Im Interview spricht Direktorin Regina Selter über die Ausstellung „Tell these people who I am“ im Dortmunder Museum Ostwall, die Werke von 31 Künstlerinnen des Expressionismus und Fluxus zeigt.
trailer: Frau Selter, die Ausstellung zeigt Künstlerinnen aus zwei Epochen des 20. Jahrhunderts. Zwischen ihnen liegen rund sechs Jahrzehnte und zwei Kriege. Hätten die Frauen nicht eigentlich die Kunstgeschichte übernehmen müssen?
Regina Selter: Ja, aber leider nicht in dieser Form geschehen. Die Idee, eine Ausstellung zu machen, die das Überthema Künstlerinnen hat, basiert auf unseren Sammlungsschwerpunkten Expressionismus und Fluxus. Das ist der Ausgangspunkt. Mit einem kritischen Blick haben wir festgestellt – wie viele andere Museen auch –, dass der historisch gewachsene Sammlungsbestand sehr männlich und sehr weiß ist. Mit unserer aktuellen Sammlungspolitik möchten wir Bestände und Schwerpunkte diverser machen – weibliche und globale Perspektiven einbeziehen. Wir haben uns gefragt, wie wir das machen können. Der erste Schritt ist, dass wir dies mit Recherche und Forschung verbinden und die Ergebnisse in unsere Überlegung für Sammlungserweiterungen einbeziehen. Wir wollen vorher nochmal in die Felder Expressionismus und Fluxus eintauchen und prüfen, welche Positionen von Künstlerinnen sind in Vergessenheit geraten. Aus unseren beiden Sammlungsschwerpunkten ergibt sich also dieser zeitliche Sprung.
Wie groß sind die Gemeinsamkeiten?
Erst 1919 konnten sich Frauen an den Kunstakademien einschreiben, aber wieso gibt es diese Leerstellen noch in den 1960er und 70er Jahren, wo es eine große politische und feministische Bewegung gab? Im Grunde genommen ist das überraschend. Wieso haben wir so viele Fluxus-Künstler und doch so wenig Künstlerinnen, wo es doch eigentlich eine sehr demokratische Bewegung war? Die Ausstellung soll hier auch mehr Hintergrund liefern. Da ist zum Beispiel die Künstlerin Carolee Schneemann, sie hätte man mit ihrer Performance Art natürlich problemlos dem Fluxus zuordnen können. Schneemann aber sagt, dass George Maciunas als starkes männliches Ego viele Ausdrucksformen, vor allem ihre körperbetonte Arbeitsweise, in der Bewegung nicht zugelassen habe. Wir haben viele Künstlerinnen, die im Feld Fluxus tätig waren, dann aber z.B. auch durch Care-Arbeit deutlich eingeschränkt waren.
Wie vermitteln Sie diese ungewöhnliche Zweiteilung der Epochen in der Ausstellung?
Wir haben eine Szenografie, die die Ausstellung deutlich in zwei Phasen aufteilt. Es gibt aber einen verbindenden Diskursraum. Dort haben wir ein großes Wandbild zur Entwicklung der Frauenbewegung und wichtige Daten. Wir verweisen hier auch darauf, dass wir noch nicht am Ende unserer Recherche sind und es viele weitere Positionen gibt, die wiederentdeckt werden müssen. Die Ausstellung fragt gezielt nach den Gründen ihres Ausschlusses, wieso sie in Vergessenheit geraten sind. Im Expressionismus hängt viel damit zusammen, dass jüdische Künstlerinnen deportiert wurden oder ausgewandert sind und dann in der Rezeption nicht mehr gesehen worden sind.
Wer oder was ist denn überhaupt zu sehen?
