Das Museum Küppersmühle in Duisburg lädt jährlich mehrere Tausend Schulen aus ganz Deutschland ein, sich zu bewerben. 20 werden per Los ermittelt und besuchen dann die Ausstellungen über das ganze Jahr hinweg. Dabei werden sie kunstpädagogisch betreut. Die Schüler setzen sich mit den präsentierten Künstlern und ihren Werken auseinander, können Fachleute mit Fragen bestürmen und schließlich die eigene Kreativität unter Beweis stellen. Innerhalb eines Zeitraums von acht Wochen können sie dann ihren Tag im Museum diskutieren und ihre eigene Interpretation in einer frei gewählten Arbeit mit künstlerischen Mitteln darstellen und sich so um den Jugend-Kunst-Preis bewerben.
trailer: Herr Smerling, „Jugend interpretiert Kunst“ ist ein bemerkenswertes privates Erfolgsmodell, ist es auch eine zwangsläufige Antwort auf die Krise der musischen Schulbildung?
Walter Smerling: Mit dem Projekt reagieren wir auf den Kunstunterricht in Schulen, indem wir ihn unterstützen. Das Wort Krise ist immer so schnell in den Mund genommen. Ich bin durchaus der Meinung, dass der Kunstunterricht an Schulen verbesserungswürdig ist. Wir wollen unseren Beitrag dazu leisten, und wir sind froh darüber, dass diese Idee nach elf Jahren bei den Schülerinnen und Schülern, Lehrerinnen und Lehrern und den Familien zu Hause immer noch zündet. Die Reaktion ist fantastisch. Immer mehr Schulen bewerben sich und wollen nach Duisburg kommen, um Kunst zu sehen. Jetzt müssen wir sehen, wie es weitergeht.
500 Schulen bewerben sich, 20 werden ausgelost. Bewerben sich eigentlich fast nur Gymnasien?
Nein. Am Anfang haben wir uns auf die Gymnasien, auf die Oberstufen konzentriert. Dann haben wir die Konzeption auch für Realschulen und Hauptschulen geöffnet.
Und die eingeladenen Schüler interpretieren dann Kunst mit Kunst?
Sie müssen sich das so vorstellen, wenn sie ein Theaterstück sehen, schreiben sie anschließend einen Aufsatz darüber und interpretieren das Stück. Bei der Bildenden Kunst, bei den Ausstellungen geht es nicht ums Interpretieren, sondern es geht darum, was die bei den Schülerinnen und Schülern auslösen, an Ideen, an Gedanken. Es geht um eine Reflektion, und die wird dann in Form einer eigenen Arbeit abgeliefert. Man kann das Interpretation nennen, aber das ist zu klein gegriffen. Und es ist sehr spannend, wenn dann die 20 Schulen mit ihren eigenen Arbeiten wieder ins Museum kommen und sie dort installieren. Ich freue mich schon jetzt darauf, die Ausstellung im Februar eröffnen zu dürfen.
Obwohl es eigentlich „Du kannst Leinwandheld werden“ heißt, sind erstaunlich viele Skulpturen und Installationen dabei. Ist das bei den Preisträgern 2012 auch so?
Das ist sehr unterschiedlich von Jahr zu Jahr. Es kommt auch ein bisschen auf die Wechselausstellung an, die in dem Jahr gelaufen sind. Wir hatten eine große Tony Cragg-Ausstellung in diesem Jahr, und er ist nun mal ein Künstler, der vorwiegend mit Skulpturen arbeitet. Aber der Schwerpunkt liegt grundsätzlich nicht auf Skulpturen, sondern es ist breitgefächert. Es gibt Installationen, Malerei, Video, Fotographie, das ganze Spektrum, das wir auch im Rahmen der Ausstellungen im Museum zeigen.
Alle loben das Projekt. Wenn kulturelle Bildung essentielle Grundlage für die Entwicklung von Denkfähigkeit und Kreativität ist, warum geht es in unserer Gesellschaft der Kunst immer als erstes an den Kragen?
