner Kultur, wenn nur ein Theater bedroht ist. Und so mutete es grotesk an, als Jörg Löwer, der Präsident der Genossenschaft Deutscher Bühnenangehöriger (GDBA), im März mit Schreckensszenarien vor dem neuen Tarifeinheitsgesetz warnte. Zur Erinnerung: Nach mehreren Bahnstreiks wurde es der gewerkschaftsnahen Sozialministerin Andrea Nahles zu bunt und sie entwarf ein Gesetz zur Vermeidung von Tarifkollisionen. Es geht um den Fall, dass zwei Gewerkschaften unterschiedliche Tarifverträge für dieselbe Berufsgruppe in einem Betrieb abschließen wollen. Sollten sich die Gewerkschaften nicht einigen können, gelten die Tarifverträge der Gewerkschaft mit den meisten Mitgliedern. GDBA-Chef Löwer malte damals für Schauspieler, Sänger oder Dramaturgen das Gespenst von Kurzzeit-Verträgen an die Wand, die dann nur noch für eine Inszenierung gelten sollen. Es hatte fast schon einen absurden Unterton, wie hier der Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben wurde, wie die derzeit geltenden jährlich kündbaren Verträge gegen Stückverträge in die Schlacht geschickt wurden.
Dass Löwer das eigene Tarifwerk verteidigt und das Tarifeinheitsgesetz wie einen Tsunami fürchtet, hat allerdings einen sehr konkreten Grund: Er traut seinen eigenen Gewerkschaftskollegen nicht über den Weg. Und das zu Recht. Konstruieren wir ein Beispiel: ver.di als Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes vertritt vor allem die nichtkünstlerischen Mitglieder im Theater und die machen die Mehrzahl der Beschäftigten aus. Käme nun ver.di auf die böse Idee, auch Tänzer zu vertreten, geriete sie in Konflikt mit der GDBA und dem VDO, der Vereinigung deutscher Opernchöre und Bühnentänzer. Die mögen zwar mehr Tänzer in ihren Reihen haben, doch da nicht die Mehrheit in der Berufsgruppe, sondern im gesamten Betrieb entscheidend ist, hätten GDBA und VDO das Nachsehen und müssten langfristig um ihren Einfluss fürchten. Also das gleiche Szenario wie bei den Bahngewerkschaften. Darin hat das neue Tarifeinheitsgesetz ohne Frage seine Schwäche. Wie realistisch die Befürchtung Löwers war, zeigte im April der Ausstand der Tänzer des Staatsballetts Berlin. Aufgewiegelt von ver.di traten die Künstler in den Ausstand und ließen zur Warnung Vorstellungen ausfallen. Ihr Ziel war, über den von GDBA und VOL erreichten Flächentarifvertrag hinaus einen zusätzlichen Haustarifvertrag zu erstreiken. Mit welch unsäglicher Arroganz ver.di dabei vorgeht, lässt sich auf der Homepage der Sektion Berlin-Brandenburg nachlesen, die von GDBA und VDO nur noch als „Kleingewerkschaften“ spricht. Löwers Warnung vor einem „Häuserkampf“ um Mitgliederzahlen dürfte berechtigt sein. Was uns jetzt ins Haus steht, ist offenbar ein Überbietungswettbewerb und ein Streit konkurrierender Spartengewerkschaften, die ohne Rücksicht auf Verluste ihre Einflusssphären zu vergrößern versuchen. Was dagegen Not täte, wäre endlich eine Einigung über Einflusssphären und Verhandlungsmandate, der dem Theater dient und nicht der Eitelkeit machtbesoffener Gewerkschaftsbosse.
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