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Markus Heinzelmann vor dem Gemälde „Helga Matura mit Verlobten“ von Gerhard Richter
Foto: Anne Orthen

„Was Handwerk und was Kunst ist“

27. März 2025

Co-Kurator Markus Heinzelmann über „Das halbe Leben“ im Bochumer Museum unter Tage – Sammlung 04/25

Die Ausstellung über Arbeit zeigt Exponate aus der Kunstsammlung Antike, der Münzsammlung und der Sammlung Moderne der Ruhr-Universität Bochum. 

trailer: Herr Heinzelmann, Arbeit und Vergnügen – das war doch sicher noch nie der Fall. Spaß hatten die alten Ägypter sicher nicht beim Pyramidenbau, trotz des ausgeschenkten Bieres als Bezahlung, oder?

Markus Heinzelmann: Die Ausstellung heißt ja „Das halbe Leben“, und damit fragen wir schon direkt im Titel danach: Wie verhält sich unser Arbeitsleben eigentlich zu den Themen Freizeit und Vergnügen? Wenn man sich das Sprichwort „Arbeit ist das halbe Leben“ vor Augen hält, dann ist darin ja auch die Behauptung verbunden, dass es noch eine andere Hälfte gibt. Das ist heute allerdings nicht mehr ganz so einfach wie in der Zeit, in der das Sprichwort entstanden ist, denn mittlerweile hat die Arbeit das gesamte Leben okkupiert. Und da hilft auch manchmal kein Bier mehr, um das wieder zurechtzurücken. 

Was ist in der Ausstellung im Museum unter Tage zu sehen?

Das Spannende ist, dass wir in unserer Ausstellung Exponate aus rund 3.000 Jahren versammelt haben. Wir zeigen ja Exponate aus den Sammlungen der Ruhr-Universität Bochum, das heißt aus der Sammlung Antike, der Münzsammlung und der Sammlung Moderne. Die werden in diesem Jahr 50 Jahre alt, und aus diesem Anlass haben wir uns verabredet, die besten Stücke zum Thema Arbeit im Museum unter Tage zu zeigen. Und die Aufgabe der Gegenwartskunst, also der eingeladenen Künstler:innen, ist es, diese Exponate alle miteinander zum Sprechen zu bringen und so miteinander zu verbinden. Das ist ein tolles fächerübergreifendes Projekt. 

Ein fächerübergreifendes Projekt bedeutet sicher viel Arbeit – gab es Stress unter den Disziplinen

Ganz im Gegenteil. Die Zusammenarbeit hat unglaublich viel Spaß gemacht. Gerade weil wir aus unseren Disziplinen über den Tellerrand hinausgeschaut haben – und zwar gemeinsam mit den Studierenden. In jedem Fach gibt es eigene Traditionen und Überzeugungen – zum Beispiel zu dem Thema, was Handwerk und was Kunst ist. Diese unterschiedlichen Kulturen miteinander zu vergleichen war ausgesprochen unterhaltsam und lehrreich.

Was ist der Unterschied zwischen Kunst und Handwerk? Der Kunstbegriff kommt eher aus den letzten hundert Jahren, oder?

Genau. Was wir autonome Kunst nennen, ist ein relativ junger Begriff. Die Archäologie bezeichnet die Gegenstände, die sie behandelt, zwar als Kunst, aber sie meint etwas anderes, als wir das heute tun. Denn die archäologischen Funde waren eigentlich immer in einen Kult eingebunden. Wir haben tolle Vasen mit Kithara-Spielerinnen drauf, aber ist das jetzt Kunst? Wenn wir das sehen, denken wir sofort an jemanden, der auf der Bühne steht und performt. Aber natürlich war das Kithara-Spiel in der Regel in einen festlichen Wettstreit eingebunden. Die Unterscheidung zwischen Handwerk, Kunstfertigkeit und Kunst ist eher ein Thema seit der Moderne. 

Womit treten dann die Bestände der Münzsammlung der Ruhr-Universität in Dialog – doch sicher nicht mit dem „Kunst = Kapital“-Falschgeld von Joseph Beuys, oder?