Die Kunst- oder Kulturförderung gehört zu den freiwilligen Leistungen des Staates, der Länder, der Kommunen. Deshalb ist man hier eher geneigt zu kappen als in den anderen Bereichen. Ich halte das nicht für richtig und arbeite seit der Existenz unseres Stiftungsvereins dagegen. Ich habe Verständnis dafür, dass es Sparzwänge gibt. Aber Kreativität kann man nicht unter Sparzwänge setzen. Das ist schädlich für die Gesellschaft. Wir waren in NRW stolz darauf, ein Land zu sein, das eine beachtliche Kulturförderung entwickelt hat, und nun kommen die Streichungen in einer Zeit, in der es dieser Gesellschaft eigentlich ganz hervorragend geht. Wenn die Volksvertreter und die politischen Mehrheiten das so entschieden haben, dann müssen sich Initiativen entwickeln, dann muss ein Privatengagement das ausgleichen. Daran arbeiten wir und sind froh darüber, dass wir Sponsoren finden, die uns die Arbeit ermöglichen. Wir sind immer wieder auf der Suche nach Sponsoren und zurzeit auch händeringend damit beschäftigt, Unterstützung für das Schulprojekt im nächsten und übernächsten Jahr zu finden. Denn es werden immer mehr Schulen, es wird immer mehr Arbeit, und das müssen wir finanzieren, und da braucht es noch mehr an Unterstützung. Wir werden auch unabhängig von den Sparmaßnahmen weiter am Ball bleiben und versuchen, dieses Geld aufzutreiben. Den politischen Volksvertretern ist es ja bisher nicht sehr wichtig gewesen, hier Flagge zu zeigen. Ich will das aber nicht weiter kommentieren.
Vielleicht bräuchte man für die Politiker auch so ein Modell – unter dem Motto „Politiker interpretieren Fördermöglichkeiten durch Kunst“.
Ich weiß nicht, ob es da viel an Interpretationsnotwendigkeiten braucht. Es braucht eine Gruppe der Verantwortlichen. Kreativität und Jugend – das passt sehr gut zusammen. Denn wenn wir die künstlerische Ausbildung der Jugendlichen nicht fördern, dann haben wir ein zukünftiges Problem. Das muss man sehen. Und Jugend interpretiert Kunst oder der Jugendkunstpreis ist nur ein kleiner Bereich eines großen Spektrums an Bildungsnotwendigkeiten.
Und wie fühlen sich die Kunstlehrer dabei?
Wir sind sehr glücklich über die Kooperation mit den Kunstlehrern, die sich hier unglaublich engagieren, ihre Zeit zur Verfügung stellen und das gerne tun. Ohne die gute Zusammenarbeit mit vielen Lehrerinnen und Lehrern wäre dieses Projekt überhaupt nicht möglich. Es gibt zwar nicht mehr diese Dominanz der Schwellenangst, aber es bedarf doch der großen organisatorischen Arbeit und auch des Mutes, einer Klasse aus Kiel, aus Konstanz oder aus Passau zu sagen, wir fahren jetzt mal nach Duisburg und lassen uns da mal auf eine Ausstellung ein und beteiligen uns an diesem Wettbewerb. Da sind die Lehrerinnen und Lehrer diejenigen, die Schüler motivieren. Ohne diese Motivationsarbeit liefe das ganze Projekt nicht so erfolgreich.
Wer bewirbt sich denn, die Schule, der Lehrer oder die Schüler?
Die Schulklassen.
Also geht die Initialzündung auch von den Jugendlichen aus?
Das wird in den Schulklassen diskutiert. Wir schreiben alle Schulen an, schreiben die Kunstlehrer an, und die teilen das dann der Klasse mit. Bei Interesse füllt die Schulklasse den Antwortbogen aus und kommt in die Lostrommel. Wie bei der Lottoziehung drehen wir dann die Trommel, der Kulturdezernent der Stadt Duisburg und ich ziehen dann diese 20 Schulklassen, die eingeladen werden. Es ist über Jahre passiert, dass wir dabei immer wieder auch dieselbe Schule gezogen haben, die wurde dann natürlich ausgetauscht.
Also man kann nicht zweimal hintereinander?
Hintereinander ist schon ein merkwürdiges Glück. Aber wir wollen ja sehr viele erreichen.
Jugendkunstpreis 2012; Ausstellung: 15.-28.2. I Museum Küppersmühle, Duisburg I 0203 30 19 48 11
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