Mit „Bilder im Auftrag. Fotografien von Ruth Hallensleben 1931-1973“ zeigt das Essener Ruhr Museum eine Ausstellung über die deutsche Industriefotografin. Ein Gespräch mit Stefanie Grebe, Leiterin der Fotografischen Sammlung.
trailer: Frau Grebe, die Industrieaufnahmen von Ruth Hallensleben wirken ein wenig mystisch – sie hatte einen besonderen Blick auf die Arbeitswelt, oder?
Stefanie Grebe: Ruth Hallensleben hatte ihren eigenen Blick auf die Arbeitswelt, der mit ihrer Geschichte als Fotografin und ihrer Persönlichkeit verbunden ist. Insofern hatte sie auch einen besonderen Blick, der ihr eigener war und der auch als solcher erkennbar ist. Er zeichnet sich dadurch aus, dass sie sehr präzise inszenieren konnte und oft stark idealisierende Darstellungen gewählt hat.
Sie inszenierte ihre Arrangements penibel, wenn es sein musste – sogar unter Tage?
Ja. Sie hatte auch Aufträge unter Tage. Aber auch in ganz unterschiedlichen Industriezweigen, nicht nur in der Schwerindustrie, sondern auch in vielen mittelständischen Unternehmen, wie z.B. in einer Kofferfabrik.
Unter Tage zu fotografieren war zu der Zeit sicherlich nicht einfach. Man musste die ganze Ausrüstung da herunter schleppen.
Wie für alle Fotografen war die Unter-Tage-Arbeit eine anstrengende Angelegenheit, wenn man es nicht gewohnt war. Es wird dort sehr heiß und es darf nicht geblitzt werden. Das Besondere war auch, dass sie als Frau unter Tage gewesen war, denn normalerweise hielten sich im Ruhrgebiet keine Frauen unter Tage auf, egal in welcher Funktion. Bergarbeiterinnen gab es in Deutschland nicht.
Sie hat angeblich immer mit dem Goldenen Schnitt und wenig Fremdbeleuchtung gearbeitet. Zudem soll sie einige Serien erstellt haben. Stimmt das?
Sie benutzte ab und an auch den Goldenen Schnitt, weil man damit Bilder gut gestalten kann, aber nicht immer. Ansonsten sähen ja alle Fotografien gleich aus. Sie platzierte auch Objekte oder Menschen mittig oder/und symmetrisch. Das sind unterschiedliche ästhetische Kompositionsmöglichkeiten, die sie nutzte, um ihre Bilder zu gestalten. In der Regel arbeitete sie immer mit vorhandenem Licht oder mit wenigen Lampen. 1958 erwähnte Hallensleben in einer Fotografiezeitschrift, dass sie nur wenige Lampen habe und damit versuche, bestmögliche Ausleuchtung in großen Hallen zu erreichen. Ruth Hallensleben hat ausschließlich mit 6x6-cm-Mittelformat- und 9x12-cm-Großbildkameras gearbeitet und nutzte Schwarzweiß- und ab den 1950er Jahren dann Farbfilme. Eine Kleinbildkamera benutze sie nie. Sie war immer eine Auftragsfotografin und keine freie Künstlerin. Natürlich hat sie auch Serien angefertigt, um bestimmte Arbeitsgänge deutlich zu machen. Auch ordnete sie manchmal die Leute gestaffelt hintereinander an. Wie auf einer Bühne stellte sie die Leute ordentlich hin. Und es ist auch überliefert, dass sie in lauten Fabrikhallen die Arbeiterinnen und Arbeiter mit Trillerpfeife herumkommandierte, damit diese mitbekamen, wann die Fotografin eine Aufnahme machen wollte. Dann tanzten alle nach ihrer Pfeife.
Warum hat sie die Porträtfotografie eigentlich aufgegeben?
Sie hat bei Elsbeth Gropp ihre Lehre angefangen und dort u.a. Porträtfotografie gelernt, Porträts hat sie während ihres ganzen Berufslebens angefertigt. Sie hat die Porträtfotografie nie aufgegeben. Es war aber damals so, dass man sich als Lehrling verpflichten musste, nach Beendigung der Lehre sich nicht am gleichen Ort mit derselben Spezialisierung niederzulassen, um nicht als Konkurrenz aufzutreten. Sie hätte also gar nicht in Köln ein Porträtstudio eröffnen können.
Was ist in der Ausstellung zu sehen?
Die Ausstellung „Bilder im Auftrag. Fotografien von Ruth Hallensleben 1931-1973“ ist nach Auftraggebern und ihren Hauptauftraggebern strukturiert. Ihr ganzes Berufsleben lang haben diese Ruth Hallensleben mit zahlreichen Aufträgen versorgt, die sie sehr gut ausgeführt hat. Wir starten in der Ausstellung mit Porträts, weil das ihr Anfang war und sie Porträts bis zu ihrem Arbeitsende aufgenommen hat. Ein weiterer wichtiger Auftraggeber war der Bavaria-Verlag, eine Bildagentur, über die sie während ihres gesamten Berufslebens Bilder vertrieben und immer wieder auch extra angefertigt hat, in der Hoffnung, dass sie sich gut verkaufen lassen. Dann sieht man als Hauptauftraggeber die Vereinigten Stahlwerke und deren Firmenzeitschrift „Das Werk“, für die sie sehr viel fotografierte. Oder die Bergische Achsenfabrik in Wiehl, für die sie von 1936 bis Anfang der 1970er Jahre gearbeitet hat.