Nein … Gerade bei den Münzen haben wir ganz fantastische Exponate. Zum Beispiel Silbermünzen aus Tarent aus dem 3. und 4. Jahrhundert vor Christus. Auf denen können wir den Kampf des Herkules mit dem Nemeischen Löwen sehen. Wir sagen im Deutschen ja immer, etwas sei eine Herkulesaufgabe, aber wenn wir uns die griechischen Quellen anschauen, dann ist dort immer von Herkulesarbeit die Rede. Das Thema der Herkulesarbeit taucht dann in der Bildenden Kunst bei João Penalva wieder auf: Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Komposition „Le sacre du printemps“ von Igor Strawinsky Takt für Takt nachzupfeifen. Das Stück dauert nur etwa 30 Minuten, aber der Künstler hat rund zweieinhalb Jahre benötigt, bis es ihm gelungen ist, eine Aufnahme anzufertigen, mit der er zufrieden war. Herkulisch!

Was ist noch zu sehen?

Wir haben zum Beispiel Małgorzata Mirga-Tas eingeladen, eine Künstlerin, die in Polen lebt. Sie gehört Gemeinschaft der Rom:nja und Sinti:zze an und zeigt in dieser Ausstellung ein Textilbild, das „Sisters“ heißt. Darauf sehen wir sie gemeinsam mit ihren leiblichen Schwestern und vielleicht auch mit guten Freundinnen, wie sie Stoffe für ein Kunstwerk zusammennähen. Ein Bild, auf dem wir sehen, wie es selbst entsteht. Die Arbeit wirft auch ein Schlaglicht auf die Ausstellung, da gerade die Exponate der Gegenwartskunst sehr auf das Thema der Zusammenarbeit ausgerichtet sind. Die Zwillingsschwestern Irene und Christine Hohenbüchler haben zum Beispiel Gestelle für uns entwickelt, und auf diesen raumgreifenden Displays zeigen wir Arbeiten aus der Archäologie. Ganz kleine Öllämpchen zum Beispiel, aber auch Kunstwerke, die in der Klasse von Irene Hohenbüchler an der Kunstakademie Münster entstanden sind. Und was sehr wichtig in dieser Ausstellung ist, ist das Thema der Wertschätzung. Wir zeigen zum Beispiel phantastische Vasen der südkoreanischen Künstlerin Yeesookyung, die sie aus den Scherben von Keramiken neu zusammengesetzt hat. Wiederverwerten beziehungsweise Reparieren heißt immer auch Wertschätzen: ein Megatrend der Gegenwart!

Małgorzata Mirga-Tas, Sisters (Phenia), 2019 (Acryl, Stoff, Leinwand, 180 x 200 cm) © die Künstlerin, Foto: Bartosz Górka/ING Polish Art Foundation

Es geht ums Produzieren und Konsumieren. Sollte da nicht der Kunstmarkt selbst ein wichtiger Aspekt sein?

Wir haben weniger gefragt, was der Kunstmarkt macht, sondern mehr danach, wie die Künstler:innen arbeiten. Manuel Graf zeigt beispielsweise eine Reihe neuer Lokomotiven, die im 3D-Druck-Verfahren entstanden sind. Die Vorbilder für diese Drucke wurden von einer künstlichen Intelligenz erstellt, die er mit der folgenden Anfrage gefüttert hat: „Bitte designe mir eine Lokomotive im Stil der 1910er oder 1930er Jahre!“ Manuel Grafs Beitrag führt uns wie kein anderer vor Augen, dass die künstliche Intelligenz heute bereits ein bedeutendes Instrument für Künstler:innen geworden ist.

Auf der anderen Seite des halben Lebens stand immer der Konsum – der wird langsam zum Fluch, oder?

Absolut. Wir zeigen zum Beispiel Fotografien, die Nyaba Léon Ouedraogo in der ghanaischen Hauptstadt Accra aufgenommen hat. Auf seinen Bildern zeigt er, wie junge Menschen auf einer der größten Müllkippen der Welt technische Abfälle zusammensuchen und ausschlachten, indem sie Computergehäuse verbrennen und dann die Metalle heraussuchen. Das sind Bilder, die einen sehr tiefen Eindruck hinterlassen und die Rückseite unseres westlichen Konsums erkennen lassen.

Das halbe Leben | 22.5. - 26.10. | Museum unter Tage, Bochum | 0234 322 85 23

Interview: Peter Ortmann

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