Die Ausstellung befasst sich mit der Beziehung zwischen Technik und Mensch. Benannt ist sie nach von Vorgehen von Fluglots:innen, um Flugzeuge über einem Flughafen in der Luft zu halten. Ein Gespräch mit Schriftsteller und Co-Kurator Tom McCarthy.
trailer: Herr McCarthy, ich muss es für das Ruhrgebiet einfach fragen: Was erzählt eine fiktive Geschichte, die Bergbau, Datenspeicherung, Männerkrawatten und die Lehrerinnen eines geheimnisvollen Untergrundrituals miteinander verbindet?
Tom McCarthy: Elisabeth Prize‘s „Slow Dance“ ist das komplexeste Werk in der ganzen Ausstellung. Man könnte es am besten als spekulative Fiktion beschreiben. Die beginnt mit der Geschichte von alten verlassenen Minen und Industrieanlagen, die sowohl in Nordengland als auch hier im Ruhrgebiet, beispielsweise in Dortmund, schon lange nicht mehr genutzt werden. Damit öffnet sie uns eine erfundene Welt aus Schächten, Erzählungen vom Untergrund, von Geheimnissen, von Wissenschaft, da tanzen Frauen und es wird eine kryptische Frauensprache verbreitet. Die Welt, in der das spielt, ist aber echt. Die Künstlerin stellt sich vor, dass die Ahnen mit Krawatten durch kryptische Kommunikation verstanden werden können. Und das finde ich sehr interessant, weil der Kanon ein wichtiges Thema der Ausstellung ist, eine Art Untergrund-Kommunikation, vom Kritzeln bis zum Coding.
Der Untertitel der Ausstellung lautet: „Warteschleifen und andere Loops“. Wie lange müssen die Besucher:innen im Kunstverein herumkreisen?
Die Besucher:innen können zehn Minuten dort verbringen oder zehn Stunden (lacht), wenn die Öffnungszeiten das hergeben würden. Der Film von Stan Douglas beispielweise dauert alleine sechs Stunden. Es gibt da aber keine Regel, je länger man sich aber Zeit nimmt, desto tiefer kann man in die Thematik eintauchen und alle Arbeiten erfahren.
Die Ausstellung wurde vorher bereits in Oslo gezeigt. Sie geht auf die Einladung Ihrer Co-Kuratorin Anne Hilde Neset zurück, mit zeitgenössischer Kunst die Themen Ihrer Bücher zu vertiefen. Was hat das für einen Mehrwert?
Die Einladung bestand nicht darin, meine Ideen durch zeitgenössische Kunst zu illustrieren, sondern es ging darum, dass ein Dialog entsteht und so neue Ideen entstehen, die nicht aus meinen Büchern kommen. Das ist wie eine Synthese aus These und Antithese, die entwickelt wird, um das mal mit Hegel zu sehen. Ich bin immer durch zeitgenössische Kunst inspiriert und geprägt worden. Die Idee von „Holding Patterns“ hat auch eine Temporalität des Wartens, und das hat sehr viel mit Literatur zu tun. Man wartet halt immer. Genauso wie die Wiederholung, die Idee, dass der Mensch sich in einer großen Struktur befindet – aber diese Struktur ist nicht immer sichtbar. Das ist das Problem. Der Mensch ist wie Platon in einem Gefäß, in einem Muster gefangen, aber er versteht es nicht, die Konturen dieser Strukturen zu kartographieren – oder er kommt immer zu spät. „Holding Pattern“ zeigt eine zeitgenössische Inszenierung dieser sehr klassischen Situation als eine technologische Choreografie von höheren Kräften. Es gibt keinen Ausgang, aber man kann probieren, Widerstand zu entwickeln. Das ist sowohl eine politische als auch eine künstlerische Frage.
Das skandinavische Fluxus-Werk von Åke Hodell heißt „I gevär“ – also: „Zu den Waffen“. Wie nah ist das dran an der gegenwärtigen Weltpolitik?
Gute Frage. Åke Hodell wohnt neben dem Palast in Stockholm und er hört jeden Tag diesen Befehl: „Zu den Waffen“. Da er Anarchist und Antimilitarist ist, hasst er natürlich diesen Befehl, aber weil er auch Fluxus-Dichter ist, war es für ihn auch eine schöne gefundene Poesie. Deshalb hat er sich entschieden, ein ganzes Buch nur mit diesem Satz voll zu drucken. Das ist sein Weg, sich diesen Befehl, den er jeden Tag hört, anzueignen, löst ihn von der Autorität und öffnet ihn für andere Nutzungen. Insofern hat das sehr viel zu tun mit der gegenwärtigen weltpolitischen Lage, aber die Arbeit macht kein eindeutiges Statement, die genaue Bedeutung bleibt bewusst vage.
Die Ausstellung befasst sich mit der Beziehung zwischen Technik und Mensch. Steigt die Angst vor der KI und ihren Algorithmen?
Ja, das könnte man so sagen. Ich habe allerdings eine andere theoretische Auffassung dieser Angst – Odysseus, der griechische Held, befindet sich beispielsweise auch in einem Algorithmus. Es gab immer Technologie. Die westliche Literatur fängt in der Orestie von Aischylos mit einem Lichtsignal an. Einem Signal zwischen Troja und Argos – und dieses Lichtsignal geht 600 Kilometer durch den Raum. Und auch das ist Technologie, ein technologisches Kommunikationssystem. Alle Intelligenz ist eben künstlich. Sie ist immer mit Archiven und mit Netzwerken von Sprache verbunden. Das lehren uns auch Heidegger oder Lacan, die das sehr gut verstanden haben. Also einerseits ist das ein zeitgenössisches Problem mit dem Algorithmus, das andererseits aber schon sehr lange existiert.
Man muss heute ohnehin sagen, dass die Angst vor Milliardären größer sein sollte als die vor dem Algorithmus, oder?
Unbedingt. Das ist eine neue Phase mit der Macht von Milliardären, die auch Faschisten sind. Das ist total gefährlich.
Bleibt uns zuletzt nur die Hoffnung auf eine Art Transhumanismus (Erweiterung menschlicher Fähigkeiten durch Technik, Anm. d. Red.)?
Für mich ist der Humanismus nicht so wichtig. Für mich ist Demokratie wichtig. Und ich glaube, dass es immer Hoffnung für Demokratie gibt. Demokratie ist nie Jetzt – sie ist immer mit der Hoffnung auf die Zukunft verbunden. Sie ist wie ein Flugzeug, das noch nicht gelandet ist. Ich meine damit, sie kommt nie zur Vollendung. Und in dieser Nichtvollendung liegt die Hoffnung.
Holding Pattern. Warteschleifen und andere Loops | 15.3. - 27.7. | Hartware MedienKunstVerein (HMKV), Dortmunder U | 0231 13 73 21 55
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