Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
23 24 25 26 27 28 29
30 31 1 2 3 4 5

12.583 Beiträge zu
3.812 Filmen im Forum

Verträge mit Abstrichen
Foto: Jan Schliecker

ver.di’s Arroganz der Macht

28. Mai 2015

Gewerkschaften kämpfen im Theater um Einfluss – Theater in NRW 06/15

Theaterleute sind hysterisch. Jeder kennt die bedrohlichen Menetekel vom Untergang des Abendlandes und seiner Kultur, wenn nur ein Theater bedroht ist. Und so mutete es grotesk an, als Jörg Löwer, der Präsident der Genossenschaft Deutscher Bühnenangehöriger (GDBA), im März mit Schreckensszenarien vor dem neuen Tarifeinheitsgesetz warnte. Zur Erinnerung: Nach mehreren Bahnstreiks wurde es der gewerkschaftsnahen Sozialministerin Andrea Nahles zu bunt und sie entwarf ein Gesetz zur Vermeidung von Tarifkollisionen. Es geht um den Fall, dass zwei Gewerkschaften unterschiedliche Tarifverträge für dieselbe Berufsgruppe in einem Betrieb abschließen wollen. Sollten sich die Gewerkschaften nicht einigen können, gelten die Tarifverträge der Gewerkschaft mit den meisten Mitgliedern. GDBA-Chef Löwer malte damals für Schauspieler, Sänger oder Dramaturgen das Gespenst von Kurzzeit-Verträgen an die Wand, die dann nur noch für eine Inszenierung gelten sollen. Es hatte fast schon einen absurden Unterton, wie hier der Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben wurde, wie die derzeit geltenden jährlich kündbaren Verträge gegen Stückverträge in die Schlacht geschickt wurden.

Dass Löwer das eigene Tarifwerk verteidigt und das Tarifeinheitsgesetz wie einen Tsunami fürchtet, hat allerdings einen sehr konkreten Grund: Er traut seinen eigenen Gewerkschaftskollegen nicht über den Weg. Und das zu Recht. Konstruieren wir ein Beispiel: ver.di als Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes vertritt vor allem die nichtkünstlerischen Mitglieder im Theater und die machen die Mehrzahl der Beschäftigten aus. Käme nun ver.di auf die böse Idee, auch Tänzer zu vertreten, geriete sie in Konflikt mit der GDBA und dem VDO, der Vereinigung deutscher Opernchöre und Bühnentänzer. Die mögen zwar mehr Tänzer in ihren Reihen haben, doch da nicht die Mehrheit in der Berufsgruppe, sondern im gesamten Betrieb entscheidend ist, hätten GDBA und VDO das Nachsehen und müssten langfristig um ihren Einfluss fürchten. Also das gleiche Szenario wie bei den Bahngewerkschaften. Darin hat das neue Tarifeinheitsgesetz ohne Frage seine Schwäche. Wie realistisch die Befürchtung Löwers war, zeigte im April der Ausstand der Tänzer des Staatsballetts Berlin. Aufgewiegelt von ver.di traten die Künstler in den Ausstand und ließen zur Warnung Vorstellungen ausfallen. Ihr Ziel war, über den von GDBA und VOL erreichten Flächentarifvertrag hinaus einen zusätzlichen Haustarifvertrag zu erstreiken. Mit welch unsäglicher Arroganz ver.di dabei vorgeht, lässt sich auf der Homepage der Sektion Berlin-Brandenburg nachlesen, die von GDBA und VDO nur noch als „Kleingewerkschaften“ spricht. Löwers Warnung vor einem „Häuserkampf“ um Mitgliederzahlen dürfte berechtigt sein. Was uns jetzt ins Haus steht, ist offenbar ein Überbietungswettbewerb und ein Streit konkurrierender Spartengewerkschaften, die ohne Rücksicht auf Verluste ihre Einflusssphären zu vergrößern versuchen. Was dagegen Not täte, wäre endlich eine Einigung über Einflusssphären und Verhandlungsmandate, der dem Theater dient und nicht der Eitelkeit machtbesoffener Gewerkschaftsbosse.

HANS-CHRISTOPH ZIMMERMANN

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Heretic

Lesen Sie dazu auch:

Bessere Bezahlung für freie Kunst
NRW führt Honoraruntergrenzen ein – Theater in NRW 08/24

Angst
Beobachtung eines Kritikers im Kindertheater – Bühne 02/23

Bessere Konditionen
EU stärkt Solo-Selbstständige im Theater – Theater in NRW 11/22

Dunkle Fassaden
Das Theater und die Energiekrise – Theater in NRW 09/22

Freunde und Netzwerke
In Dortmund wurde ein neuer Festivalverbund gegründet – Theater in NRW 03/22

Die Schaubühne als weibliche Anstalt
Theaterfrauen in und aus NRW ausgezeichnet – Theater in NRW 12/19

Mülheim war schon immer schneller
Roberto Ciulli bekommt den Theaterpreis Faust – Theater in NRW 11/19

„Was ist überhaupt gut, was ist böse?“
Dedi Baron und Thomas Braus über „IchundIch“ in Wuppertal – Premiere 07/19

Gesellschaftliches Miteinander
Das Asphalt Festival in Düsseldorf – Bühne 07/19

Alles echt ohne Kohle
Klimafreundliche Donnerstage in Mülheim – Prolog 07/19

Zwischenzeit als Zwischenspiel
Ruhrtriennale vom Konflikt um Stefanie Carp erschüttert – Theater in NRW 09/18

Falsche Träume vom Sparen
Theatergutachten in Bonn empfiehlt Investitionen statt Kürzungen – Theater in NRW 05/18

Theater.

HINWEIS