Im Bereich Expressionismus zeigen wir Renée Sintenis aus unserem Sammlungsbestand und erweitern den. Die Idee des Expressionismus als Gesamtkunstwerk greifen wir auf, insofern zeigen wir auch nicht nur Malerei, sondern auch andere Positionen, die unterschiedliche Gattungen abbilden. Renée Sintenis steht für Skulptur, sie ist bereits bekannter. In den früheren Rezeptionen wird sie aufgrund ihres handwerklichen Könnens denn ihrer künstlerischen Idee gelobt. Eine Entdeckung ist Emma Schlangenhausen, eine Grafikerin aus Österreich, die wunderbare Holzschnitte macht, aber vollkommen in Vergessenheit geraten ist. Wir zeigen ebenfalls Werke von Madame d‘Ora zum Thema Fotografie und Keramik von Kitty Rix und ihrer Lehrerin Vally Wieselthier. Dazu auch Textilkunst von Marta Worringer. Im Bereich Fluxus zeigen wir Arbeiten von Carolee Schneemann und von Valie Export aus unserem Sammlungsbestand. Hier sind wir seit ein paar Jahren schon in der Aufarbeitung – gerade beim Thema Körperperformance. Darüber hinaus zeigen wir viele Video-Arbeiten, ein Medium, das in der Zeit der Frauenbewegung als Ausdrucksmedium aufkam, u.a. mit Arbeiten von Martha Rosler, Leticía Parente oder Mako Idemitsu.
Sie schreiben, dass die durch die Frauenbewegung problematisierte Arbeitstrennung der Geschlechter durch die Künstlerpaare insbesondere des Fluxus aufgebrochen wurde. Woran machen Sie das fest?
Die Kollaborationen und den Umgang der Künstlerinnen in ihren Beziehungen zu männlichen Protagonisten der Fluxus-Bewegung werden u.a. mit den Arbeiten der Künstlerinnen Yoko Ono, Alison Knowles oder Dorothy Iannone sichtbar. Bei Yoko Ono merkt man dies durch ihre vielen monografischen Ausstellungen – demnächst in Düsseldorf. Charlotte Moorman ist inzwischen sichtbarer geworden, auch sie ist herausgetreten aus der engen Freundschaft mit Nam June Paik.
Und Shigeko Kubota?
Bei ihr und Paik haben wir auch immer mehr wiederentdeckt. Beide wurden durchaus auch genannt, aber die Bedeutung und die hohe künstlerische Qualität und die Themen, die sie aufgegriffen haben, wie das große Thema Netzwerkarbeit, wird mit Nam June Paik verbunden. Das ist ja das Verrückte, dass Fluxus für Innovation steht und gleichzeitig auch dieses Marginalisierte hat. Diese Widersprüchlichkeit offenzulegen war uns ein Anliegen.
Der Anteil an Kunst von Frauen in den Sammlungen der Museen ist noch immer gering – bei Ihnen liegt er ungefähr bei sechs Prozent. Glauben Sie, dass Ausstellungen wie „Tell these people who I am“ da Abhilfe schaffen?
Ja, mit Sicherheit. Es gibt ja flächenwirkend mittlerweile sehr viele monografische Ausstellungen von Künstlerinnen. Aber das, was uns beschäftigt, ist nicht nur eine Einzelposition zu zeigen für fünf Monate, sondern die Frage, welche Nachhaltigkeit das hat: Wie schaffen wir es mit einer Ausstellung, dass sie eine Auswirkung auf unsere Sammlung hat? Unser Ziel ist, dass es nicht bei der Ausstellung bleibt, sondern dass es ganz konkret Auswirkungen auf unsere Sammlungserweiterung hat.
Kommen wir schon zur letzten Frage. Die ist etwas spekulativ. Was denken Sie, welches Geschlecht hat wohl die Höhlen von Lascaux ausgemalt?
Vielleicht einfach keine Einordnung. Wir sprechen in unserer Ausstellung auch von Künstlerinnen, aber man muss dieses Wort eigentlich mit Sternchen denken und die Künstlerinnen als weiblich bezeichnet denken: nicht mehr in dieser Aufteilung männlich-weiblich, sondern als einem weiblich-queeren Ansatz.
Tell these people who I am | 25.10.24 - 23.3.25 | Museum Ostwall im Dortmunder U | 0231 502 47 23
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