Behandelt die Ausstellung auch ihre Arbeit während des Nationalsozialismus? Sie soll für den Reichsarbeitsdienst fotografiert haben.
Auf jeden Fall. Es ist in der Rezeption von Ruth Hallenslebens Werk oft so gewesen, dass man das unter den Tisch hat fallen lassen. Das machen wir nicht. Wir zeigen ihre ganze Zeit als aktive Auftragsfotografin. 1934 hat sie sich selbstständig gemacht, ab 1936 hat ihr Betrieb richtig Fahrt aufgenommen, und sie konnte sich als Fotografin etablieren. Sie fotografierte auch für verschiedene Gauleitungen der NSDAP und für Rüstungsbetriebe. Es gibt auch von ihr die Aussage, dass sie während des Krieges unterirdische Rüstungsanlagen fotografiert habe. Das hat sie sicher gemacht, davon ist jedoch nichts überliefert. Die Negative hatte sie vermutlich abliefern müssen. Allerdings gibt es eine Reihe von überlieferten Aufnahmen, die sie in Rüstungsbetrieben gemacht hat. Davon zeigen wir einige. Auf einer dieser Fotografien sieht man „Ostarbeiterinnen“ bei der Arbeit. Diese waren in den von der deutschen Wehrmacht besetzten sowjetischen Gebieten angeworben oder verschleppt worden. Das wird mit kurzen Texten von uns in der Ausstellung kommentiert.
Bilder im Auftrag. Fotografien von Ruth Hallensleben 1931-1973 | 10.2. - 24.8. | Ruhr Museum, Essen | 0201 24 68 14 44
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Leere Millionenstadt
Foto-Ausstellung im Dortmunder Depot
Die Goldene Ära des Ruhrgebietskinos
„Glückauf – Film ab!“ im Essener Ruhrmuseum
Malerische Fotografie
„Foto – Kunst – Foto“ im Clemens Sels Museum Neuss – Kunst in NRW 12/24
„Das Ruhrgebietspublikum ist ehrlich und dankbar“
Oliver Flothkötter über „Glückauf – Film ab!“ und Kino im Ruhrgebiet – Interview 12/24
Ruhrgebietsfilmgeschichte erleben
„Glückauf – Film ab!“ im Essener Ruhr Museum
Die abwesenden Menschen
Jörg Winde im Dortmunder Museum für Kunst und Kulturgeschichte
Die Macht der Bilder
Katharina Sieverding im Düsseldorfer K21
Roter Teppich für das Kino
Kino- und Filmgeschichte des Ruhrgebiets im Essener Ruhr Museum – Ruhrkunst 08/24
Lebendige Zeitgeschichte
Marga Kingler im Essener Ruhr Museum – Ruhrkunst 07/24
Lichtspiele mit Charme
Eröffnung der Ausstellung „Glückauf – Film ab!“ im Ruhr-Museum – Foyer 07/24
„Keine klassischen Porträtfotografien“
Kuratorin Kerrin Postert über „UK Women“ in der Ludwiggalerie Schloss Oberhausen – Sammlung 06/24
Intensive Blicke
Fotografin Annelise Kretschmer im MKK Dortmund – Ruhrkunst 03/24
„Wichtig ist für ihn die Ästhetik der Kabel“
Kuratorin Felicity Korn über „Echo“ von Elias Sime im Düsseldorfer Kunstpalast – Sammlung 01/25
„Kein Staub, aber ganz viel Frisches“
Leiter Nico Anklam über die Ausstellung zu 75 Jahren Kunsthalle Recklinghausen – Sammlung 12/24
„Mangas sind bei der jungen Leserschaft die Zukunft“
Leiter Alain Bieber über „Superheroes“ im NRW-Forum Düsseldorf – Sammlung 11/24
„Weibliche und globale Perspektiven einbeziehen“
Direktorin Regina Selter über „Tell these people who I am“ im Dortmunder Museum Ostwall – Sammlung 10/24
„Jeder Besuch ist maßgeschneidert“
Britta Peters von Urbane Künste Ruhr über die Grand Snail Tour durch das Ruhrgebiet – Sammlung 09/24
„Auch die Sammler beeinflussen den Künstler“
Kurator Markus Heinzelmann über die Ausstellung zu Gerhard Richter in Düsseldorf – Sammlung 08/24
„Die jüdische Renaissance ist nicht so bekannt“
Museumsleiterin Kathrin Pieren über „Shtetl – Arayn un Aroys“ im Jüdischen Museum in Dorsten – Sammlung 08/24
„Auf Fautrier muss man sich einlassen“
Direktor Rouven Lotz über „Jean Fautrier – Genie und Rebell“ im Emil Schumacher Museum Hagen – Sammlung 07/24
„Eine von Verflechtungen und Austausch geprägte Welt“
Kuratorin Julia Lerch Zajaczkowska über Theresa Webers „Chaosmos“ im Kunstmuseum Bochum – Sammlung 06/24
„Sowohl Bio als auch Fastfood“
Nico Anklam über Søren Aagaards Ausstellung bei den Ruhrfestspielen 2024 – Sammlung 05/24
„Die Realitäten haben sich verändert“
Die Kuratorinnen Özlem Arslan und Eva Busch über die Ausstellung zur Kemnade International in Bochum – Sammlung 04/24
„Das kann einem einen kalten Schauer bringen“
Direktor Tayfun Belgin über die Gottfried Helnwein-Ausstellung im Osthaus Museum Hagen – Sammlung 04/24